Wie es zum 13. August 1961 kam – Weltkrieg wurde verhindert

»Seit dem parlamentarischen Kniefall Wehners vor der CDU und ihrer Politik koordinierten die rechten sozialdemokratischen Führer ihre Angriffe gegen die DDR immer offener mit dem damaligen Kanzler Adenauer, ja sie suchten ihn und den bayrischen CSU-Führer und Kriegsminister Strauß noch zu übertrumpfen. Charakteristisch dafür waren die Verbrechen des sogenannten Ostbüros der Sozialdemokratie und auch Äußerungen von Willy Brandt, Reuters Nachfolger an der Spitze des Westberliner Senats. Brandt, der 1958 Westberlin die Aufgabe gestellt hatte, „die Stabilisierung der Sowjetzone soweit wie möglich zu erschweren und sosehr wie möglich zu verlangsamen“(1), ging nun aufs Ganze. Im Frühjahr 1961 reiste er in die USA:

  

„Gegenüber einigen Journalisten bemerkte er zu Beginn seines Washingtoner Aufenthaltes, in der Zone (gemeint ist die DDR) herrsche eine explosive Stimmung. Sie könnte leicht einen neuen Aufstand nach dem Muster des 17. Juni 1953 auslösen … Seine Freunde könnten da im Notfall noch ein wenig nachhelfen.“ (2)

Welch ein Zynismus: diese Hoffnung auf die Konterrevolution, die falls sie nicht eintritt, doch noch mit „ein wenig Nachhilfe“ meiner „Freunde“ zum Ausbruch gelangen könnte! So wurde damals von unverantwortlichen Elementen in hochverantwortlichen Positionen mit dem Krieg gespielt. Fast gleichzeitig mit Brandt hatte der westdeutsche und Westberliner Zeitungsfürst Axel Springer Washington heimgesucht. Herr eines Pressetrusts, dessen riesiger Umfang in umgekehrtem Verhältnis zum niedrigen, sittenlosen Hetzniveau seiner Blätter steht, verlangte dieser Generalissimus des zügellosen Propagandakrieges einer Kolonne hitlerischer Journalisten und Nachwuchsfaschisten im Februar 1961 eine Unterredung mit Kennedy. Vom USA-Präsidenten nicht empfangen, landete er natürlich beim amerikanischen Geheimdienst, wo er einem höheren Beamten die Situation und Perspektive aus Springerscher Sicht erläuterte:

  

„In der Zone drohe ein Aufstand … Die Westberliner und die Westdeutschen würden nicht tatenlos zusehen … Der Westen Deutschlands werde den Landsleuten zu Hilfe eilen.“ (3)

 

Das war der Stil, mit dessen Hilfe der Pressezar die Bevölkerung Westdeutschlands und Westberlins aufpeitschte. Springer selbst hat im vertrauen Kreis mehr als einmal geäußert, dass er den „mitteldeutschen Markt“ für seine Presse erobern wolle. Hinter seinem mit phantastischen Lügen und Erfindungen genährten kalten Krieg steckten und stecken grobmaterielle Motive: die Hoffnung auf den Absatz von vielen Millionen Springerblättern in der DDR, eben wenn es keine DDR mehr gäbe. Dank seiner ausgezeichneten persönlichen Beziehungen zu Franz Josef Strauß wusste er, dass die von ihm in Washington ausgeplauderte ungeheuerliche Konzeption den offenen Wünschen und geheimen Vorbereitungen der Bonner Regierung entsprach. War doch gerade das Jahr angebrochen, von dem Strauß 1959 ominös prophezeit hatte:

„In zwei Jahren ist Musik in der Bundeswehr.“

 

In der Tat überstürzten sich seit Beginn 1961 die unmittelbaren militärischen Aggressionsvorbereitungen.

 

Ende Januar 1961 forderte Strauß den Aufbau eines „nationalen Leitungsstabes“ mit allen militärischen, politischen und wirtschaftlichen Vollmachten, in dessen Händen die Vorbereitung des Überfalls auf die DDR liegen sollte. Während der ersten Februarwoche wurde die wenige Monate vorher vom Hitlergeneral Speidel proklamierte Vorwärtsstrategie geübt: Das umfassende NATO-Manöver „Winterschild II“ praktizierte in unmittelbarer Nähe der Staatsgrenzen der DDR und der ČSSR den Überraschungsangriff auf den sozialistischen deutschen Staat und seine unmittelbaren sozialistischen Nachbarn.

