Kurzanalyse des russischen Imperialismus – oder – Erwiderung auf H. Jacobs „Keine Restauration klassischer Art – warum Russlands oligarchischer Kapitalismus nicht imperialistisch ist“
Die Zeitschrift „Rotfuchs“ hat auf der Welle des antifaschistisches Kampfes in der Ukraine einen Artikel von Hermann Jacobs veröffentlicht unter der Überschrift „Keine Restauration klassischer Art – warum Rußlands oligarchischer Kapitalismus nicht imperialistisch ist“ (Rotfuchs Nr. 198, Juli 2014).
Wir gehen auf diesen Artikel näher ein und versuchen damit den häufig begangenen Fehler der europäischen, kommunistischen Bewegung in Bezug auf Russland zu klären.
Jacobs erklärt seine Absicht bereits in den ersten Absätzen:
„Man muss den Begriff Konterrevolution, der vor gut 20 Jahren gefunden wurde, um die Zerstörung der RGW und des Warschauer Vertrages zu erklären, in bezug auf Russland gar nicht aufgeben, sollte ihn aber relativieren.“
Ein feines Bekenntnis, er will also die Konterrevolution in der Sowjetunion relativieren! Das war dann wohl gar keine so schlimme Konterrevolution, wie es scheint. Die zahlreichen Opfer von Hunger und Kriminalität in den 90er Jahren in den Sowjetrepubliken, das Auseinanderbrechen der Sowjetunion, die Reaktivierung nationalistischer Kriege wie in Karabach, Moldova, Tschtschenien oder heute in Ukraine sind da wohl nur Kleinigkeiten! Ganz zu schweigen von der Demoralisierung der Arbeiterbewegung weltweit und des Siegeszugs des Neokolonialismus in den Ländern, die einst mit der Sowjetunion verbündet waren. Das ist alles sollte man laut Herrn Jacobs wohl nicht überbewerten, denn der Begriff „Konterrevolution“ ist ja zu relativieren.
Womit haben wir es denn laut Herrn Jacobs dann zu tun?
H. Jacobs versucht diese Konterrevolution auf seine Weise „objektiv“ zu erklären. Zunächst lehnt er auch zurecht die These ab, dass dieser Prozess nur von Persönlichkeiten (Andropow, Gorbatschow) abhängig war. Nein, es gab natürlich objektive, ökonomische Gründe für die Zerstörung der Sowjetunion.
„Es muss nach einem realen Grund erforscht werden, der das Entstehen einer neuen Fraktion in der KpdSU-Führung, aber auch in der Schicht der politischen Funktionäre und in der sowjetischen Intelligenz erklärbar macht“.
Auch dieser Gedanke ist nicht falsch! Es muss auf Basis des Marxismus-Leninismus erklärbar sein, warum in einem sozialistischem Land plötzlich eine „Schicht“ (sagen wir aber ohne bürgerliche Begriffe lieber direkt „Klasse“) von Eigentümern an Produktionsmitteln entsteht. Und es muss nach diesem Grund geforscht werden. Das macht allerdings der Autor nicht, er erklärt uns seine eigene „Sicht“, also einen Standpunkt ohne jeglichen Beweis.
„Erstens handelt es sich um deren (also Parteifunktionäre und Intelligenz – Anmerkung KI) Unzufriedenheit mit ihrer materiellen Situation, die in eine allgemeine Kritik am „sozialistischen gesellschaftlichen System“ umschlug. Der Systemrückbau bis hin zu einer gewissen Form (welche gewisse Form? Was ist das überhaupt? – Anmerkung KI) des Kapitalismus wurde von ihr bewusst betrieben, um das zu ändern“.
In der Spätphase der Sowjetunion – Aber natürlich waren einige Revisionisten sowie die „sowjetischen“ Intellektuellen mit ihrer „materiellen Lage“ nicht einverstanden. Aber nicht etwa, weil diese Lage prekär und erbärmlich wäre. Nein, alle diese Menschen genossen mehr Komfort und Wohlstand als die meisten Sowjetbürger. Sie wollten nicht nur gegenüber den „normalen“ Sowjetbürgern privilegiert und in leitenden Positionen sein, sondern auch die Klassenzugehörigkeit wechseln mit allen Konsequenzen.
