AG Bildung: Die einfache Reproduktion des Kapitals

Im Rahmen der AG-Bildungsbeiträge haben wir uns bisher sowohl stofflich als auch wertmäßig ausschließlich mit der Produktion von Waren beschäftigt. Die Herstellung von Produkten für den Verbrauch durch die Bevölkerung zwingend notwendig, wenn sich eine Gesellschaft nicht in einem Zustand des gesellschaftlichen Rückschrittes entwickeln will. Die Produktion von Gütern setzt voraus, dass ein Teil der Produktenwertes als Ersatz für die verbrauchten Produktionsmittel für den kommenden Produktionszyklus bereit gestellt werden muss. Anders formuliert ist ein Produktionsprozess zugleich ein Reproduktionsprozeß.  

Vergegenwärtigen wir uns die Frage der Reproduktion anhand eines einfachen Beispiels. Ein Sägewerk fällte 2009 10.000 Bäume mit Kettensägen, schälte mittels Hobelmaschinen die Rinde vom Stamm und sägte mit Hilfe von Bandsägen die Stämme in verkaufsfertige Bretter. Während der Herstellung der Bretter werden die zahlreichen Arbeitsmittel (Kettensägen, Hobel, etc.) abgenutzt und deren Werte entsprechend dem Wertverlust zur Herstellung einer bestimmten Menge Bretter auf diese übertragen. Weiterhin werden Betriebsmittel wie z.B. Benzin und Strom für den Betrieb der Kettensägen, Hobelmaschinen, etc. verbraucht. Um im nächsten Produktionszyklus in dem bisherigen Produktionsumfang sicher zu stellen, muss der Besitzer des Sägewerkes die stofflichen Bedingungen der Arbeitsmittel, Betriebsstoffe, etc. für das Jahr 2010 genau in Umfang wiederherstellen (= reproduzieren), die dem Wertverlust des vorherigen Umschlages (d.h. 2009) entspricht. Neben den Anteil der konstanten Kosten (c) in Form der Produktionsmittel muss sich auch die Arbeiterklasse als Anteil der variablen Kosten (v) reproduzieren. Die Physis der Arbeiter muss wiederhergestellt werden, der Ausbildungsstand muss dem von 2009 entsprechen, etc. Der Lohn des Arbeiters erfüllt dem Kapitalisten genau dem Zweck der Reproduktion, die Ausführung bleibt dem Arbeiter überlassen. Der während der einfachen Reproduktion geschaffene Neuwert (m) fließt vollständig in den individuellen Konsum des Kapitalisten.
Voraussetzung für die Fortsetzung des Produktions- und Zirkulationsprozesses ist der Verkauf des Produktes und die Realisierung des Produktenwertes

= c + v + m.

Der soeben beschriebene Ablauf wird als einfache Reproduktion bezeichnet. Die einfache Reproduktion impliziert, dass die wertmäßige und stoffliche Zusammensetzung des variablen und konstanten Kapitals zwischen mindestens zwei Produktionszyklen keinen quantitativen und qualitativen Veränderungen unterliegt. Die Prozesse zwischen zwei Umschlägen laufen auf einer Ebene ohne Wachstumsdynamik ab; selbst die Intensität der Arbeit oder die Organisierung des Produktionsablaufes entsprechen sich über den betrachteten Zeitraum. Die einfache Reproduktion ist die Voraussetzung dafür, dass sich unser Sägewerk auf der gleichen Stufenleiter reproduziert, denn es werden im darauffolgenden Jahr genau die Bäume geschlagen und bearbeitet wie im vorherigen Produktionszyklus. Sie impliziert aber auch die gleichen Anteil des Mehrwertes am Produktenwert.  
Selbstverständlich wird nun eingewendet, dass die beschriebenen Verhältnisse der einfachen Reproduktion nicht die Realität im Kapitalismus widerspiegeln, denn der Kapitalist will ja gerade seinen Profit maximieren und seinen Reichtum vergrößern. Das ist die Logik der kapitalistischen Produktionsweise. Die Profitmaxierung ist in der Tat nicht mit der einfachen Reproduktion zu erreichen. Die einfache Reproduktion stellt vielmehr eine wissenschaftliche Abstraktionsebene dar, denn die Verhältnisse, in denen produziert wird, bleiben über einen Zeitraum t nicht konstant. Die einfache Reproduktion erlaubt es allerdings, sich in Kenntnis der Wertübertragungen den realen Verhältnisse zu nähern. Als Information schon vorab: Im nächsten Beitrag der AG Bildung wenden wir uns der erweiterten Reproduktion (bzw. der Akkumulation) zu, die die reale Verhältnisse im Kapitalismus widerspiegelt.  
Unser sich reproduzierendes Sägewerk ist insofern auch ein sehr einfaches Beispiel, als das wir bisher die einfache Reproduktion auf einer individuellen Ebene, d.h. bezogen auf ein isoliert produzierendes Werk betrachtet haben. Sehr viel komplexer ist die Reproduktion auf einer gesellschaftlicher Ebene.
Die Summe der in einer Gesellschaft hergestellten Produktions- und Konsumtionsmittel pro Zeiteinheit ergibt einen Wert, der den folgenden drei Kategorien zugeordnet werden muss und zwar proportional in dem Umfang, wie es dem in der Produktion verbrauchten
Wert entspricht:  

