Zum Manifest der KI
Liebe Mitstreiter,
ich melde mich aus mehreren Gründen verspätet zur Mitarbeit, ich hoffe jedoch, nicht zu spät. Meine Verspätung verschafft mir den Vorteil, alle bisher erarbeiteten Materialien auf einmal kennen zu lernen. Der Nachteil liegt auf der Hand: Ich kenne die bisher geführte Diskussion nicht; eine schriftliche Konzeption ist mir nicht bekannt.
An dieser Stelle möchte ich mit meinen Bemerkungen und Überlegungen beginnen. Dass die vorliegenden Ausarbeitungen “Rohmaterial” sind, ist normal zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Auffällig ist aber für mich, dass ich keine konzeptionelle Linie erkennen kann. Worum geht es eigentlich? Was ist das Anliegen? Eine Logik der Gedankenführung ist nicht erkennbar. Die vorliegende Gliederung bestätigt meinen Verdacht, dass hier der zweite Schritt – Gliederung – gemacht wurde, ohne den ersten Schritt – Klarheit über die Konzeption – getan zu haben.
Nun ist für jeden Autor die konzeptionelle Klarheit schon eine enorme Anstrengung, wenn es sich aber um ein Autorenkollektiv handelt, ist doch die gründliche – und sehr oft auch zeitaufwendige – Diskussion vor Beginn der Ausarbeitungen besonders wichtig. Und gerade bei den inhaltlichen Fragen und theoretischen Problemen ist doch jetzt schon ersichtlich, dass der Grundsatz “Klarheit vor Einheit” zu allererst eine enorme Anforderung an die KI selbst ist.
Zur Sache.
Was wollen wir erarbeiten ? Wovon können wir ausgehen ?
Auf der Perspektivkonferenz traf Michael im Hinblick auf die o.a. Fragen vier Aussagen:
– der Aufruf hat seine Funktion erfüllt,
– es wird jetzt ein “zentrales, klares, analytisches, programmatisches und konkret
orientierendes Dokument” benötigt, das eine “Fortentwicklung des Aufrufs” dar-
stellt,
– dieses Dokument soll “Manifest” genannt werden,
– Schwerpunkte des “Manifestes” sollten sein:
1. eine m.-l.Analyse der imperialistischen Weltordnung,
2. die Entwicklungstendenz des BRD-Imperialismus,
3. Situation der komm.Weltbewegung/Komm. Bewegung in der BRD,
Strategie und Rolle der KI,
4. klare Forderungen für das Eingreifen in die Klassenkämpfe.
So weit, so gut. Michaels Aussagen nehmen leider keinen Bezug auf den erreichten Entwicklungsstand der KI. Ich lese in den Protokollbänden viel Euphorisches und bin mit etwas Anderem konfrontiert. “Wir… können mit Stolz behaupten, eine Bewegung geschaffen zu schaffen, die morsche Wurzeln ausriss..” – heißt es einleitend im 1.Protokollband. Eine Bewegung geschaffen!!! Sind wir etwa vom Schwindel befallen? Uns helfen nur sachlich-nüchterne Einschätzungen weiter, alles Wunschdenken ist gefährlich, wie die Geschichte zeigt.
Aus meiner Dresdener Sicht ist die KI hier noch weitgehend unbekannt. Ich erlebe, dass bei am Marxismus orientierten Kräften wenig Interesse an der KI besteht, vorherrschend sind Desinteresse und Ignoranz. Bei politisch engagierten Genossen ist Unverständnis darüber vorhanden, warum bei der Vielzahl sich kommunistisch ausweisenden Gruppierungen, noch eine neue gebraucht wird. Potentielle KI-Unterstützer äußern viel Kritisches zum Inhalt des Aufrufes (das betrifft die sogenannten “drei Elemente”, die angeblich durch “den wissenschaftlichen Sozialismus formuliert werden”). Schließlich ist eine Blockadehaltung nicht zu übersehen, die sehr spürbar ist. Frank hat darüber in “offen-siv” 6/2009 und 1/2010 ausführlich geschrieben.