Sie wollten entweder selbst persönlich das Eigentum über die Produktionsmittel ergreifen und die Arbeiter ausbeuten dürfen oder zumindest zu höheren Angestellten der Kapitalisten werden. Es geht also letztlich wieder um den Klassenkampf, der im Sozialismus nie aufhört, solange die Gefahr der Wiederherstellung des Kapitalismus besteht. Und diesen Kampf hat die aufgekommene Bourgeoisie dank des Revisionismus in der KPdSU gewonnen. Auf den schleichenden Revisionismus durch die Erweiterung der Warenwirtschaft und mehr Autonomie für die Betriebe folgte zum Ende hin dann Hand in Hand auch der ideologische Bankrott. Wozu muss man für diese Tatsache aber relativierende, unklare, bürgerliche Begriffe wie „materielle Lage“ und „Systemrückbau“ benutzen?
Aber das ist noch nicht das Schlimmste.
„Als zweiten Grund betrachte ich die Sicherheitslage des Landes. Sie war durch enorme Mittel verschlingende ständige Hochrüstung am Ende instabil geworden, weshalb führende Politiker in Moskau nach einer anderen Außenpolitik mit gesellschaftlichen Konsequenzen Ausschau hielten. Im günstigeren Falle ging es dabei um die Außenpolitik eines friedlichen, als kapitalistisch geltenden Landes, das sich von seiner sozialistischen Vergangenheit abgrenzt. In der Folge käme es weniger auf die durchgehende Kapitalisierung des Landes und mehr darauf an, dass der „westliche“ Kapitalismus es als glaubwürdig betrachtet, dass Russland ein durch Schwäche zum Kapitalismus zurückgezwungenes Land sei“.
„Nein, es ging nicht um innere Reformen, sondern um ein Signal nach außen“.
H. Jacobs meint also, die „führenden Politiker“ der UdSSR hatten einfach Angst bekommen und wollten deswegen vor dem Westen eine Art „Schmierenkomödie“ aufführen, dass man so tue als sei die UdSSR durch ihre Rückkehr zum Kapitalismus gar keine Bedrohung mehr. Aber nein, um die „Kapitalisierung des Landes“ sei es gar nicht gegangen. Die Herren Oligarchen Abramovitsch, Usmanov, Potanin, Chodorkovsky und hunderte anderer, die die sowjetischen Riesenwerke, Fabriken, Bodenschätze an sich rissen, würden sich kräftig amüsieren, wenn sie diesen Unsinn gelesen hätten. Vermutlich wären sie Herrn Jacobs zutiefst dankbar, dass dieser ihrer dekadenten Verkommenheit noch einen geradezu edlen Anstrich verpasst.
Das Volkseigentum wurde also einfach nebenbei an die Privatpersonen „geschenkt“. Millionen Menschen verloren Wohnung, Arbeit, sogar das Leben, das alles war nur nebenbei, es ging doch einfach nur um den Frieden mit den kapitalistischen Ländern – so Jacobs!
Dennoch schreibt Jacobs zu einer späteren Stelle im Artikel: „Weil es von Beginn an klar war, dass an das postsowjetische Rußland früher oder später dieselben Probleme herangetragen würden wie an die UdSSR“.
Wirrer geht es wohl nicht. Auch Jacobs sollte bekannt sein, dass die Imperialisten sich ohne gemeinsamen sozialistischen Feind gegenseitig an die Gurgel gehen, wenn die Welt vollständig unter ihnen aufgeteilt ist, wie der erste Weltkrieg bewies. Welchen Sinn hat dann seine These, dass „führende Politiker“ der Sowjetunion so dumm gewesen sein sollen, dass sie den Westen durch Preisgabe des Sozialismus hätten besänftigen können?
Die Revisionisten in der KpdSU waren keineswegs naive und leichtgläubige Menschen, die glaubten, dass der Imperialismus plötzlich „lieb und friedlich“ wird und nicht mehr die geopolitische Konfrontation mit Russland sucht.
Letztlich wäre es aber auch egal, ob jemand wie Lenin sagte, aus Dummheit oder Absicht das Handwerk der Bourgeoisie betreibt.
