Wie zu Lenins Zeiten…
Mit schwungvoller Handschrift hatte Lenin seine Gedanken niedergeschrieben…
Im Oktober 1910 von Lenin aufgeschrieben und erstmals unter Stalin am 5. Mai 1937 in der kommunistischen „Prawda“ in der Sowjetunion veröffentlicht wurde jener Artikel Lenins, der sich mit den Aufgaben der Kommunisten während der Krise der Arbeiterbewegung befaßte. In seinem Manuskript gibt Lenin eine genaue Analyse der damaligen Lage, verbunden mit Hinweisen, wie man das Proletariat an die schwierigen Aufgaben einer revolutionären Klasse heranführen kann.
Interessant sind hier die historischen Parallelen zur Gegenwart:
Die Apathie im Proletariat überwinden
Die schwere Krise der Arbeiterbewegung und der sozialdemokratischen Partei in Rußland dauert immer noch an. Zerfall der Parteiorganisationen, aus denen fast alle Intellektuellen flüchten, Zerfahrenheit und Schwankungen unter denen, die der Sozialdemokratie treu geblieben sind, Niedergeschlagenheit und Apathie unter ziemlich breiten Schichten des fortgeschrittenen Proletariats, Unsicherheit in der Frage nach dem Ausweg aus dieser Lage – das sind die Merkmale, die die gegenwärtige Situation kennzeichnen. Es gibt unter den Sozialdemokraten nicht wenig Kleinmütige und Kleingläubige, die nahe daran sind, die Hoffnung an die Möglichkeit aufzugeben, sich in dem herrschenden Durcheinander zurechtzufinden, die nahe daran sind, über der Aufgabe zu verzweifeln, die Partei, die SDAPR mit ihren revolutionären Aufgaben und Traditionen wiederherzustellen und zu festigen, die nahe daran sind, alles aufzugeben und sich in ihrem Privatleben oder in engen kleinen Zirkeln abzukapseln, die sich nur mit „Kultur“arbeit befassen u.dgl.m.
Die Zerfahrenheit in Zeiten der Krise beseitigen
Die Krise dauert an, doch ihr Ende ist jetzt bereits deutlich sichtbar. Der Weg zur Überwindung dieser Krise ist von der Partei klar umrissen und erprobt. Die Zerfahrenheit und die Schwankungen haben bereits in ziemlich bestimmten Strömungen, Richtungen und Fraktionen, die von der Partei klar und bestimmt eingeschätzt worden sind, ihren Ausdruck gefunden – und die Bestimmtheit der parteifeindlichen Strömungen, ihre klare Einschätzung ist bereits die halbe Befreiung von der Zerfahrenheit und den Schwankungen.
Das Wesen der Krise erkennen
Um sich nicht der Verzweiflung und Enttäuschung hinzugeben, ist es nur erforderlich, den ganzen tiefen Ursprung dieser Krise zu erkennen. Diese Krise kann man nicht überspringen, man kann sie nicht umgehen, man kann sie nur in beharrlichem. Kampf überwinden, denn diese Krise ist keine Zufälligkeit, sondern sie ist hervorgerufen worden durch eine besondere Etappe sowohl der ökonomischen als auch der politischen Entwicklung Rußlands. Die Selbstherrschaft herrscht nach wie vor. Noch brutaler ist der Zwang. Noch größer ist die Rechtlosigkeit. Noch gemeiner ist die ökonomische Unterdrückung. Aber die Selbstherrschaft kann sich schon nicht mehr nur mit den alten Mitteln halten. Sie ist gezwungen, einen neuen Versuch zu unternehmen, sie versucht, ein offenes Bündnis mit den erzreaktionären fronherrlichen Gutsbesitzern und mit den oktobristischen Kapitalisten einzugehen, ein Bündnis in der Duma und durch die Duma. Für alle, die die Fähigkeit zu denken nicht verloren haben ist die Hoffnungslosigkeit dieses Versuchs und das Heranreifen einer neuen revolutionären Krise offensichtlich. Aber diese revolutionäre Krise bildet sich unter neuen Verhältnissen heraus, unter Verhältnissen, wo die Bewußtheit, die Geschlossenheit und die Organisiertheit der Klassen und der Parteien, die es vor der Revolution von 1905 nicht gab, ungleich größer ist. Der russische Liberalismus hat sich aus einer gutmütigen, verträumten, lockeren und unfertigen Opposition frommer Wünsche zu einer festen, parlamentarisch geschulten Partei intellektueller Bourgeois gewandelt, die bewußte Feinde des sozialistischen Proletariats und der revolutionären Abrechnung der Bauernmassen mit den Fronherren sind. (…)
Die führende Rolle des Proletariats
Die russische Arbeiterklasse hat bewiesen, daß sie die einzige konsequent revolutionäre Klasse, die alleinige Führerin im Kampf um die (sei es auch bürgerliche) Freiheit ist. Und heute kann und wird die große Aufgabe der Fortführung des Kampfes um die Freiheit nur durch den revolutionären Kampf des Proletariats gelöst werden, das die Massen der Werktätigen und Ausgebeutet mit sich reißt. Die Arbeiterklasse, die heute unter neuen Verhältnis kämpft und es mit bewußteren und fester zusammengeschlossenen Feinden zu tun hat, muß auch ihre Partei, die SDAPR, umgestalten. An dieser Stelle der Führer aus Intellektuellenkreisen stellt sie Führer aus Arbeiterkreisen. Es entsteht der neue Typ des sozialdemokratischen Arbeiterfunktionärs, der alle Aufgaben der Partei selbständig löst und in der Lage zehnfach und hundertfach größere proletarische Massen als früher zusammenzuschließen, zu vereinigen und zu organisieren.