Ausgehend von meinen in den letzten 10 Monaten vor Ort erlebten Diskussionen außerhalb der KI über die KI und den drei Veranstaltungen, in denen sich die KI vorstellte, habe ich den Eindruck erhalten, dass mancher Unterstützer der KI (auch die vorläufige Gliederung ist ein Ausdruck dafür), den zentralen Bezugspunkt “Arbeiterklasse” noch nicht erfasst hat. Wir haben alle bei Lenin gelesen, dass das “Wichtigste in der Marxschen Lehre… die Klarstellung der weltgeschichtlichen Rolle des Proletariats als des Schöpfers der sozialistischen Gesellschaft” ist. (LW 18,576). Mittels ihrer dialektisch-materialistischen Geschichtsphilosophie und der Entdeckung des Wesens der Mehrwertproduktion erkannten Marx und Engels die Arbeiterklasse als Schöpfer eines neuen Zivilisationstyp. Alles weitere kreist seitdem um diesen Sachverhalt. Das gilt in Sonderheit für die Auffassung von Marx, Engels und Lenin von einer kommunistischen Partei und ihrer Hauptaufgabe: Die Formierung der Arbeiterklasse von einer “Klasse an sich” zu einer “Klasse für sich”. (als selbstbewusst handelndes Subjekt). Gleiches gilt für die bahnbrechenden Erkenntnisse Lenins zum Imperialismus. Vergegenwärtigen wir uns doch wann und warum sich Lenin dem Imperialismus zuwandte. Allein schon deshalb ist mir völlig unverständlich, warum das “Dokument” mit Aussagen zum Imperialismus beginnen soll.
Kurzum. Ich habe andere Vorstellungen von den Schwerpunkten, die bearbeitet werden müssen. Mir scheint auch die vorgegebene Bezeichnung “Manifest” ungeeignet. Sie weckt Assoziationen zum “Manifest der Kommunistischen Partei” von Marx und Engels (leider immer verkürzt als “kommunistisches Manifest” benannt), denen wir natürlich nicht einmal im Ansatz entsprechen können. Ich verwende im weiteren den Begriff “Dokument”. Eine endgültige Bezeichnung wird sich später schon finden.
Folgende Grobkonzeption für die Erarbeitung des Dokuments stelle ich zur Diskussion:
Zielsetzung
Das Dokument muss die kommunistische Identität der KI formulieren, um somit die grundlegende Orientierung und den Maßstab bei der weiteren Sammlung von Unterstützern und ihr künftiges Wirken aufzuzeigen. Auf diese Weise wird der Aufruf weiterentwickelt.
Es geht also um die KI. Alle anderen Probleme sind ihr zuzuordnen. Die KI ist der rote Faden im Dokument. Das schließt die Notwendigkeit ein, auf Fragen, die bisher im Sammlungsprozess auftraten, argumentativ zu antworten.
Konzeptionelle Grundfragen des Dokuments
Die KI ist eine Sammlungsbewegung von organisierten und nichtorganisierten Kommunisten, Sozialisten, am Marxismus orientierten bzw. interessierten Linken. Sie gehören verschiedenen Generationen an, verfügen über unterschiedliche Lebens- und Kampferfahrungen, entstammen der DDR und BRD (alt). Mögen die Erkenntnisse und Erfahrungen in Ost und West auch unterschiedlich sein, sie haben einen gemeinsamen Nenner: Die Spaltung der Arbeiterbewegung muss und kann überwunden werden. Die Schaffung einer marxistisch-leninistischen Partei ist dafür die grundlegende Voraussetzung. Für dieses Ziel kämpft die KI. Diese Bewegung ist in der BRD in vielerlei Hinsicht einzigartig. Sie unternimmt einen Versuch, an dem organisierte Kommunisten in den letzten zwei Jahrzehnten scheiterten. Das Wissen um die Gründe des Scheiterns ist eine Voraussetzung für ihr Gelingen.
Die KI betritt die politische Bühne in der BRD in einer Zeit, in der die Folgen der epochalen Niederlage des realen Sozialismus in Europa deutlich zutage getreten sind. Das sozialistische Weltsystem existiert nicht mehr. Ungehindert verstärkt sich die dem Imperialismus wesenseigene Tendenz zur Barbarei. Der Krieg ist nach Europa und Deutschland zurückgekehrt. Der Niedergang der kommunistischen Weltbewegung konnte noch nicht gestoppt werden. Seit die ehemals machtausübende Arbeiterklasse widerstandslos die Waffen streckte (nicht zu verwechseln mit bewaffneten Widerstand!) und die ehemals führenden kommunistischen und Arbeiterparteien spurlos verschwanden oder zu sozialdemokratischen, einflusslosen Parteien mutierten, befinden sich die revolutionären Kräfte in einer tiefen Krise. Statt Zusammenschluss erleben wir fortschreitende Spaltung und Zerfahrenheit. Der Marxismus wurde von politisch sozialen Kräften aufgegeben, die sich als “Linke” bezeichnen. Es gibt vielfältige Zweifel an der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbeiterklasse und der Existenz der Arbeiterklasse überhaupt. Verbreitet ist die Auffassung, dass der Kapitalismus das Ende der Geschichte sei. Die Gründe für die tiefe Krise der kommunistischen und Arbeiterbewegung sind vielfältig, sie sind objektiver und subjektiver Natur. Sie müssen benannt werden; denn die Arbeiterklasse hat – völlig unabhängig von ihrem gegenwärtigen Zustand – eine Recht auf die Antworten. Wir stehen also in der Pflicht.
