Zur Verfälschung der Rolle des Staates und der Partei der Arbeiterklasse

von Otto Finger (1973)

»Der proletarische Klassenkampf kulminiert in der politischen Machteroberung, in der Diktatur des Proletariats. Das Proletariat kann sich aber vom ökonomischen – auf Verbesserungen seiner Lebenslage innerhalb des bestehenden kapitalistischen Systems beschränken – Klassenkampf zum politischen Klassenkampf, der auf den Sturz eben dieses Systems abzielt, nur unter der Führung einer revolutionären, mit der wissenschaftlichen Theorie ausgerüsteten Kampfpartei erheben. Diese Aussagen basieren auf der geschichtlichen Praxis. Es ist die Praxis des realen Sozialismus, die Praxis der von marxistisch-leninistischen Parteien geführten Kämpfe und Siege der Arbeiterbewegung.

Ein politischer Kernpunkt allen heutigen Antikommunismus und aller philosophischen Reaktionen der imperialistischen Bourgeoisie auf den Sieg der Oktoberrevolution und der von ihr eingeleiteten weltrevolutionären Prozesse ist einbeschlossen in der Frage nach Wesen und Aufgaben der sozialistischen Staatsmacht sowie nach Wesen und Aufgaben der revolutionären Partei der Arbeiterklasse. Wobei die beharrliche Leugnung der wachsenden Führungsaufgaben beider, der Partei und des Staates, und das ganze umfassende System ihrer Verleumdung letztendlich nur die Widerspiegelung einer durchaus realistischen Einsicht der Ideologen der imperialistischen Bourgeoisie ist: Sie haben sehr wohl begriffen, dass genau diese Führungsrolle der sozialistischen Gesellschaft der unabdingbare Garant ihrer Festigkeit und all ihrer Fortschritte sind. Man bekommt den entscheidenden Zugang zum antikommunistischen und konterrevolutionären Grundgehalt der heutigen bürgerlichen Theorien auf geschichts- und sozialphilosophischem, auf soziologischem, auf sogenanntem „politologischen“ und „politik-wissenschaftlichen“ Gebiet durchaus schon dadurch, dass man diese politische Gretchenfrage an ihre Autoren stellt: Wie haltet ihr es mit der Partei der Arbeiterklasse und ihrem Machtinstrument, dem sozialistischen Staat? Was wir anlässlich der politischen Motivation der Materialismusfeindlichkeit des Mitbegründers der „kritischen Theorie“ der Frankfurter Schule, Adornos, im zweiten Kapitel unserer Studie herausgehoben haben, findet sich teils in gleicher Plumpheit, teils in theoretisch anspruchsvollerem Gewande und in kaum noch überschaubaren Variationen in der sozialtheoretischen Publizistik der imperialistischen Gesellschaft wieder. Ja es lässt sich an den spätbürgerlichen philosophischen Reaktionen auf diese Frage geradezu ihr irrationalistisch-theologischer Grundzug ablesen. Die marxistisch-leninistische Partei und der sozialistische Staat erscheinen als das Gestalt gewordene böse Prinzip unserer Zeit. Teils wird dabei der praktische Irrationalismus der imperialistischen Welt, das nicht nur zwangsläufig Antihumane monopolkapitalistischer Herrschaft, sondern auch das direkt Widervernünftige, häufig der nKlassen-„Vernunft“ des Gesamtkapitalisten Widersprechende imperialistischer Politik auf den Sozialismus übertragen. Es erweist sich dies als charakteristisch antikommunistische Methode ideologischer Diversion. [- 1973 -]

Auch die „kritische“ Theorie schlägt in offen antikommunistischen Jargon um. Adorno spricht in der „Negativen Dialektik“ von „terroristischen Staatsmaschinerien“, von der „Kettung der Untertanen“ an ihre „nächsten Interessen“, von der „Monopolisierung“ der Theorie durch die „Funktionäre“, von der „zynischen Verachtung“ der „Souveränität des Geistes“, vom „Banausischen und Barbarischen am Materialismus“, von der „Reproduktion der Unmündigkeit“ durch die „Machthaber“, von „arrivierten Parteien im Singular“, von „totalitären Staaten“ und so weiter und so fort. Wirkliche Merkmale des Imperialismus, Techniken, Praktiken, Ideologien der Herrschaft des Monopolkapitals werden auf den Sozialismus übertragen. Es ist leicht einsehbar, dass hinter den von Adorno antikommunistisch eingesetzten Begriffen nicht mehr und nicht weniger steht als imperialistische Wirklichkeit. Der imperialistische Staat ist in der Tat eine terroristische Maschinerie, geschaffen zur politisch-reaktionären Formierung nach innen und aggressiven Expansionen des Monopolkapitals nach außen. Der imperialistischen Manipulation gelingt es tatsächlich, Teile der werktätigen Massen im Untertanenverhalten zu belassen und sie an vom Monopolkapital diktierte Bedürfnisse zu ketten.

