Die Stunde Null und das Jahr Eins

Als der Startschuss für die Kommunistische Initiative fiel, war nur die Notwendigkeit des Impulses klar. Es mangelte an allem. Das organisatorische Rüstzeug gemäß der heutigen Bedingungen fehlte, es fehlten Machbarkeitsanalysen und ein wirksamer Apparat. Nur dank solider theoretischer Vorleistung der unbeirrt voranschreitenden Zeitschrift offen-siv bestand das notwendige Verständnis für die MÖGLICHKEIT eines kommunistischen Neubeginns.
Dieser stellte sich uns – den Begründern der KI – als Aufbruch dar, aus dem politisch-ideologischen Sumpf eines flächendeckend wuchernden modernen Revisionismus sowie des daraus folgenden organisatorischen Defizits der deutschen kommunistischen Bewegung.
Die am weitesten fortgeschrittenen Kommunisten sammelten sich als Leserschaft von offen-siv – vergleichbar etwa dem RotFuchs-Sammeln, aber – zunächst diesem ebenfalls vergleichbar – als konzeptionslose, offene konsumtive Gemeinschaft ohne politische Konsequenz. Nun bewies unsere Formel der Einheit von revolutionärer Theorie und revolutionärer Praxis wieder ihre Schlüssigkeit. Aus nahezu allem Richtigen, was offen-siv aufgezeigt hatte, MUSSTE die logische Schlussfolgerung des Handelns erwachsen, aus der allgemeinen Herausforderung folgerte der Kreis um offen-siv den konkreten Fortschritt. Nicht allein die Lektüre von offen-siv diente der Erkenntnis, zugleich atmete die Zeitschrift – und fährt darin fort – den Geist der leninschen Orientierung eines Parteiorgans (sozusagen in dessen Urstadium), hob nicht den Zeigefinger, verlor sich nicht, sondern behielt bei allem das Organisieren im Auge. Entscheidenden Erkenntnissprung danken etliche offen-siv – Leser nicht der Zeitschrift allein, sondern deren Sonderveröffentlichungen und der lebendigen politischen Arbeit des Herausgebergremiums sowie dem Einblick in so fundamentale Schriften wie der „Taubenfußchronik“ von Kurt Gossweiler. Mit unbestechlichster Präzision untersucht Gossweiler hier die Irrungen und Wirrungen der Kommunisten seit den fünfziger Jahren und enthüllt den konterrevolutionären Umsturz 1989/90 in Europa als zwangsläufigen Endpunkt eines Prozesses, der in den fünfziger Jahren begann. Wie plastisch traten nun entscheidende Zerstörungsstrategien des Imperialismus hervor! Wie deutlich wurde nun die saft- und kraftlose Implosion des Warschauer Vertrages als Werk kontinuierlicher Unterminierung des Klassengegners und ideologischer Fäulnis greifbar!
Vor zehn Jahren konnte man den Genossen Kurt Gossweiler beeindruckt hören, in Berlin auf der Konferenz anlässlich des fünfzigsten Jubiläums der DDR, natürlich von offen-siv maßgeblich organisiert. Dort war „Wider den Revisionismus“ zu erhalten – eine Gossweilersche Zusammenfassung und für manchen das erste Aufreißen des Nebels – für manchen, der infolgedessen angespannt die Entwicklung der kommunistischen Bewegung beobachtete. Deutlich schien, dass diese grundsätzlichen Klärungen – und dadurch Wegweiser – ihre Zeit benötigten, um Kreise zu ziehen und zu wirken. Jedoch: Die Abläufe der imperialistischen Zerstörungsstrategien ließen sich nun beim besten Willen weder leugnen, noch deren Agenten in wichtigen Stellungen des Sozialismus weiter als „subjektivistisch-idealistische Trottel“ verniedlichen, noch übersehen. Die wirkliche Klärung in der kommunistischen Bewegung war eine Frage der Zeit. Je bekannter vor allem die Gossweilerschen Analysen und Schlüsse wurden, desto öfter und kompromissloser mussten (und müssen) sich Kommunisten nun daran messen lassen – und desto weniger kommen sie um den praktischen Schritt herum; aus dem Dilemma heraus. Unbedingt aber bedarf es des Keimens für das Wachstum.