Nein, es ging genau um innere Reformen, um Reformen im Interesse der neuen „Elite“, der revisionistischen Parteifunktionäre, sowie der nationalen Eliten in den Republiken im Interesse der Bourgeoisie, die somit in den sowjetischen Republiken wiedergeboren war. Dieser Prozess wurde durch eine lange Kette in Gang gesetzt, mittels Reformen, die man als Verbesserung des Sozialismus verkauft hat, die ihn aber schrittweise aushöhlten.
Da die Planwirtschaft durch mit ihr unvereinbare Elemente immer schlechter funktionierte, entwickelte sich die Abwendung von ihr zu einer Art Selbstläufer. Noch mehr marktwirtschaftliche Elemente konnten damit begründet werden, dass die Planwirtschaft ja nicht funktioniere und man es nur besser machen wolle. Dieser Prozess erzeugte natürlich auch kapitalistische Elemente in der KPdSU, die in Wechselwirkung aufeinander einwirkten. Das heißt: Revisionistische Elemente wollen Reformen mit Tendenz zur Marktwirtschaft, diese marktwirtschaftlichen Reformen wiederum erzeugen neue kapitalistische/revisionistische/sozialdemokratische Elemente in der Partei usw.
Ferner fragt H.Jacobs:
„Wo steht das europäisch-asiatische Riesenland heute in gesellschaftlicher Hinsicht?“
Also ist es nun kapitalistisch, imperialistisch, oder was ist es jetzt genau?
Man könnte meinen, dass man um diese Frage beantworten zu können vor allem die Wirtschaft des Landes analysieren sollte, die Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse einschätzen. Mit so etwas gibt sich Jacobs aber nicht ab, er beantwortet die Frage schlicht und einfach:
„Man sollte sich jetzt vor allem auf Russlands Außenpolitik konzentrieren“.
Dann erklärt er, dass nicht jedes kapitalistisches Land gleich imperialistisch ist, was auch Lenin behauptet habe. Und das Russland heute zwar kapitalistisch, aber ein „gutes“ kapitalistisches Land sei. Warum? Warum sollten wir als Marxisten-Leninisten uns mit so “uninteressanten” Fragen wie den Klassenverhältnissen oder “langweiligen” Wirtschaftsanalyse beschäftigen, wenn es für Jacobs mit Vermutungen doch so einfach ist:
„ich würde noch immer von einem Primat der Politik über die Ökonomie sprechen“.
„Primat der Politik über die Ökonomie“ – das ist wirklich ein neues Wort in der marxistisch-leninistischen Wissenschaft. Denn damit verkündigt H. Jacobs das „Primat“ des politischen Überbaus über die ökonomische Basis. Die Politik des Landes, die unumstritten zum Überbau gehört, ist nach seiner Meinung primär und bestimmt alles, wobei die Basis – die Ökonomie – eigentlich unwichtig sei.
Wir können die Tatsache nicht bestreiten, dass Russland heute in einigen Situationen objektiv antiimperialistisch handelt, indem sie antiimperialistische Staaten politisch unterstützen. So hat die Russische Föderation, z.B. im Fall Syrien eine sehr positive Rolle gespielt, Präsident Assad unterstützt und mit diplomatischen Mittel dazu beigetragen hat, dass ein unmittelbarer NATO-Überfall verhindert wurde.
Russland spielt derzeit eine positive Rolle und wie H. Jacobs ganz zu Recht sagt, unterstützt es heute den antifaschistischen Kampf in der Ukraine.
Aber ist dieser Staat gleich auch an sich antiimperialistisch? Ist Russland sogar „nicht so“ kapitalistisch wie die anderen Länder?
Unterstützt Russland den antiimperialistischen und antifaschistischen Kampf aus Solidarität oder wie manche sogar sagen „moralischer Pflicht“? Oder stehen hier die ökonomischen Interessen der russischen Bourgeoisie an erster Stelle? Und auch die imperialistische Interessen des Landes, das geschichtlich und geopolitisch immer imperialistischen Interessen des Westens in Konkurrenz stand.
Auch wenn H .Jacobs das nicht für nötig hält, wollen wir zumindest einen ganz kurzen Blick auf russische Ökonomie werfen:
Nach der Forbes-Liste gibt es heute in Russland 110 Milliardäre, deren Privatbesitz 320 Mrd. Dollar umfasst. Damit steht Russland auf dem dritten Platz hinter den USA und China.