Ferner: Eine „Monopolisierung“ der Theorie durch die Funktionäre des Kapitals, auf welcher Ebene auch immer, ob in den Massenmedien oder im Bildungswesen und an den Universitäten, ist eine wirkliche Tendenz und reale geist- und kulturfeindliche Gefahr des sich verschärfenden ideologischen Drucks des monopolkapitalistischen Überbaus auf die ganze von ihm noch beherrschte Gesellschaft. –

Und was schließlich den menschenverachtenden Zynismus, die Geistfeindlichkeit, das kulturelle Banausentum und die Barbarei des Imperialismus anlangt, also die ganze ideologische Seite dessen, was Lenin einmal als imperialistische Reaktion „auf der ganzen Linie“ bezeichnet hat, so bedarf es kaum noch der Anstrengung des philosophischen Begriffs, um sie als unabdingbare Wesensmerkmale dieses Gesellschaftssystems zu erfassen. Von jedem Atemzug dieses verfaulenden sozialen Organismus geht der Pesthauch imperialistischer Barbarei aus.

Auch der zweite Stammvater der sogenannten „kritischen Theorie“, Max Horkheimer, hat sich 1968 im Vorwort zur Neuausgabe einer Reihe von Aufsätzen aus den dreißiger Jahren geradezu in der Art eines politisch-philosophischen Testaments mit allem Nachdruck zu seinem antikommunistischen Hass gegen den sozialistischen Staat und die revolutionäre Partei der Arbeiterklasse bekannt. Auch er bekundet, dass damit „kritische“ Theorie völlig unkritisch und gänzlich unterhalb des theoretischen Niveaus und der moralisch-politischen Verantwortung eines ernst zu nehmenden Protestes gegen die imperialistische Gesellschaft bleibt. Wobei Horkheimer in diesem Text sehr deutlich macht: Diffamierung der politischen Herrschaft der Arbeiterklasse ist das Konzentrat einer insgesamt gegenrevolutionären, gegen die revolutionäre Veränderung des Kapitalismus durch die Arbeiterklasse gerichteten Konzeption. –

Dabei geht Horkheimer – zum Unterschied von vielen weniger offenen Antikommunisten – so weit, den Antisowjetismus nicht allein mit der Parteinahme für die westlichen „Demokraten“, nicht allein für die reaktionäre Führungsmacht des heutigen Kapitalismus, die USA, zu verbinden, sondern auch mit einer Rechtfertigung ihrer barbarischen Aggression gegen Vietnam! Die Verurteilung des „verhängnisvollen asiatischen Feldzuges der Vereinigten Staaten“ widerspreche kritischer Theorie, bleibe in Europa konformistisch, wenn nicht die „von gegnerischen Großmächten unterstützten Attacken im Bewusstsein mit aufgenommen werden“. [1] Aus der imperialistischen Aggression der USA gegen das Volk von Vietnam, aus einem Krieg, den die USA mit einer selbst noch den Hitlerfaschismus an Bestialität übertreffenden Grausamkeit führten, wird schlicht ein „asiatischer Feldzug“. Aus der heldenhaften Verteidigung des vietnamesischen Volkes wird dagegen der Angriff, die „Attacke“!