Um den ersten Schritt herum, ohne politisch-ideologische Bereinigung, kann es kein Wachstum geben, weil diese die Grundbedingung für gesunde Strukturen und für wirksame politische Arbeit ist. Diese Sauberkeit ist eine Frage von Inhalt dem Wesen nach; keine Frage von Sterilität oder gar nur der Proklamation, wie gewisse Teile der deutschen kommunistischen Bewegung es auch versuchten, indem sie gewissermaßen den zweiten Schritt vor dem ersten unternahmen, unter der antileninistischen Losung „Ohne Kompromisse!“.
Die Stunde Null, die der neuen wirklichen kommunistischen Bewegung vorausging, wird mancher als verloren ansehen, aber auch diese, nunmehr zwanzigjährige, „Pause“ war offenbar notwendig; für tiefere Einblicke der (fortgeschrittensten) DDR-Erfahrenen in die revisionistische Fäulnis der schließlich eng mit der DDR verbundenen DKP und deren Verweigerung einer konsequenten Rückbesinnung auf die Wissenschaftlichkeit des Sozialismus. Sie war notwendig für die vormals (und noch) in der DKP Organisierten, um im politischen Alltag den opportunistischen Charakter dieses Reliktes aus der Zeit des „Streites der Ideologien“ zu erkennen, die Verzweiflung über Demontage der DKP durch den Parteivorstand mit seinen schwülstigen Papieren reifen zu lassen, ebenso wie durch dessen konsequent verweigerte Analytik, demzufolge auch verweigerte Handlungsorientierung. Die zwanzigjährige Pause war notwendig auch, um Seitenwege als Abwege, als Sackgassen, zu erkennen. So war die einheitliche (und das heißt vor allem marxistisch-leninistische) kommunistische Partei nicht zu bekommen.
Die nachkonterrevolutionäre Erfahrung einer modernen, übergreifenden Reaktionsperiode war auch für die Bourgeoisie neu, wodurch der reale Sozialismus spürbar nachhallte. Auch festere (und einsichtslosere) Charaktere sahen sich dem Sirenengesang der Verbürgerlichung ausgesetzt samt Häuslebau und Reisewut auf Pump. Einige haben diese Prüfung nicht bestanden. Schwerer wog (und wiegt) jedoch der theoretische Wildwuchs, der, ein halbes Jahrhundert alt, seit 1990 ideales Klima fand, wucherte und metastierte. Uralte Illusionen über den Imperialismus erschienen uns geisterhaft und real, Kautsky und Bernstein erstanden auf und lehrten uns gruseln.
Andererseits waren auch gemeinsame Verständigungsformen zu finden. Und vielleicht führten bei manchem erst die offensichtlich imperialistischen Aggressionskriege, vor allem die Bombardierung Jugoslawiens, zur Beendigung des Schlafes der Vernunft. Aber wie der Erwachende zuerst seine Augen reibt, blieb auch für die weitere Reifung Zeit zu veranschlagen, musste sich der Betreffende doch zurechtfinden in der Welt; offenbar ihrem Wesen nach dieselbe, die er einst in der SED-Parteischule theoretisch erfahren, und die dabei völlig neue Herausforderungen erzwang. Die Zahl deutscher Kommunisten „auf der Suche“ nahm nun gravierend zu, der gesellschaftliche Rahmen verschärfte sich, während die Selbstzerlegung einer ideologisch verfaulten und sich selbst zerfressenden DKP groteske Formen annahm, deren Parteivorstand im chaotischen Programmstreite nicht einmal mehr Parteitagsbeschlüssen Beachtung schenkte.
Den nunmehr wirklichen Schritt ins politische Sein gingen die ersten Genossen der KI anlässlich einer offen-siv – Herausgebertagung und angesichts eines aktuellen und historisch unterlegten Vortrages des Genossen Otto Bruckner über die KI in Österreich. Dieser wirkliche Schritt entsprach nun den gewachsenen Bedingungen. Konnte er greifen? Würde die Initialzündung in der BRD sichtbar? Kein Mensch konnte das mit letzter Sicherheit beantworten. Aber selbst, wenn der Motor nicht angesprungen wäre, selbst bei einer Wegstrecke des Schiebens und der fortdauernden Unsicherheit: Es war notwendig, nun den ersten Schritt zu gehen, weil alle Umstände es nahe legten. Und zudem gab es eine vergleichbare Initiative, die politisch-ideologische Bereinigung organisatorisch umsetzte, die Kommunistische Initiative Österreichs.