Dabei beträgt das durchschnittliche Einkommen nur ca. 630 Dollar pro Monat und selbst das gilt nur für Zentralrussland. Beispielsweise in Kalmykien beträgt das durchschnittliche monatliche Einkommen nur 295 Dollar pro Person im Monat.
Der sogenannte Gini Koeffizient zur statistischen Ermittlung von Ungleichheit beträgt für Russland 41,7 (vgl. BRD 27).[1]
Aber auf solchen Zahlen bürgerlicher Statistiker wollen wir uns nicht nur verlassen. Da H. Jacobs selbst die bekannten Werke Lenins erwähnt hat, sollten wir die Kennzeichen des Imperialismus in Erinnerung rufen:
1. Konzentration der Produktion und des Kapitals, die eine so hohe Entwicklungsstufe erreicht hat, daß sie Monopole schafft, die im Wirtschaftsleben die entscheidende Rolle spielen;
2. Verschmelzung des Bankkapitals mit dem Industriekapital und Entstehung einer Finanzoligarchie auf der Basis dieses .Finanzkapitals’;
3. der Kapitalexport, zum Unterschied vom Warenexport, gewinnt besonders wichtige Bedeutung;
4. es bilden sich internationale monopolistische Kapitalistenverbände, die die Welt unter sich teilen, und
5. die territoriale Aufteilung der Erde unter die kapitalistischen Großmächte ist beendet.
Um zu beantworten, ob Russland imperialistisch ist oder wie H. Jacobs meint es einen „noch nicht ausgereiften“ Kapitalismus hat, sollen wir jetzt überprüfen, ob die russische Ökonomie in der Weltwirtschaft als imperialistischer Konkurrent eintritt.
1. Ohne Zweifel existieren die russischen Monopole. Die Konzentration der Produktion war in der Sowjetunion sehr weit entwickelt und wurde natürlich übernommen. Das heutige Russland hat nicht hunderte Jahre gebraucht, um Monopole entstehen zu lassen– sie hat die bereits stark konzentrierte sozialistische Wirtschaft geerbt und ihr wieder Privateigentum an Produktionsmitteln übergestülpt.
In der Forbes-Liste der größten Monopole der Welt stehen 28 russische Monopole, darunter auf Platz 4: Gasprom, Platz 69: Lukoil, Platz 72: Rosneft, Platz 91: Sberbank
Der russische Staat hat großen Anteil an diesen Monopolen, an Gaspromaktien hält er eine Majorität von 50 % + 1. Der Rest gehört jedoch privaten Personen und ausländischen Investoren.
Nach ökonomischen Studien ist die russische Wirtschaft hochkonzentriert, in vielen Branchen höher als in den USA und der BRD. So beträgt z.B. der Anteil der 10. größten Monopole am BIP (Bruttoinlandsprodukt) für Russland 2006 28,9%, in den USA nur 14,1%.
Stark monopolisiert sind die meisten Branchen der Wirtschaft, vor allem die Energieversorgung, der Maschinenbau, Transport, aber auch die Lebensmittelproduktion.
In Russland haben wir es also mit monopolistischem, stark konzentriertem Kapital zu tun, klassische Anzeichen des staatsmonopolistischen Kapitalismus.
2. Die Sberbank steht in der Forbes-Liste auf Platz 91 als eine der größten Banken der Welt. Entscheidende Rollen spielen aber auch die WTB-Bank, die Alfa-Bank, sowie die Töchter-Banken der westlichen Länder, wie z.B. der Raffeisenbank.
Es existieren große Banken, die praktisch mit einem Monopol in enger Verbindung stehen bzw. dem Monopol selbst angehören. Dies wären die Gasprom-Bank, Promsvjas-Bank, Uralsib.
Die Verschmelzung des Banken- und Industriekapitals zum Finanzkapital ist also längst vollzogen. Die Finanziers in Russland stehen nicht, wie es in früheren Stadien des Kapitalismus der Fall war, abgesondert da und vergeben Kredite an die Industrie-Magnate. Nein, diese Teilung existiert schon lange nicht mehr, die Magnaten verfügen selbst über Banken. Nicht umsonst werden sie als Oligarchen bezeichnet.