Die Leugnung der aktuellen Gültigkeit der revolutionstheoretischen Grundsätze des Marxismus-Leninismus bewegt sich im Rahmen jener falschen Vorstellungen über die vorgebliche „Integration“ des Proletariats, den Verlust seiner revolutionären Kraft, denen wir schon vielfältig bei der Kritik anderer Varianten gegenrevolutionärer Ideologie begegnet sind. Horkheimer bekräftigt noch einmal solche uralten Propagandalosungen des Antikommunismus wie die, dass Faschismus und Kommunismus gleichzusetzen seien. Der Große Vaterländische Krieg des Sowjetvolkes, in dessen Ergebnis die Völker vom Hitlerfaschismus befreit wurden, erscheint hier als Ergebnis der „Machtpolitik des stalinistischen Russland“. Weil die faschistisch-deutsche mit der „östlichen Strategie“ übereingestimmt hätte, hätte der Hass gegen den Faschismus mit dem „Hass gegen die herrschenden Cliquen schlechthin“ identisch sein müssen. Mit dem letztgenannten Ausdruck, „herrschende Clique“, wird die Hauptangriffsrichtung offen ausgesprochen: Der Terminus steht für die Führungsorgane der sozialistischen Gesellschaft. Horkheimer wendet sich in diesem durch und durch antisowjetischen Konzept dann ausdrücklich dagegen, dass Begriffe wie Klassenherrschaft und Imperialismus allein auf kapitalistische Staaten bezogen werden. Sie müssten auch auf „angeblich kommunistische“ Staaten angewendet werden. Es sei „pseudorevolutionär“, dem „Vormarsch totalitärer Bürokratie von links“ Hilfe zu leisten. „Fragwürdige Demokratie“ sei besser als Diktatur. Die Marxsche Vorstellung von der Revolution im Ergebnis der Verelendung des Proletariats bleibe illusorisch. Der revolutionäre Wille sei übergegangen in eine „realitätsgerechte“ Aktivität. [2]

Horkheimer denkt in der Tat an alles: Neben der Rechtfertigung des Imperialismus, des imperialistischen Krieges, des imperialistischen Herrschaftssystems vergisst er nicht, auch deren reformistischen Handlangern eine Apologie zu liefern. Opportunismus erscheint hier als „realitätsgerechte“ Politik und Ideologie. Wie auch Adorno macht sich Horkheimer zum allerordinärsten Schützengehilfen des Antisowjetismus dort, wo es um den sozialistischen Staat und die marxistisch-leninistische Partei geht. Die abgedroschenen Propagandalosungen der Antisowjethetze sind auch ihm nicht zu plump, um erneut aufgegriffen zu werden. Diese durchgängige Verteufelung von Staat und Partei der Arbeiterklasse entspringt einer inneren Logik der weltgeschichtlichen Krise des Kapitalismus und seiner Ideologie. Sie widerspiegelt die mobilisierende, organisierende, stets vorwärtstreibende Kraft dieser Führungsorgane in der Entwicklung des Weltsozialismus, [- Otto Finger, 1973 -] bei der Durchsetzung der grundlegenden Gesetzmäßigkeit unserer Epoche, des revolutionären Übergangs der Menschheit vom Kapitalismus zum Sozialismus. Und zwar widerspiegelt sie diese Gesetzmäßigkeit verkehrt, gerade als das Gegenteil von Gesetzmäßigkeit. Sie kann die Gesetze ihres eigenen Untergangs nur als Abnormität, als vom „normalen“, bürgerlichen Lauf der Welt total abweichende Katastrophe anschauen. Ihr erscheint dieser Vorgang des Aufstiegs des Sozialismus und der Untergang des Imperialismus in durchaus religiös-idealistischer und theologischer Weise als „Teufelswerk“. Die andere ebenso idealistische Fehldeutung ist: Das für die Herrschaft der Bourgeoisie tatsächlich Katastrophale der sozialistischen Revolution und der Machtausübung der Arbeiterklasse wird in der Ideologie hinweggezaubert. Der Sozialismus erscheint bloß als eine spezifische, unentwickelte Form des Kapitalismus.

