Theoretische Probleme der Imperialismusanalyse und praktische Konsequenzen

Waren die imperialistischen Mächte lange Zeit – wenn auch nicht widerspruchsfrei – Verbündete im Kampf gegen das sozialistische Lager, so treten die Widersprüche zwischen den einzelnen imperialistischen Mächten heutzutage in ihrer barbarischsten Hemmungslosigkeit hervor. Vor allem verschärfen sich die Widersprüche zwischen der bisherigen imperialistischen Hegemonialmacht USA und einem stärker und aggressiver werdenden imperialistischen Europa unter deutsch/französischer Führung.
Wie die Tatsachen zeigen, hat Lenins Imperialismustheorie nichts an ihrer Aktualität und ihrem Wert verloren. So sollte man meinen, dass innerhalb der kommunistischen Bewegung in dieser Frage Klarheit bestehe. Das ist jedoch nicht der Fall. Innerhalb des kommunistischen Spektrums herrscht große Verwirrung über die eigene Geschichte und die Gültigkeit der Theorie.
In dieses Spannungsfeld sind oberflächliche Konzeptionen gestoßen, die mit „Begriffen“ wie „Neoliberalismus“ oder „Globalisierung“ die Lage beschreiben und sowohl von Ideologen der Bourgeoisie als auch von der Partei Die Linken, der DKP-Führung und Teilen der Friedensbewegung in politischen Analysen verwandt werden.

Beide Begriffe, „Neoliberalismus“ wie auch „Globalisierung“ taugen schon ganz grundsätzlich nicht zur Analyse der imperialistischen Realität.
Der Begriff „Neoliberalismus“ leitet sich von einer bestimmten Wirtschaftspolitik ab, wie sie in den imperialistischen Zentren in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts entstand, nämlich: Rücknahme der Staatsinterventionen in Wirtschaft und Gesellschaft, Deregulierung der Verwertungsprozesse und Märkte, Abbau der Errungenschaften der Gewerkschaftsbewegung. Der Neoliberalismus ist also eine politische Erscheinung, die aus den ökonomischen Problemen des Imperialismus, genau wie sie von Lenin dargestellt wurden, erwächst.
Und der Begriff „Globalisierung“ ist nichts weiter als eine hohle Phrase, die die internationale Verflechtung des Kapitals beschreiben soll. Daran ist absolut nichts Neues. Globalisierung ist so alt wie das Kapital: Sie wird schon von Marx und Engels im Kommunistischen Manifest wie auch von Lenin in seiner Imperialismusanalyse beschrieben.
Die Kernaussagen der Rede von der „neoliberalen Globalisierung“ lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Da es kein national gebundenes Kapital mehr gäbe, verlören die klassischen Nationalstaaten an Gewicht. So entstehe ein imperialistisches Gesamtinteresse an der Ausbeutung und Niederhaltung der 3. Welt, die Konkurrenz zwischen den imperialistischen Zentren werde dagegen immer geringer und entfalle schließlich ganz. Das Ganze wurde aktuell von Leo Mayer in der UZ, der Zeitung der DKP, als brandneue Entwicklung eines so genannten „kollektiven Imperialismus“ dargestellt.
Trotz neuen Namens ist das keine neue „Theorie“, sondern ein Aufguss der „Ultraimperialismus-Theorie“ des Renegaten Kautsky, der kurz vor dem Ersten Weltkrieg in scharfer Frontstellung zu Lenin fragte, „ob es nicht möglich sei, dass die jetzige imperialistische Politik durch eine neue, ultraimperialistische verdrängt werde, die an Stelle des Kampfes der nationalen Finanzkapitale untereinander die gemeinsame Ausbeutung der Welt durch das international verbündete Finanzkapital setzte. Eine solche neue Phase des Kapitalismus ist jedenfalls denkbar.“ [1]
Wie falsch und voller Illusionen dieser Ansatz ist, zeigt in der jüngsten Vergangenheit z.B. die Konkurrenz zwischen USA, EU, BRD und Russland anlässlich des Irak-Krieges. Frankreich, Russland und China hatten lukrative Verträge zur Ausbeutung irakischer Ölfelder abgeschlossen, die ihnen den Zugriff sicherstellten, so bald die UNO-Sanktionen aufgehoben würden. Mit dem Sturz Saddam Husseins durch die US-Invasion waren diese Verträge hinfällig. Leo Mayer als einer der Vertreter der Theorie vom „kollektiven Imperialismus“ hielt das Ganze trotzdem für die „Sicherung des Ölflusses durch die Amerikaner für alle Metropolen-Mächte“. [2] Und noch einige weitere Stichworte: die Weltraumrüstung der BRD, die schnelle Eingreiftruppe der EU, die ausdrücklich ohne Rücksicht auf NATO oder UNO vor allem für Einsätze in Afrika einsatzbereit sein soll, das Weißbuch der Bundeswehr usw. Da ist weder die Konkurrenz zwischen den imperialistischen Metropolen erloschen noch ist da gar irgendetwas „friedensfähig“.
Interessant ist, dass Stratege und Ideologe des Imperialismus sich klarer ausdrücken als so mancher verwirrte Linke: Lassen wir den führenden US-Bankier und Berater diverser US-Administrationen, Jeffrey E. Garten, in diesem Sinne zu Wort kommen: Er „charakterisierte … die Periode nach dem Kalten Krieg als ‚Der Kalte Friede’. Die USA, Japan und ein deutsch geführtes Westeuropa, so der Mann von der Wall Street, würden sich in einer massiven Auseinandersetzung um politische und wirtschaftliche Hegemonie befinden. An die Stelle des Ost-West-Konflikts sei die Systemauseinandersetzung zwischen drei kulturell, ökonomisch und politisch konkurrierenden Wirtschaftsblöcken getreten.“ [3]