einem Wert, der als Reproduktion des konstanten Kapitals (c) in Form von Betriebsmittel, Maschinen, etc. in der Produktion verbleibt
einem Wert, der zur Reproduktion des variablen Kapitals (v) als Arbeitslohn zu Konsumzwecken gezahlt wird
einem Mehrwert (m)

Weiterhin ist es erforderlich, die in einer Gesellschaft hergestellten Güter ihrem Wesen resp. ihrer Naturalform zuzuordnen, denn für den Fortbestand einer Gesellschaft ist sowohl die Herstellung von Produktionsmitteln (Abteilung I) als auch von Konsumtionsmitteln (Abteilung II) notwendig. Es stellt sich nun die Frage, wie für jeden Teil des gesellschaftlichen Produktes sowohl dem Wert nach (d.h. c, v und m) als auch der Naturalform nach (d.h. Produktionsmitteln Abt I und Konsumtionsmittel Abt. II) Ersatz geschaffen wird. Es zeigte sich, dass unter den Bedingungen der einfachen Reproduktion das variable Kapital und der Mehrwert der Abt. I sowie die in der Abt. II produzierten Konsumtionsmittel den gleichen Wert ergeben muss:  
I (v + m) = II c.

Beim gegenseitigen Austausch dieser Wertgrößen erhalten die Arbeiter (und die Kapitalisten) der Abt. I Konsummittel und im Gegenzug die Kapitalisten der Abt. II Produktionsmittel in Form des konstanten Kapital für die neue Produktion. Daraus resultiert, dass in der ersten Produktionsperiode die materiellen Voraussetzungen für den folgenden Produktionsabschnitt gelegt sein müssen. Diese Bedingungen der gesellschaftlichen Reproduktion beziehen sich sowohl auf die Produktionsmittel als auch auf die Konsumtionsmittel.
Ein Problem ergibt sich nun dadurch, dass ein betriebswirtschaftlich isoliert denkender und handelnder Kapitalist seine betrieblichen Entscheidungen nicht unter der Prämisse der gesellschaftlichen Notwendigkeiten trifft. Es interessiert den Kapitalisten faktisch nur in untergeordnetem Maße, und zwar in dem Umfang, als dass es für seinen Betrieb von Relevanz ist, ob der Reproduktionsgrundsatz auf der gesellschaftlichen Ebene eingehalten wird oder nicht. Sein Handeln – und auch das aller anderen Kapitalisten – ist ausschließlich profitorientiert. Kapitalisten haben daher nur an den Investitionen ein Interesse, die ein Maximum von Profit versprechen und das entspricht nicht zwangsläufig denjenigen, die gesamtgesellschaftlich notwendig sind.
Zum Studium der einfachen Reproduktion empfehlen wir das zwanzigste Kapitel „Einfache Reproduktion“ auf den Seiten 391 bis 476 im Bd. II des Kapitals von K. Marx.   

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