Das Wirken der Partei und des Staates werden in beiden Varianten der Fehldeutung ganz in der Manier des alten hegelianischen Idealismus von den gesetzmäßigen Prozessen getrennt, deren notwendiger Ausdruck sie sind. Marx und Engels hatten in der „Deutschen Ideologie“ darauf hingewiesen, dass und wie in der hegelianischen Geschichtsphilosophie – auch noch ihres Epigonen Stirner – die „Oberherrlichkeit“ des Geistes „konstruiert“ wird. Das idealistische Kunststück werde durch „drei Efforts“ bewerkstelligt. Zunächst dadurch, dass die Ideen von den aus empirischen Gründen herrschenden Klassen getrennt und so als Herrschaft der Ideen verkehrt werden. Als zweites wird in diese Gedankenherrschaft eine „Ordnung“ gebracht. Drittens schließlich, damit das Ganze recht plausibel, recht „materialistisch“ erscheint, werden diese Ideen wieder personalisiert. Damit, so sagen Marx und Engels, wären sämtliche materialistischen Elemente aus der Geschichte beseitigt und man könne dann „seinen spekulativen Ross ruhig die Zügel schießen lassen“ [3]. Diesem Konstruktionsmodell unterliegt durchaus auch noch die imperialistische Verfälschung von Theorie und Praxis des geschichtlichen Wirkens des sozialistischen Staates und der marxistisch-leninistischen Partei. Erster Schritt [der bürgerlichen Ideologen und opportunistisch-revisionistischen Hilfstruppen des Imperialismus] also: Trennung der Partei und des Staates von den konkret-historischen Verhältnissen, die ihr Wirken als objektive Notwendigkeit, als historische Gesetzmäßigkeit des sozialen Fortschritts erweisen.

Zweiter Schritt: In diese, nunmehr von ihren realen Bedingungen getrennte Herrschaft des sozialistischen Staates, in die Führungstätigkeit der Partei wird eine „Ordnung“ gebracht, sie wird in einen „mystischen Zusammenhang“ gestellt. Zum Beispiel: Aus der „Psychologie“ von Führungspersönlichkeiten, ihrem „Herrschaftswillen“, ihrem „Machtstreben“ usf. abgeleitet. Oder: Sie werden in einen dergestalt „mystischen“ Zusammenhang mit der gerade durch ihr Wirken radikal aufgehobenen bürgerlichen Ordnung gebracht, dass sie als bloß veränderte Neuauflage alter Herrschaftsmuster der Ausbeutergesellschaft erscheinen.

Dritter Schritt: Sie werden personifiziert. Beispiel: Das historische Wirken der Partei, das initiativreiche, schöpferische Handeln von Millionen Kommunisten und von ihnen geführter Arbeitermassen erscheint als „Diktatur“ eines Mannes, des Generalsekretärs.

Diesem Schema unterliegen dann die von „Sowjetologen“ erfundenen Periodisierungen der Entwicklungsgeschichte des Sozialismus. Etwa, indem sie auf den Leninismus den „Stalinismus“ und auf diesen wieder einen „Neoleninismus“ folgen lassen. Oder: dem „Stalinismus“ sei der „Chrustschowismus“ und diesem ein „Neostalinismus“ gefolgt usw. usf. [= diese ideologisch-psychologische Strategie zur Massenbeeinflussung – durch den ideologisch-(konsum-)ökonomisch-geopolitisch-militärischen Imperialismus der Finanz- und Monopolbourgeoisien und ihrer gesellschaftspolitischen Ideologen und regierenden Administrationen – war letztlich erfolgreich, bei der weltweiten Liquidierung des Realsozialismus; insbesondere auch bei der großen Mehrzahl der bürgerlich-akademischen Intellektuellen, sowohl in der kapitalistisch-imperialistischen und der vormals realsozialistischen Welt; R. S.]

Wir können in Abwandlung des obigen Zitats aus der „Deutschen Ideologie“ sagen: Sind erst einmal sämtliche materialistischen Elemente aus der wirklichen Geschichte der Arbeiterbewegung und des Sozialismus entfernt, kann die imperialistische Ideologie ihrem antikommunistischen und antisowjetischen Ross ruhig die Zügel schießen lassen

Anmerkungen

1 M. Horkheimer, Kritische Theorie, Bd. I, Frankfurt/M. 1968, S. X (hersg. v. A. Schmidt).

2 Vgl. ebenda, S. X f.

3 Karl Marx und Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, in: Werke, Bd. 3, Berlin 1958, S. 49.

Quelle: Philosophie der Revolution. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1975. Studie zur Herausbildung der marxistisch-leninistischen Theorie der Revolution als materialistisch-dialektischer Entwicklungstheorie und zur Kritik gegenrevolutionärer Ideologien der Gegenwart. Autor: Otto Finger. Vgl.: 6.1. Zur Verfälschung der Rolle des Staates und der Partei der Arbeiterklasse, in: 6. Kapitel: Proletarischer Klassenkampf, politische Machteroberung und revolutionäre Partei der Arbeiterklasse.

17.08.2012, Reinhold Schramm (Bereitstellung)

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