So weit zu den theoretischen Problemen. Nun wollen wir einen kurzen Blick auf die politischen Konsequenzen dieser Abkehr von der Leninschen Imperialismustheorie werfen:

Wenn es außer dem US-Imperialismus keine anderen nationalen Imperialismen mehr gibt, dann gibt es auch keinen deutschen Imperialismus mit eigenen imperialistischen Interessen und Zielen mehr. So spielen nationale Kämpfe keine Rolle mehr und somit ist auch Karl Liebknechts Losung „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ hinfällig geworden. Folglich besteht auch kein Grund, die Expansionsgelüste eines deutschen Imperialismus zu entlarven, da es ja diesen nicht gibt. Denn dann gibt es nur noch einen Hauptfeind für alle: den US-Imperialismus. Somit haben wir auch nicht mehr für den Sturz der Herrschenden im eigenen Land zu kämpfen, sondern nur noch dafür, dass diese dem Hauptfeind USA keine Unterstützung mehr leisten. Es gibt nur „Deutschland“ und alles was zu tun bleibt, ist, von diesem Deutschland zu fordern, dass es seine Interessenidentität mit der Führungsmacht des kollektiven Imperialismus, den USA, beendet. Das ist das Einfallstor für alle möglichen Arten von „Querfronten“, wie sie z.B. Elsässer versucht mit seiner Forderung einer „Koalition zur Verteidigung der nationalen Souveränität – von links bis zur demokratische Rechten“ gegen den Neoliberalismus der USA.
Die eben aufgezeigten praktischen Konsequenzen finden sich – bis auf die Querfront – alle in einem Artikel in der UZ vom 4. Juli 2003, verfasst von Leo Mayer, Conrad Schuhler und Fred Schmid mit dem Titel: “Wie der Kriegsblock zu stoppen ist. Thesen zur politischen Ökonomie des ´Kriegs gegen den Terror´. Aufgaben und Perspektiven der Friedensbewegung.”
Wir wollen dem gegenüber festhalten: Indem die Grundaussagen Lenins zum Imperialismus und seinem prinzipiellen Charakter über Bord geworfen werden, soll die Leninische Imperialismustheorie stillschweigend begraben werden – mit all den sich daraus ergebenen politischen Konsequenzen für Strategie und Taktik der Kommunisten und anderer Revolutionäre.

Michael Kubi

[1] Karl Kautsky, „Die Neue Zeit“, 30.04.1915

[2] zitiert nach Kurt Gossweiler: Lenin oder Kautsky? Zu Leo Mayers Thesen über Globalisierung und Krieg

[3] Erich Schmidt-Eenbohm, Jo Angerer: „Die schmutzigen Geschäfte der Wirtschaftsspione“, ECON-Verlag, 1994, S. 13

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