Viele Lehrstellenbewerber gehen leer aus

Warteschleifen, ungeliebte Kompromisse, Unsicherheit, Stress und schlechte Bezahlung sind für viele Jugendliche Alltag.

Angesichts der Jugendarbeitslosenquoten von 50 Prozent in einigen europäischen Ländern und über 20 Prozent im EU-Durchschnitt scheinen in Deutschland sehr günstige Zustände zu herrschen. Doch dieser grobe Vergleich verstellt den Blick auf die konkreten Probleme, vor denen viele Jugendliche stehen, so die Arbeitswissenschaftler Julia Kramer und Thomas Langhoff. Der Professor und seine wissenschaftliche Mitarbeiterin haben im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung zahlreiche Fakten zur Arbeits- und Ausbildungssituation junger Menschen zusammengetragen. Sie machen deutlich, wie schwierig es für viele Berufseinsteiger ist, in der Erwerbsgesellschaft Fuß zu fassen.

Berufsausbildung

70 Prozent aller Schulabgänger strebten im Jahr 2010 eine duale Ausbildung an. Die Mehrheit wollte direkt nach der Schule eine Lehre machen; weitere 19 Prozent der Abgänger zu einem späteren Zeitpunkt. „Doch längst nicht alle von ihnen erreichen ihr Ziel“, beobachten Kramer und Langhoff. „Wer direkt, ohne lange Wartezeit oder sogenannte Übergangsmaßnahmen einen Ausbildungsplatz findet, darf sich glücklich schätzen.“ Trotz rückläufiger Nachfrage nach Lehrstellen und einer steigenden Zahl von Absolventen mit Berechtigung zum Hochschulzugang war der Markt eng. Denn auch das Lehrstellenangebot ging zurück. So konnten im Jahr 2010 lediglich 63 Prozent der Schulabgänger, die eine Ausbildungsstelle für ihre Berufsausbildung suchten, ihren Ausbildungswunsch vollständig oder annähernd verwirklichen.

Insgesamt gebe es jedes Jahr „Hunderttausende, die keine Ausbildungsstelle gefunden haben“, konstatieren die Wissenschaftler. 2010 waren es rund 175.000 Jugendliche, die sich letztlich mit einem Alternativprogramm wie einer außerbetrieblichen Ausbildung [gezwungenermaßen] abfanden, und knapp 110.000 Jugendliche, „deren Verbleib ungeklärt“ blieb.

Doch auch wenn es mit der Lehrstelle geklappt hat, läuft der Rest nicht automatisch wie geschmiert. Gut 20 Prozent der Ausbildungsverträge werden vorzeitig aufgelöst. Dabei geht die Initiative meist von den Auszubildenden aus, oft weil es Probleme mit dem Chef gibt. Dann beginnt die Lehrstellensuche erneut – und Ausbildungsabrecher haben schlechte Karten.

Neben Schwierigkeiten und Konflikten, von denen auch ältere Erwerbstätige in (sogenannten) normalen Arbeitsverhältnissen betroffen sind, müssen Auszubildende mit zwei weiteren Stressfaktoren leben: wenig Geld und unsicherer Zukunft. Eine repräsentative Befragung ergab, dass 27 Prozent der Auszubildenden im zweiten Lehrjahr noch eine Zweit-Erwerbsarbeit haben. Und etwa 40 Prozent der Lehrlinge wurden im Jahr 2008 nicht vom Ausbildungsbetrieb übernommen.

Studium

Studierende haben in der Regel recht gute Arbeitsmarktchancen. Aber es gibt auch hier Ausnahmen, zeigen Kramers und Langhoffs Analysen. So hat ein Jahr nach Studienende nur rund die Hälfte der Geisteswissenschaftler eine reguläre Arbeit gefunden. Die größeren Schwierigkeiten bereite der Mehrheit jedoch das Studium selbst. „Der ökonomische, soziale, Leistungs- und Zeitdruck sind enorm gestiegen“, stellen die Forscher fest. Zwei Drittel arbeiteten neben dem Studium für den Lebensunterhalt. Das führt zu „enormen Mehrfachbelastungen“. Mit der Einführung der Bachelor-Studiengänge sei zudem die Zahl der Klienten in den psychologischen Beratungsstellen um 20 Prozent angestiegen. Studierende sind nach einer Untersuchung der Betriebskrankenkassen zwar im Schnitt gesünder als Gleichaltrige, eine Ausnahme bilden aber die psychischen Erkrankungen: Studentinnen und Studenten bekommen deutlich häufiger Antidepressiva verschrieben.

Praktika

Vorübergehende unentgeltlich oder gegen geringe Bezahlung absolvierte Arbeit in Betrieben ist für Studierende heute [erzwungenermaßen] selbstverständlich. Nur zwölf Prozent der Uni- und drei Prozent der FH-Studenten machen kein Praktikum während des Bachelor-Studiums. Pauschale Aussagen über die Qualität von Praktika lassen sich der Studie zufolge nicht treffen. Die Praktikanten geben häufig an, dass sie von der betrieblichen Erfahrung profitiert haben [?]. –

Problematisch erscheint den Forschern jedoch ein Teil der Praktika, die Uni-Absolventen nach dem Examen machen. Hier liefere beispielsweise eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Untersuchung Hinweise darauf, dass Unternehmen das Instrument Praktikum auch missbrauchen. So gaben 81 Prozent der Befragten an, vollwertige Arbeit geleistet zu haben. Und drei Viertel sagten, ihre Arbeit sei im Betriebsverlauf fest eingeplant gewesen. 40 Prozent der Praktika waren aber gänzlich unbezahlt und nur in 9 Prozent der Fälle lag die Vergütung über 800 Euro.

Atypische Beschäftigung

Nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung führt der Weg heute nicht mehr selbstverständlich in eine unbefristete Vollzeitarbeit. Die stetige Ausbreitung atypischer Erwerbsarbeit trifft besonders Jüngere. Mehr als die Hälfte der unter 20-jährigen Erwerbstätigen – ohne Auszubildende – arbeitet auf befristeten oder Teilzeitstellen, in Leiharbeit oder Miniarbeit. Bei den 20- bis 25-Jährigen ist es etwa ein Drittel.

Die Leiharbeit ist inzwischen für schlechter Qualifizierte und Jüngere häufig die einzige Option auf einen [unterbezahlten] Arbeitsplatz. Wegen der oft schlechten Bezahlung atypischer Lohnarbeit sind auch die sogenannten “Aufstocker“ überdurchschnittlich häufig jung: 3,3 Prozent der 15- bis 25-jährigen Beschäftigten bekamen 2010 “Hartz IV“, weil der Arbeitslohn nicht zum Leben reichte. Im Durchschnitt aller Altersgruppen lag der Wert nur bei 2,4 Prozent. „Über die gravierenden finanziellen Folgen hinaus tragen atypische Beschäftigungsverhältnisse auch dazu bei, dass die soziale Teilhabe der Menschen erschwert wird“, schreiben Kramer und Langhoff. Die berufliche Unsicherheit verhindere oft eine private Zukunftsplanung.

[Ein modifizierter Auszug.]

Quelle: Böcklerimpuls 12/2012. Julia Kramer, Thomas Langhoff: Die Arbeits- und Lebensbedingungen der jungen Generation, Arbeitspapier 260 der Hans-Böckler-Stiftung, Mai 2012

http://www.boeckler.de/impuls_2012_12_4-5.pdf http://www.boeckler.de/impuls_2012_12_4_4-5.pdf

03.08.2012, Reinhold Schramm (Bereitstellung)

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