So z. B. der Finanzoligarch Michail Prochorov. Er war von 1993-1998 Vorsitzender der Aufsicht der ONEKSIM-Bank, 2000-2001 Vorsitzender der ROSBank, gleichzeitig 2001-2008 war er Hauptaktionär und Generaldirektor von „Norilski Nickel“, ergreift also Profit aus der Gewinnung des Nickels. Fast alle russischen Oligarchen weisen eine ähnliche Biografie auf, die Verschmelzung der Industrie- und Bankkapital ist vollendet, die Finanzoligarchie ist als 2. Kennzeichen des Imperialismus entstanden.
3. Kapitalexport. Exportiert Russland Kapital? Gewiss tut es das. In den 90er Jahren fand zunächst eine unkontrollierte Flucht des an sich gerissenen Kapitals gen Westen statt. Die neu entstandenen Kapitalisten strebten danach, ihre geraubten Schätze in westlichen Banken zu sichern.
Aber heute, schon seit den 2000er Jahren ist dieser Kapitalfluss nach Westen relativ klein geworden (ca. 5 – 8 % des Auslandsumsatzes pro Jahr). Das Volumen der direkten Investitionen der russischen Monopole im Ausland ist enorm gewachsen und betrug 2011 362,1 Mrd. Dollar, das sind 30% des BIP des Landes und 18-Mal mehr als im Jahr 2000. Es geht um neue Industrie-Ressourcen, in die russische Kapitalisten im Ausland investieren, das heißt benutzen, um Riesenprofite in Ländern mit billigeren Arbeitskräften und Ressourcen als in Russland selbst zu erzielen[2].
4. Aspekt 4 und 5 Lenins zur Charakterisierung des Imperialismus klammern wir an dieser Stelle aus, da sie die Analyse der gesamten Welt umfassen, nicht die eines Landes für sich alleine.
Im Übrigen ist die Militärstärke von Bedeutung. Zwar ist Russland keine Riesenmilitärkraft mehr, wie es einst die Sowjetunion war, die es mit den USA aufnehmen konnte. Dennoch gehört auch das heutige Russland zu den stärksten militärischen Weltmächten: Russland hat hinter den USA und China die dritthöchsten Militärausgaben[3].
Dennoch gilt richtigerweise, dass Russland bisher eine eher verhaltene Politik führt. Es unterstützt die antiimperialistischen Nationen und ist in diesem Sinne nicht direkt mit den USA oder der NATO mit ihren ununterbrochenen aggressiven Angriffen gegen mehrere Völker der Welt auf eine Stufe zu stellen.
Es ist richtig, diese in diesem Punkt objektiv antiimperialistische Position Russlands zu unterstützen. Als Kommunisten liegt es uns fern, wie ein bürgerlicher Moralist nach der Selbstlosigkeit zu fragen. Selbstverständlich geht es der russischen Bourgeoisie auch um ihre eigenen Interessen. Die Kommunistische Initiative unterstützt selbstverständlich auch die antifaschistische Position Russlands zur Ukraine. Wem dies nicht geheuer erscheint, der möge sich noch mal das Bündnis der Sowjetunion mit dem reaktionären Großbritannien und den USA gegen den Hitler-Faschismus ins Gedächtnis rufen oder auch wer alles dem antifaschistischen Nationalkomitee Freies Deutschland gegen Hitler angehörte.
Es gibt keinen Zweifel: Die heuchlerischen Anschuldigung, Russland sei der „Aggressor“ und die Verhängung der ökonomischen Sanktionen sind eine Unverfrorenheit der Imperialisten aus den USA und der BRD. John Kerry, Außenminister der USA, meinte frei von Ironie, die Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine wäre ein schwerwiegender Fehler. Nur kurze Zeit später waren die USA wieder im Irak militärisch aktiv.
Wie kann man einerseits wieder Soldaten in den Irak abschicken und andererseits Russland dafür bestrafen, dass sie auf die Situation unmittelbar an ihrer eigenen Grenze mit diplomatischen Mitteln vorgehen? Was erwartet man als Reaktion, wenn das eigene russische Territorium beschossen wird? Wie sollte ein Land, egal welche Regierungsform und herrschende Ökonomie es hat, auf so eine unverschämte Provokation reagieren? Trotz allem hat Russland bis jetzt ihre Truppen nicht in die Ukraine einmarschieren lassen.
Zur gleichen Zeit befinden sich amerikanische und deutsche Soldaten in vielen Ländern der Welt, z.B. Irak und Afghanistan.