 

Auf Drängen der Adenauer-Regierung entwarfen im Mai die Oberkommandos der bewaffneten Streitkräfte der USA, Großbritanniens und Frankreichs einen alarmierenden Kriegsplan, dessen Inhalt in erster Linie der Durchbruch von Westdeutschland nach Westberlin war. (4)

 

Eine Konferenz vereinte am 12. Juni Strauß, den Bundeswehrchef, General Foertsch, und den amerikanischen Kommandeur der NATO-Streitkräfte, General Norstad. Wenige Tage später bestätigte die USA-Presse die Existenz eines vom Kriegsministerium in Washington und der NATO entworfenen Planes, der den gewaltsamen Einbruch in die DDR vorsah. Was dieser Plan beinhaltete, verriet der Pentagon-Berichterstatter der gut informierten in New York erscheinenden großbürgerlichen Wochenzeitschrift „Newsweek“, Lloyd Norman:

„Die NATO hat 32 verschiedene Möglichkeitspläne für Berlin … Die mildesten Pläne wurden bereits von den NATO-Verbündeten gebilligt und können sofort wirksam werden. SHAPE-Kommandant Lauris Norstad könnte z. B. einen Alarm auslösen und dabei die NATO-Land- und -Luftstreitkräfte mobil machen. Er könnte 500 Flugzeuge in die Luft schicken oder Truppen näher an die Grenzlinie heranrücken. Er könnte für einen Fünfzehnminuteneinsatz seine Mace-Matador-Raketen, seine 60 Thor-Raketen (in England) oder seine wenigen Jupiter-Raketen (in Italien) in Bereitschaft versetzen …

Auch drastischere Pläne wurden entworfen: Ein LKW-Konvoi würde die ostdeutschen Inspektoren herausfordern und sich weigern, ihre Autorität anzuerkennen. Sollten sich die Kommunisten weigern, nachzugeben, dann würde der betreffende Armeekommandant entweder zurückkehren, oder nach Befehl würde er versuchen, seinen Weg durchzuboxen. Sollten die Ostdeutschen schießen, würden seine Truppen das Feuer erwidern. Sollten die Ostdeutschen mehr Truppen einsetzen und den USA-Konvoi erledigen, dann könnte der nächste USA-Schritt der sein, einen noch größeren Konvoi mit Panzerunterstützung vorzubringen …

In der Öffentlichkeit sagen die USA recht laut, dass die NATO Kernwaffen einsetzen wolle. USA-Bomber könnten eine kleine Atombombe auf eine große Konzentration von kommunistischen Panzertruppen fallen lassen – unter der Voraussetzung natürlich, dass die Sowjets ihre Truppen in den klaren Gruppen entfalten, wie sie sich die Luftwaffe denkt. Dies wäre ein Prüfstein für die Entschlossenheit des Westens, dass wir den Willen haben, den Weg bis zu Ende zu gehen. Sollten sich die Russen unserem Kernwaffenschlag nicht beugen und mit Kernwaffen zurückschlagen, dann würde der große Krieg wahrscheinlich anlaufen …“ (5)

 

So barbarisch leichtfertig spielten damals offizielle amerikanische und westdeutsche Kreise mit dem Krieg. Synchron mit der Enthüllung des NATO-Planes durch „Newsweck“ forderte Strauß am 18. Juni in Kempten (Allgäu) vor Bundeswehroffizieren und Soldaten und Mitgliedern der CSU die Liquidierung der DDR und der sozialistischen Gesellschaftsordnung in Osteuropa. Zehn Tage später versicherte der ehemalige Hitlergeneral Heusinger, dass sieben westdeutsche Divisionen bereit seien, „unverzüglich jede Mission auszuführen“ (6). Tags darauf beschloss der Bundestag (durch die dritte Novelle zum sogenannten 131er Gesetz) die Rehabilitierung der SS-Verfügungstruppen sowie der Verbände der Waffen-SS und der SS-Totenkopfregimenter. In derselben Parlamentssitzung erhielt die Bundeswehrführung Vollmacht, sogar noch vor dem sogenannten Verteidigungsfall Zwangsdienstleistungen zu fordern und Requirierungen vorzunehmen.

 

 

Am 3. Juli 1961 rief General Clarke, Befehlshaber der USA-Streitkräfte in Europa, öffentlich dazu auf, sich „aufs Äußerste vorzubereiten“.