Das Kollektiv der zukünftigen KI fand sich schnellstens zusammen, auf eine Weise, die Mut stiftete. Unverkrampft, ohne formalistische Reibungen, im einhelligen Bestreben, wirkliche Bewegung zu vollziehen – und anzuregen, gründete die Überzeugung, erfolgreich zu werden, auf dem Kern der KI-Konzeption. Dies war die neue, erstmals praktizierte Methode der Vereinigung ÜBER Partei-Grenzen hinweg; mit ebenso wenig Rücksicht auf solche wie Angriff gegen solche. Der Blick auf die künftige einheitliche und revolutionäre kommunistische Partei gebot das. Nun lag – und liegt – der Ball bei jedem Kommunisten selbst: Bist Du Teil der EINHEIT der Kommunisten? Dieses Vorgehen war umstandslos, in der Tat alternativlos, in der taktischen Zielstellung der vollständige und zugleich einzig richtige Kompromiss und deshalb in der praktischen Konsequenz kompromisslos: Für oder gegen die gemeinsame kommunistische Partei? Jeder bleibt auf seinem Posten und wirkt dort für die Einheit der Kommunisten auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus. Bei näherer Prüfung kann der Schluss nur sein: Alles andere steht dem gegenüber – alles andere ist faktisch Spaltung.
Seit dieser wahrlich historischen Herausgebertagung ist ein Jahr vergangen.
Hätte nicht das Internet seine Rolle als universelles Kommunikationsinstrument übernommen, wären wir vielleicht noch nicht auf dem heutigen Stand. Alle seine Möglichkeiten wurden beachtet. Die Geburtsfehler des Vorläufigen Organisationskomitees wurden rasch und völlig unbürokratisch behoben. Unsere Konzepte waren oft mangelhaft, denn sie konnten nur anhand der oft neuartigen Aufgaben entworfen werden. Aber sie wurden so rasch wie möglich korrigiert. Mit der Zunahme an Unterstützern war ab Frühsommer 2009 in der bisherigen Weise nicht weiter voran zu kommen. Eine zweite Restrukturierung musste wirksam werden und der Organisationsstab formte sich erneut um. Die Genossen werden nun regelmäßig mit dem „newsletter“ der KI versorgt, die Organisation an lokalen und regionalen Schwerpunkten greift um sich. Die KI-Homepage gibt zentrale Orientierung vor, bundesweit, ja europaweit und sogar weltweit ist die KI an der Unterstützung und Verknüpfung fortschrittlicher Entwicklungen beteiligt. Man kann ruhigen Gewissens sagen: Wer die KI hierzulande nicht zur Kenntnis nimmt, ist über die kommunistische Bewegung des Landes nicht informiert. Lokale Ortsgruppen und Regionalverbände entstehen. Die parallel verlaufende Weiterentwicklung kulturtheoretischer Aspekte des Marxismus-Leninismus dieser Tage erlaubt der KI bald eigene, neue Ausdrucksformen.
Und weiter fließt Bestätigung des geradlinigen Kurses der KI durch den Zustrom der bewusstesten Genossinnen und Genossen. Notwendig ist, sich für Unterlassungen, für vielleicht verspätet oder nicht passend beantwortete Fragen und Forderungen in der Frühphase gegenüber unseren Mitgliedern zu entschuldigen. Wir können nun sagen, dass dies der Vergangenheit angehört.
Nicht überall ist der Erfolg gleichermaßen wirksam. Organisationspolitische Zielstellungen wurden an einem wichtigen Punkt nicht erreicht, während zunehmend flächendeckend Interesse und Aufmerksamkeit für die KI zu bemerken sind.
In absehbarer Zeit, voraussichtlich noch dieses Jahr, wird das „Vorläufige Organisationskomitee“ verschwinden. Die Stärkung der KI erlaubt die bundesweit demokratische Wahl eines Leitungsgremiums, die Herausbildung von Arbeitsstrukturen, welche die „Phase der Improvisation“ beenden und kontinuierliche politische Arbeit übernehmen werden – für eine starke kommunistische Partei in Deutschland.

Thomas Waldeck

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