Dieser Doppelstandard der westlichen Bourgeoisie ist nichts Neues: Alles, was dem Westen erlaubt ist, ist für Russland strengstens verboten. Nein, Russland darf keine selbständige Politik führen und darf selbst auf eine direkte Aggression nicht reagieren. Das „Reich des Bösen“ (Evil Empire), wie US-Präsident Reagan einst die UdSSR nannte, wird wieder aus der Mottenkiste geholt.
Bis hierhin und nicht weiter können wir Herrn Jacobs voll und ganz folgen.
ABER dennoch bleibt Russland ein imperialistisches Land, mit großer Ungleichheit und gewaltiger Ausbeutung – mit einer Diktatur der Bourgeoisie. Ein Land mit eigenen Faschisten und Geheimdiensten, mit einer ausgebeuteten Arbeiterklasse und anderen Werktätigen, mit einer handvoll Superreichen, die alles bestimmen und deren Sprecher der berühmte Putin ist und bleibt. Diese Superreichen beuten aber nicht nur die eigene Arbeiterklasse aus, sondern auch die der weniger entwickelten, ärmeren Länder. Millionen Gastarbeiter schuften in Russland. Sieht so ein nicht wirklich kapitalistisches Land aus?
Es scheint so, dass es für Herrn Jacobs nur ein sehr einfaches Denkschema gibt:
Russland unterstützt eine gute Sache – sie sind die Feinde unserer Feinde – dann sind sie gut und sogar fast sozialistisch.
Während der revisionistische Wirrkopf Jacobs dem heutigen Russland seine Liebeserklärung offeriert, lehnt dieses besagte Russland sie zum Anlass des 100. Jahrestag des ersten Weltkrieges brüsk ab. Präsident Putin bezeichnete die Oktoberrevolution als einen „Verrat an den nationalen Interessen[4]“. Er behauptet zudem das damalige Russland habe „alles getan, um Europa dazu zu bringen, den Konflikt zwischen Serbien und Österreich-Ungarn friedlich und blutlos zu regeln. Russland wurde jedoch nicht gehört. Es musste die Herausforderung annehmen und das slawische Brudervolk in Schutz nehmen.[5]“
Für Jacobs dürfte dies ein Schlag ins Gesicht sein. Die Vertreter seines heiß geliebten, “gar nicht so kapitalistischen” Russlands, sehen sich selbst als Nachfolger der imperialistischen Bourgeoisie, die nach der bürgerlichen Februarrevolution von 1917 gerne weiter für ihre Interessen gemetzelt hätten und dieses Gemetzel entsprechend legitimieren.
Ja, der Feind unserer Feinde kann manchmal objektiv etwas „Gutes“ tun, er kann antiimperialistisch (gegen andere imperialistische Kräfte) und antifaschistisch wirken. Aber das ist trotzdem kein Freifahrtsschein (oder wie Jacobs sagt Relativierung) für die Konterrevolution gegen den Sozialismus, die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts, ja der Arbeiterklasse weltweit!
Zusammenfassend stellen wir fest:
– JA, Russland wirkt in seiner Außenpolitik derzeit antiimperialistisch (gegen die Interessen anderen, stärkerer imperialistischer Mächte) und wahrt (noch) das Selbstbestimmungsrecht der Nationen.
– JA, wir unterstützen diese objektive antiimperialistischen Handlungen, wir unterstützen und begrüßen das antifaschistische Wirken Russlands im Fall der Ukraine und finden, dass Russland das Recht hat, seine eigene Grenzen zu verteidigen und die eigenen Landsleute zu schützen.
– JA, wir finden die Position des westlichen Imperialismus gegenüber Russland heuchlerisch und aggressiv.
DENNOCH,
– JA, Russland ist ein imperialistisches Land mit vollständig „ausgereiftem“, aggressivem und ausbeuterischen, ganz gewöhnlichem Kapitalismus.
Wer sich Marxist-Leninist nennt, der muss sich dieser Komplexität bewusst sein. Es ist absolut unnötig, Russland für seine unterstützenswerte antifaschistische und teilweise antiimperialistische Politik zum „weißen Engel“ zu erheben und die Niederlage des Sozialismus zu „relativieren“! Das ist das Gegenteil von Klarheit und stiftet nur Verwirrung!