…seid euch bewußt der Macht
An diesen neuen Arbeiter wenden wir uns auch in erster Linie mit unserer „Rabotscheskaja Gaseta“. Dieser Arbeiter ist aus dem Alter heraus, wo es ihm gefallen konnte, daß man zu ihm wie zu einem Kind sprach und ihn mit Milchbrei fütterte. Er muß alles über die politischen Aufgaben der Partei, über ihren Aufbau und den innerparteilichen Kampf wissen. Er fürchtet sich nicht vor der ungeschminkten Wahrheit über die Partei, an deren Festigung, Wiederherstellung und Umgestaltung er arbeitet. Ihm helfen nicht, sondern schaden jene allgemein-revolutionären Phrasen, jene süßlich-versöhnlerischen Ausrufe, die er in den „Wperjod“-Sammelbänden oder in Trotzkis „Prawda“ findet, wobei er weder hier noch dort eine klare, genaue und offene Darlegung der Parteilinie und der Lage in der Partei findet.
Fest zusammenschließen und einen Parteikern bilden
Diese Lage ist sehr schwierig, aber die Hauptschwierigkeit besteht nicht darin, daß die Partei außerordentlich geschwächt ist und ihre Organisationen teilweise vollkommen zerschlagen sind, auch nicht darin, daß sich der innerparteiliche Fraktionskampf zugespitzt hat, sondern darin, daß die fortgeschrittene Schicht der sozialdemokratischen Arbeiter das Wesen und die Bedeutung dieses Kampfes nicht genügend klar erkannt, sich nicht fest genug zusammengeschlossen hat, um diesen Kampf erfolgreich zu führen, und daß sie sich nicht genügend selbständig und nicht energisch genug in diesen Kampf eingeschaltet hat, um den Parteikern zu schaffen, zu unterstützen und zu festigen, der die SDAPR aus der Zersetzung, aus dem Zerfall und aus den Schwankungen heraus auf einen festen Weg führen kann. (…)
Was ist eine proletarische Partei?
Die Partei ist ein freiwilliger Bund, und die Vereinigung ist nur dann möglich und nützlich, wenn sich Menschen vereinigen, die die gemeinsame Parteilinie auch nur einigermaßen gewissenhaft durchführen wollen und können, genauer: die an einer Durchführung der gemeinsamen Parteilinie interessiert sind (durch ihre Anschauungen, ihre Bestrebungen). Eine Vereinigung ist unmöglich und schädlich, wenn sie versucht, die Klarheit über diese Linie abzuschwächen und zu verdunkeln, wenn sie versucht, durch eine fiktive Bindung diejenigen zu binden, die die Partei ganz entschieden in eine parteifeindliche Richtung zerren. Und die Vereinigung zwischen den Hauptgruppen des Bolschewismus und des Menschewismus ist durch das Plenum erreicht und verankert worden, wenn nicht dank dem Plenum, so doch vermittels des Plenums.
Quelle: W.I.Lenin, Ankündigung der Herausgabe der „Rabotscheskaja Gaseta“, in: Lenin, Werke, Bd. 16, S.293-299 (Zwischenüberschriften von mir, N.G.)