 

Die zweite Julihälfte verbrachte Strauß in den USA, wo er nicht nur die bereits zitierten kriegerischen Äußerungen von sich gab, sondern vor allem im Pentagon an Konferenzen teilnahm, als deren Resultat am Tag seiner Rückreise in die Bundesrepublik, dem 1. August 1961, für alle NATO-Verbände in Europa die Alarmbereitschaft proklamiert wurde, wodurch die Kriegsgefahr sich sprunghaft weiter zuspitzte. Um die Atmosphäre noch anzuheizen, begann die USA-Luftwaffe sofort mit großen Luftlande- und Luftbrückenmanövern in Westdeutschland und den USA. Gleichzeitig führte die westdeutsche Marine vom 8. August an eine Kriegsübung mit über hundert Schiffen durch, wobei das Manövergebiet sich bis unmittelbar vor die Ostseeküste der DDR erstreckte. Geprobt wurde ein Blitzüberfall auf die Nordflanke des deutschen Arbeiter-und-Bauern-Staates. In ebendiesen Tagen unternahm Nazigeneral und Befehlshaber der NATO-Landstreitkräfte in Mitteleuropa, Speidel, eine Inspektionsreise entlang der Staatsgrenze der DDR, als deren Ergebnis er am 10. August verkündete, dass die NATO in diesem Raum gerüstet sei.«

 

[Ein unvollständiger Quellen-Auszug zur realen Vorgeschichte des 13. August 1961.]

 

Vgl.: A. Norden: So werden Kriege gemacht! Über Hintergründe und Technik der Aggression. Dietz Verlag Berlin 1968.

 

Anmerkungen.

1 Die Welt, 10. Februar 1958.

2 Ebenda, 18. März 1961.

3 Der Spiegel (Hamburg), Nr. 34, 15. August 1966.

4 New York Harald Tribune, 29. Mai 1961.

5 Newsweek (New York), 19. Juni 1961.

6 Neue Zürcher Zeitung, 30 Juni 1961.

 

Nachtrag.

  

» „Allgemeine“ Begeisterung für seine Perspektiven, wütende Verteidigung des Imperialismus, seine Beschönigung in jeder nur möglichen Weise – das ist das Zeichen der Zeit. Die imperialistische Ideologie dringt auch in die Arbeiterklasse ein. Diese ist nicht durch eine chinesische Mauer von den anderen Klassen getrennt. Wenn die Führer der heutigen sogenannten „sozialdemokratischen“ Partei Deutschlands mit Recht „Sozialimperialisten“ genannt werden, d. h. Sozialisten in Worten, Imperialisten in der Tat, so hat Hobson bereits 1902 in England das Vorhandensein von „Fabier-Imperialisten“ festgestellt, die der opportunistischen „Gesellschaft der Fabier“ angehören. « (Lenin)*

 

* Vgl. Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. IX. Kritik des Imperialismus.

 

„Gesellschaft der Fabier“ – eine reformistische, extrem-opportunistische Organisation, die 1884 in England von einer Gruppe bürgerlicher Intellektueller gegründet wurde. Die Gesellschaft nannte sich nach dem römischen Feldherren Fabius Cunctator („der Zauderer“), bekannt durch seine abwartende Taktik und sein Ausweichen vor Entscheidungsschlachten. Lenin bezeichnete die Gesellschaft der Fabier als den „vollendeten Ausdruck des Opportunismus und einer liberalen Arbeiterpolitik“. Die Fabier lenkten das Proletariat vom Klassenkampf ab und predigten die Möglichkeit des friedlichen Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus mittels Reformen.

 

Im imperialistischen 1. Weltkrieg waren die Fabier Sozialchauvinisten. Eine Charakteristik der Fabier findet sich in Lenins Vorwort zur russischen Übersetzung des Buches „Briefe und Auszüge aus Briefen von Joh. Phil. Becker, Jos. Dietzgen, Friedrich Engels, Karl Marx u. A. an F. A. Sorge und Andere“ (Werke, Bd. 12, S. 368/369), im „Agrarprogramm der Sozialdemokratie in der russischen Revolution“ (Werke, Bd. 15, S. 170/171), in dem Artikel „Der englische Pazifismus und die englische Abneigung gegen die Theorie“ (Werke, Bd. 21, 258/259) u. a. – Vgl.: Anmerkungen. Gemeinverständlicher Abriss. Dietz 1970.

 

12.08.2011, Reinhold Schramm (Bereitstellung.)

 

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