Grundlegend für das Selbstverständnis der KI, ihre Haltung sowie künftige Taktik und Strategie ist die Antwort auf die Frage nach dem Charakter der gegenwärtigen Epoche und die Bestimmung der politischen Situation in der die KI agiert. Offensichtlich setzt sich die historische Tendenz des Übergangs vom Kapitalismus zu Sozialismus auch nach der Niederlage des europäischen Sozialismus fort. Lenins Imperialismus-Theorie wird auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts bestätigt. Deutlicher als je zuvor tritt zutage, dass sich im objektiven Interesse der internationalen Arbeiterklasse das Interesse der menschlichen Gesellschaft im Ganzen konzentriert. Das besondere Interesse der Arbeiterklasse fällt also mit dem allgemeinen Menschheitsinteresse zusammen. Ausdruck dessen ist die Frage: Sozialismus oder Barbarei ?
Die KI wird in ihrem ökonomischen, politischen und theoretischen Kampf nur dann erfolgreich sein, wenn sie sich unverrückbar von der Leninschen Erkenntnis leiten lässt, dass das Wichtigste am Marxismus die Klarstellung der weltgeschichtlichen Rolle des Proletariats ist. Die Arbeiterklasse als Adressat und Bedürfnisträger der marxistisch-leninistischen Theorie ist erneut zur Schlüsselfrage eines neuen revolutionären Weltprozesses geworden. Das schließt die Erkenntnis ein, dass es noch bedeutender theoretischer Arbeit bedarf, um die “Arbeiterklasse heute” zu bestimmen und das “Subjekt revolutionärer Veränderungen” zu definieren.
Die KI betrachtet die revolutionäre Theorie als Grundelement ihrer kommunistischer Identität. Das Bekenntnis zur revolutionären Theorie erschöpft sich nicht in einzelnen Theoriebestandteilen des Marxismus, sondern umfasst die Einheit all seiner Bestandteile. Die KI begreift den Leninismus als die von Lenin betriebene Fortentwicklung der Lehren von Marx und Engels auf die Erfordernisse revolutionärer Politik in der imperialistischen Phase des Kapitalismus. Der Marxismus-Leninismus ist seit der Oktoberrevolution auch der theoretische Ausdruck des realen Sozialismus. Die dabei gesammelten reichen Erfahrungen ein wahrer Fundus historischer Erfahrungen, drängt geradezu nach theoretischer Verallgemeinerung, ist doch der Marxismus-Leninismus seinem Wesen nach keine abgeschlossene Doktrin.
Die KI strebt nach Lenins Denkmethode, wonach “der ganze Geist des Marxismus, sein ganzes System verlangt, dass jede These nur a) historisch; b) nur in Verbindung mit anderen; c) nur in Verbindung mit den konkreten Erfahrungen der Geschichte betrachtet wird”.(LW 35, 227) Denn der Marxismus muss “unbedingt den auffallend schroffen Wechsel der Bedingungen des gesellschaftlichen Lebens
widerspiegeln” (LW 17,26 f). Und folglich müssen “auch im Marxismus als einer lebendigen Lehre jeweils verschiedene seiner Seiten in den Vordergrund treten”
(LW 17,24)
Eingedenk der bitteren historischen Erfahrungen sieht sich die KI im besonderen Maße dem Kampf gegen alle Spielarten des Opportunismus verpflichtet. Sie stützt sich auf die grundlegenden Erkenntnisse Lenins über den Opportunismus. Sie sind der Schlüssel für das Verständnis der objektiven und subjektiven Grundlagen opportunistischen Denkens und Verhaltens und damit für den erfolgreichen Kampf gegen den Opportunismus. Die KI befolgt Lenins Mahnung, wonach “der Kampf gegen den Imperialismus eine hohle, verlogene Phrase ist, wenn er nicht unlöslich verknüpft ist mit dem Kampf gegen den Opportunismus”(LW22, 307).