Es ist doch ein Unterschied wenn es sich um wissenschaftliche Gesetzmäßigkeiten handelt, der Kampf zwischen Sozialismus und Imperialismus und wer dort auf welcher Seite steht – und – auf der anderen Seite was Kommunisten strategisch und taktisch in ihrem Land tun müssen um für den Frieden und gegen den Faschismus zu kämpfen.
Jacobs schließt seinen Artikel mit folgender Aussage:
“70 Jahre nach der Oktoberrevolution gab es auf sowjetischem Boden keine Bourgeoisie mehr, was zu Folge hatte, daß ein Umsturz auch nicht von ihr vollzogen werden konnte. So existiert im heutigen Russland zwar die parasitäre Schicht der Oligarchen und eine Vielzahl von Neureichen, aber noch kein ausgereifter Kapitalismus.“
Diese Aussage ist lächerlich. Wurde denn nie vor der möglichen Konterrevolution im Windschatten der Warenproduktion gewarnt? Wurde der „demokratische Sozialismus“ nie als Gefahr wahrgenommen? Haben die Klassiker nie vor „kleinbürgerlichen Elementen“ in den Arbeiterparteien gewarnt? War es nicht klar, dass die vertriebenen Ausbeuterklassen ihre Niederlage nicht so ohne Weiteres akzeptieren würden, solange es den Imperialismus noch gibt? Ist es nach den Renegaten Kautsky und Bernstein neu, dass sich der Klassenkampf nach der sozialistischen Revolution verschärft und kein gemütlicher Spaziergang wird?
Offenbar für Jacobs schon, gemäß dessen naiven Erklärungsversuchen die Bourgeoisie wohl den Kampf einfach aufgibt wenn in einigen Teilen der Welt Sozialismus erstritten wird und sie auch bestimmt ganz brav sind, nicht wiederkommen und nichts versuchen kaputt zu machen…Schließlich sind für ihn die Oligarchen keine richtigen Kapitalisten, sondern nur eine „parasitäre Schicht“.
Beuten die Oligarchen die Arbeiterklasse aus oder nicht, Herr Jacobs? Wenn nicht, dann sind sie nur eine unbedeutende Schicht, aber woher haben sie dann ihre Milliarden? Wenn aber doch, dann sind sie logischerweise die Klasse der Bourgeois mit allen Folgen, die daraus entstehen: Elend, Imperialismus und Krieg. Auch wenn sie im Moment nicht so stark wie der US-Imperialismus sind und sich keine Großoffensive leisten können.
Auch wenn die Kapitalistenklasse in der UdSSR eine Zeitlang kaum handlungsfähig war – es entwickelten sich neue pro-kapitalistische Kräfte, die alten kamen zusätzlich wieder zurück und nun existieren und regieren sie! Und von „nicht ausgereiftem“ Kapitalismus in Fall Russlands zu sprechen bedeutet die Macht der sowjetischen Wirtschaft zu verleugnen. Die sowjetische Ökonomie gehörte zu den stärksten Ökonomien der Welt und das heutige Russland, welches diese Macht geerbt hat, ist nicht vergleichbar mit dem „nicht ausgereiftem“ Kapitalismus eines unentwickelten Landes, in dem noch die Feudalherren und Analphabetentum existieren. So ist es mit Russland nicht!
Wir orientieren uns bei der Einschätzung Russland keineswegs auf solche rein spekulativen Annahmen, sondern auf die Position der Russischen Kommunistischen Arbeiterpartei (RKAP), die die Lage im eigenen Land am besten kennt und dies durch den theoretisch-wissenschaftlichen Stand der alten sowjetischen Marxisten sehr gut einschätzen kann.
So erklärte die RKAP bezüglich der Situation auf der Krim im Frühling 2014:
Als die Staatsmacht und die regierende Partei vom Sozialismus in die Richtung des sogenannten Marktes und des Kapitalismus abwich, kamen auch die Kapitalien; kamen die Händler und Unternehmer, die jetzt die Märkte teilen und für ihre Profite und ihren Einfluss kämpfen, indem sie die einfachen Menschen auf die Schlachtfelder zwischen den Nationen werfen.
