Aufklärung über die Rabulistik der Schlagzeilen

Zur “Erwerbsquote der Über-60-Jährigen hat sich mehr als verdoppelt“ – und damit zur “Rente mit 67″

Aspekte zum gesellschaftspolitischen und ökonomisch-ideologischen Gefälligkeitsschwindel für die jeweils regierende Politik (nicht nur) bei der Bundesagentur für Arbeit.

Auf der Internetseite beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit heißt es am 6. August 2012, unter dem Titel „Erwerbsquote der Über-60-Jährigen hat sich mehr als verdoppelt“: „In den letzten 20 Jahren hat sich die Erwerbsquote der 60- bis 64-Jährigen mehr als verdoppelt. Während sie im Jahr 1991 noch bei 20,8 Prozent lag, stieg sie bis zum Jahr 2010 auf 44,2 Prozent. Entscheidend dazu beigetragen hat die höhere Erwerbstätigkeit von Frauen.“ (Vgl.) [1]

In der Presseinformation kommt es im zweiten Absatz zu einer Annäherung an die Realität. Hier heißt es: „Auch die Verbesserungen im Gesundheitszustand der Älteren sowie die veränderten politischen Rahmenbedingungen bei der Frühverrentung und den Vorruhestandsregelungen begünstigen den Anstieg der Erwerbsbeteiligung bei den Älteren, so das IAB.“ (Vgl.) [2]

In der IAB-Studie heißt es: „Alleine in der Gruppe der 45- bis 49-Jährigen ist die Zahl der Erwerbspersonen von 3,9 Mio. auf 6,3 Mio. gestiegen. Bei den 60- bis 64-Jährigen hat sich ihre Zahl sogar mehr als verdoppelt; hier ist folglich auch der relativ stärkste Anstieg zu beobachten.“ (S. 3.)

Erwerbsbeteiligung und “Veränderung der politischen Rahmenbedingungen“

Aber auch in der wissenschaftlichen IAB-Studie lichtet sich die Realität zur statistischen „Erwerbsbeteiligung bei den Älteren“ zwischen Ursache und Wirkung. So heißt es in der Studie: „In der Altersklasse der 60- bis 64-Jährigen hat sich die Erwerbsquote sogar von 20,8 auf 44,2 Prozent mehr als verdoppelt. Die höhere Erwerbsbeteiligung bei den Älteren ist auf verschiedene Ursachen zurückzuführen. Dazu zählen die Bereitschaft zu längerer Erwerbstätigkeit, die insgesamt höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen während und nach der Familienphase, eine bessere Gesundheit, der Wunsch nach Aufbesserung der Rente, aber auch die Veränderung der politischen Rahmenbedingungen. So wurden etwa Frühverrentung und Vorruhestandsregelungen im Zuge der Reformen der Jahre 2002 bis 2005 seither restriktiver gehandhabt und wahrgenommen. Ein bedeutender Anteil dieses Anstiegs geht allerdings mit der Zunahme der atypischen Beschäftigung einher (Wingerter 2010).“ (Vgl. S. 2-3.)

Zunahme der Beschäftigungsquote = Zunahme der Teilzeitbeschäftigung = Reduzierung der Altersrenten = Zunahme der Altersarmut

Entgegen den gesellschaftspolitisch von den bürgerlichen Parteien und der Bundesregierung erwünschten Schlagzeilen kommt die IAB-Wissenschaft auch zum Hintergrund für die statistische (zahlenmäßige) Steigerung der „Erwerbsquote der Über-60-Jährigen“. In der IAB-Studie heißt es in diesem Zusammenhang erhellend und damit durchaus aufklärend:

In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass mit steigender Partizipation am Arbeitsmarkt nicht automatisch auch das in Arbeitsstunden gemessene Arbeitskräfteangebot (Arbeitsvolumen) in Deutschland zugenommen hat. Die Arbeitszeit bleibt bei unserer Analyse der Erwerbsbeteiligung außen vor. Insofern sind aus der Personenbetrachtung keine Rückschlüsse über den zeitlichen Umfang der ausgeübten Tätigkeiten möglich.“

Eine Zunahme (bzw. Abnahme) der altersspezifischen Erwerbstätigkeit impliziert also nicht automatisch auch eine Zunahme (bzw. Abnahme) des altersspezifischen Arbeitsvolumens.“

So kommt Wanger (2011) in ihren Berechnungen zu dem Ergebnis, dass im Zeitraum 1991 bis 2010 das Arbeitsvolumen der abhängig Beschäftigten in Deutschland zurückgegangen ist. Dies lässt sich im Wesentlichen darauf zurückführen, dass die Zahl der vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer gesunken ist und gleichzeitig die Zahl der Teilzeitbeschäftigten zugenommen hat.“ (Vgl. IAB-Studie, S. 3.) [3]

Quelle: [1] IAB – Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit, 6. August 2012: Erwerbsquote der Über-60-Jährigen hat sich mehr als verdoppelt

http://www.iab.de

[2] IAB – Presseinformation, 6.8.2012: Erwerbsquote …

http://www.iab.de/de/informationsservice/presse/presseinformationen/kb1012.aspx

[3] Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB-Kurzbericht, 10/2012: Demografischer Wandel der letzten 20 Jahre, Alterung der Bevölkerung hat sich kaum auf die Arbeitslosigkeit ausgewirkt. Studie von Alfred Garloff, Carsten Pohl und Norbert Schanne

http://doku.iab.de/kurzer/2012/kb1012.pdf

Nachtrag

Zur “Semantik“ heißt es unter anderem bei Wikipedia: „… auch Bedeutungslehre, nennt man die Theorie oder Wissenschaft von der Bedeutung der Zeichen. Zeichen können in diesem Fall Wörter, Phrasen oder Symbole sein. Die Semantik beschäftigt sich typischerweise mit den Beziehungen zwischen Zeichen und Bedeutungen …“ (Vgl. Semantik)

Zur “Semiotik“ heißt es u.a.: „… ist ein Teilgebiet der philosophischen Erkenntnistheorie, der Wissenschaftstheorie und der Sprachphilosophie sowie der Sprachwissenschaft. …“ (Vgl.)

Zu den (ideologischen und gesellschaftspolitischen) “Sophisten“ heißt es: „Die Sophisten … waren eine Gruppe von … Gelehrten, die … unter der Bezeichnung Lehrer der Weisheit und der schönen Rede eingegangen sind. Sie waren auf vielen Wissensgebieten bewandert, … und vermittelten ihr Wissen oft gegen Bezahlung. {…} Rhetorische Figuren, die nicht wahrheitserhaltend verfahren, sondern Fehlschlüsse veranlassen sollen, werden oft als Sophismen bezeichnet. Im bildungsbürgerlichen Diskurs … wurde Sophisterei auch als abwertende Bezeichnung für Rabulistik verwendet.“ (Vgl. Sophisten)

Anmerkung: Mit der Aufhellung der aktuellen gesellschaftspolitischen und ökonomisch-ideologischen Spitzfindigkeiten (Rabulistik im Dienste der Quandtschen und Hundtschen Ökonomie) der staatlichen Behörden und der nBundesregierung – im Kapital- und Verwertungsinteresse – sollte sich nicht nur das Parlament beschäftigen.

Trotz alledem!

07.08.2012, Reinhold Schramm

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