Die KI orientiert auf den strikten Klassencharakter der angestrebten Partei Leninschen Typs, die sich als revolutionäre Vorhutpartei begreift und danach handelt, eingedenk der Tatsache, dass sich die Arbeiterklasse, die weder sozial noch bewusstseinsmäßig homogen ist, in unterschiedlichen politischen Organisationen und Parteien formiert. Als entschiedendste Interessenvertreterin der Arbeiterklasse verbindet die Partei Leninschen Typs die Tages- und Zukunftsinteressen, sie kämpft in den Gewerkschaften, verbindet außerparlamentarischen mit parlamentarischen Kampf und steht unverbrüchlich zum proletarischen Internationalismus. Ihren Hauptstoß richtet sie gegen die Macht
des Großkapitals.
Kommunistische Identität wird auch bestimmt durch das Verhältnis zur Geschichte der Länder des realen Sozialismus in Europa, darunter zur DDR als bisher größter Errungenschaft der deutschen Arbeiterbewegung und zur Sowjetunion. Das Bekenntnis zur Geschichte der kommunistischen Bewegung ist und bleibt ein Bekenntnis zur Kontinuität. Die KI begreift so auch die kommunistische Parteigeschichte, zu der nicht nur Marx, Engels und Lenin gehören, sondern ebenso Stalin und Mao tse tung, Luxemburg, Liebknecht und Thälmann. Für die KI ist “Stalinismus” ein antikommunistischen Kampfbegriff, Sprengstoff in der kommunistischen und Arbeiterbewegung. Sie stellt der moralisierenden – ahistorischen Stalin-Kritik ihre historisch-materialistische Analyse entgegen.
Die KI hat im Engelsschen Sinne ein klares Verhältnis zur Wissenschaft insgesamt: “Je rücksichtsloser und unbefangener die Wissenschaft vorgeht, desto mehr befindet sie sich im Einklang mit den Interessen und Bestrebungen der Arbeiter”. (MEW 21, 307).
Die KI geht an ihr Vorhaben realistisch heran. Sie weiß, dass die Schaffung einer marxistisch-leninistischen Partei nicht in kurzer Zeit realisiert werden kann. Doch der historisch langfristige Formierungs- und Gestaltungsprozess muss unverzüglich ideologisch, praktisch-politisch und theoretisch-programmatisch begonnen werden. Die KI ist sich dessen bewusst, dass ihre Aussagen an ihrer politischen Praxis gemessen werden. Unter Berücksichtigung ihrer derzeit noch bescheidenen Mittel und begrenzten Möglichkeiten stellt sie sich den Herausforderungen des Klassenkampfes in der BRD nach seinen drei Seiten:
Ökonomisch durch Unterstützung der Abwehrkämpfe der Arbeiter und Angestellten in Betrieben und Gewerkschaften; Unterstützung der Proteste der Arbeitslosen und bereits Ausgegrenzten:
politisch durch die Unterstützung von Initiativen zum Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, zum Kampf gegen die fortschreitende Militarisierung der BRD sowie zum Kampf gegen den Neofaschismus;
theoretisch durch die Organisation öffentlicher Bildungs/Weiterbildungs-veranstaltungen.
Vorschlag für eine Gliederung des Dokuments
Arbeitstitel: Grundsätze der Kommunistischen Initiative
Einleitung – Die KI – notwendig und einzigartig
I. Die KI zu den Ursachen und Folgen der epochalen Niederlage des europäischen Sozialismus
II. Die KI über die veränderten Klassenkampfbedingungen in der BRD. Die Lage und der Zustand der Arbeiterklasse. Der Klassenkampf von oben.
III. Das Selbstverständnis der KI. Ihre kommunistische Identität
IV. Die Schaffung einer marxistisch-leninistischen Partei als langfristige Aufgabe.
Die Stellung der KI zu den anderen kommunistischen Parteien/Organisationen
in der BRD
V. Die nächsten Aufgaben der KI
Der Umfang sollte auf 20 bis 25 Seiten begrenzt werden,
Soweit meine konzeptionellen Vorstellungen. Sie sind aufgrund des Zeitdrucks grobe Vorstellungen, sie bedürfen selbstredend der Ergänzung und Qualifizierung
Als mögliche Aufgaben bei der Zusammenkunft am 16.05 sehe ich:
1. Schaffen einheitlicher konzeptioneller Vorstellungen
2. Beratung einer möglichen Gliederung
3. Festlegen der Verantwortlichen für die Erarbeitung der einzelnen Abschnitte
4. Beschluss zu den weiteren Terminen
28.04.2010
Mit Kampfesgrüßen aus Dresden
Dieter