Dieser Weg zum Kapitalismus hat die UdSSR zerstört und brachte in ihre Länder Kriege und Blut. Sumgait und Karabach, Tadschikistan und Pridnestrowje, Tschetschenien und Abchasien, Südossetien, und jetzt auch noch die Ukraine. Das alles sind die Glieder einer Kette. Das ist das Produkt der Kapitalisierung der Gesellschaft. Wenn man fragt: – „Wer ist schuld?“, – lautet die einfache und richtige Antwort: „Der Kapitalismus!“[6]
Und weiter:
„Heute erklärt sich das bürgerliche Russland bereit, seine Bürger und die ukrainische Bevölkerung vor Faschisten und Banditen zu schützen. Wir müssen aber klar stellen, dass die Interessen des werktätigen Volkes an der letzten Stelle dieser Erklärung stehen, dass sie vom russischen Imperialismus in seinem Kampf für den Einfluss in der Ukraine und in der Welt nur als Propaganda ausgenutzt werden.
Wir sind uns darüber klar, dass auch in Russland selbst der Kapitalismus bereit ist, seine Herrschaftsform von der bürgerlichen Demokratie zu wechseln und an ihrer Stelle eine terroristische, faschistische Diktatur herzustellen. Es ist traurig, sich diese Freude des Volkes [auf der Krim] anzusehen, wenn die Bandera-Fahnen durch die Wlassow-Fahnen ersetzt werden. [Anmerkung des Übersetzers: Sowohl Bandera als auch Wlassow waren Nazi-Kollaborateure. Wlassows „Russische Befreiungsarmee“ nutzte u. a. die Fahne des heutigen Russlands.]
In dieser Situation unterstützt die RKAP die Selbstorganisation des Volkes der Ukraine und der Krim im Kampf gegen die Faschisten. Die Kommunisten erkennen das Recht der Nationen der Krim und der ukrainischen Regionen auf Selbstbestimmung, auf Organisation des Kampfes und auf die eigenständige Machteroberung an.
Sollten die Möglichkeiten des eigenständigen Schutzes der Bevölkerung durch die faschistischen Kräfte überwältigt werden, hält es die RKAP für annehmbar, dass die äußeren Kräfte sowie die Möglichkeiten der bürgerlichen Demokratie auf Wunsch von Volk und Machthabern der Krim angewendet werden. Das gilt auch für die Drohung der Anwendung militärischer Gewalt durch Russland, nur mit dem Ziel, der Bedrohung des Faschismus etwas entgegenzusetzen. Das muss auch auf die nicht legitime bürgerlich-nationalistische Regierung der Ukraine ihre Wirkung zeigen. Nur die Bereitschaft Gewalt anzuwenden, kann die Faschisten zur Vernunft bringen, sie verstehen keine andere Sprache, wie die versöhnlerische Politik von Janukowitsch bereits bewies.“[7]
Wir teilen vollständig die Position der russischen Genossen und wir würden ihr Kampf verraten, wenn wir sagen, dass es in Russland „keinen ausgereiften Kapitalismus“ und „nur eine parasitäre Oligarchen-Schicht“ gibt.
Solidarität mit den russischen Kommunisten und der russischen Arbeiterklasse!
Kein Verzeihen und keine Relativierung der Konterrevolution und der Bourgeoisie in Russland und der ganzen Welt!
Nieder mit dem Revisionismus – denn nur über seine Leiche wird eine neue Arbeiterbewegung auferstehen!
[1] http://ruxpert.ru/%C7%E0%F0%EF%EB%E0%F2%FB_%E2_%D0%EE%F1%F1%E8%E8
[2] http://www.perspektivy.info/rus/gos/rossijskij_kapital_v_sisteme_globalnyh_investicionnyh_potokov_2013-11-19.htm
[3] http://de.statista.com/statistik/daten/studie/157935/umfrage/laender-mit-den-hoechsten-militaerausgaben/
[4] http://www.redglobe.de/europa/russland/9858-russische-dolchstosslegende-rede-von-praesident-wladimir-putins-zum-jahrestag-des-ersten-weltkrieges
[5] http://de.ria.ru/vergessenheit_krieges_neuigkeiten/20140801/269172525.html
[6] http://kommunistische-initiative.de/index.php/28-kommunistische-initiative/artikel/1714-erklaerung-des-politischen-sowjets-des-zk-der-rkap-kpdsu-ueber-die-kriegsbedrohung-in-der-krim-ukraine-und-in-der-welt
[7] ebenda