Westsahara

Westsahara – Vergessener Widerstand

In den Reihen von uns Antiimperialisten wird häufig der antikoloniale noch heute anhaltende Kampf des sahaurischen Volkes vergessen. Schuld daran sind in erster Linie die bürgerlichen Massenmedien, die dieses Volk und seinen Widerstand bewusst verschweigen, dadurch rückt dieser Konflikt – anders als bspw. die imperialistischen Interventionen in Libyen und Syrien – für uns nicht in den Vordergrund. Mag sein, dass die Lage dort relativ ruhig ist, aber die Besatzung Westsaharas durch das reaktionäre Königreich Marokko hält weiter an und die Sahauris leisten weiterhin Widerstand, auch wenn dies auf militärischem Gebiet momentan kaum möglich ist. Dieser Artikel soll ein Beitrag dazu sein die Geschichte und eben diesen heroischen antiimperialistischen Widerstand nicht zu vergessen und nach Kräften zu unterstützen.

Einblick in die Geschichte Westsaharas

Das heutige Gebiet der Westsahara ist ca. 266.000 km² groß und bestand und besteht noch heute fast nur aus Wüste. Unter den dort seit etwa 3.000 Jahren lebenden Berbernomaden gewann der Islam vor 1.200 Jahren Einfluss. Noch heute sind praktisch alle Sahauris Anhänger des sunnitischen Islams. Im Jahre 1400 u. Z. breiteten sich Beduinen in der Region aus und vermischten sich mit der dortigen Bevölkerung. Die Menschen lebten hauptsächlich von Viehzucht und Handel, teilweise wurde auch Oasenwirtschaft betrieben. Allgemein muss man bei der sahaurischen Gesellschaftsstruktur von einer Stammesgesellschaft sprechen, bei der es noch kein vollständig ausgeprägtes Patriarchat gab und gibt.

Das Gebiet wurde über mehrere Jahrhunderte durch Handelsverträge in die Abhängigkeit geführt, die eigentliche Kolonialisierung wurde aber erst 1884 auf der Berliner Kongokonferenz beschlossen. Auf dieser Konferenz wurde der afrikanische Kontinent unter den damaligen europäischen Kolonialmächten aufgeteilt, wobei Westsahara Spanien zuviel.

Anfangs siedelte sich die Kolonialmacht nur an den Küstenregionen an, da sie auf den Widerstand der Bevölkerung stieß und es im Landesinneren auch nicht viel zu holen gab. 1934 drangen die spanischen Truppen mit französischer Unterstützung dann noch weiter vor und hielten dann das ganze Land besetzt. Von da an begann die ökonomische und nationale Unterdrückung des sahaurischen Volkes. Es wurden Massaker an der Zivilbevölkerung begangen, viele Nomaden wurden gezwungen sesshaft zu werden. 1947 wurden die Phosphatvorkommen Westsaharas entdeckt, woraufhin Spanien begann diese auszubeuten. Neben einer geringeren Menge Eisenerz, ist Phosphat das einzige, was das Land an Bodenschätzen hat.

1957 befand sich Marokko im Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich und Spanien und auch die Sahauris nutzten die Chance, um ihre Unabhängigkeit zu erkämpfen. Die spanische Kolonialmacht wurde gezwungen sich in einigen Küstenregionen zurückzuziehen, aber nach kurzer Zeit wurde der Widerstand wieder mit französischer Unterstützung niedergeschlagen. Die Konsequenz Spaniens war eine massive Erhöhung der Militärpräsenz. Die UN-Vollversammlung forderte 1965 die Entkolonialisierung Westsaharas – zum ersten, aber nicht zum einzigen Mal.

Am 10. Mai 1973 wurde schließlich durch den Zusammenschluss mehrerer Widerstandsgruppen die „Frente POLISARIO“ („Volksfront zur Befreiung von Saguia el Hamra und Río de Oro“). Diese führte den bewaffneten Aufstand, die Streiks und Sozialproteste an. Als Francisco Franco im Koma lag und die faschistische Kolonialmacht einer Krise ausgesetzt war, beschloss sie letztendlich 1975 das Land zu verlassen.

Das Ende von 91 Jahren spanischem Kolonialismus bedeutete leider nicht das endgültige Ende des Kolonialismus für das sahaurische Volk. Noch bevor die Spanier das Land vollständig verlassen hatten, machte der marokkanische König Hassan II. seinen Anspruch auf das Land der Sahauris geltend. Er rechtfertigte Marokkos Anspruch auf das Land damit, dass früher marokkanische Sultane dieses Gebiet beherrschten und deshalb nach islamischem Recht das Gebiet zu seinem Land gehöre. Er ließ 350.000 Marokkaner in seinem als „Friedensmarsch“ getarnten „Grünen Marsch“ die Landesgrenze überqueren, unbemerkt gefolgt von schwerbewaffnetem Militär. Nachdem das Ablenkungsmanöver geglückt war, ließ er die unbewaffneten Menschen zurückkommen. Es kam zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Volksfront und der marokkanischen Armee. Diese begann in den besetzten Gebieten mit Plünderungen, Misshandlungen und Hinrichtungen. Die sozialistischen Staaten verurteilten von Anfang an das Vorgehen Marokkos.

In der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1976 rief El Ouali Mustapha Sayed – einer der Mitbegründer und erster Generalsekretär von POLISARIO und der erste Präsident des Landes – die Unabhängigkeit der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (RASD) aus. Ziel war es den Unabhängigkeitswillen des sahaurischen Volkes in der Welt bekannt zu machen. Er starb wenige Monate später im Kampf und wird seitdem von den Sahauris als Märtyrer gefeiert. Marokko beschloss daraufhin zusammen mit Mauretanien, dem südlichen Nachbarn Westsaharas, die Besetzung des Gebietes. Marokko übernahm die Besetzung der nördlichen zwei Drittel, Mauretanien die des restlichen Drittels. Um die Bevölkerung einzuschüchtern und den Widerstand einzudämmen schreckte das Königreich Marokko auch nicht davor zurück mit seiner Luftwaffe weißen Phosphor und Napalm gegen Flüchtlinge einzusetzen. Dabei kamen mindestens 20.000 Flüchtlinge um. Seit der Unabhängigkeit der RASD bekam die Volksfront größere uneigennützige Hilfe von seinem nordöstlichen Nachbarn Algerien. Das algerische Volk, welches bis 1962 viele Opfer bringen musste, um sich seine Unabhängigkeit gegen Frankreich zu erkämpfen und nicht ohne Grund ein Verbündeter der Sowjetunion war, half dem sahaurischen Widerstand unter anderem mit Waffen, militärischem Training, dem Bereitstellen von Flüchtlingslagern, Lebensmitteln, finanziellen Hilfen und dem Bereitstellen von Gefängnissen für marokkanische und mauretanische Kriegsgefangene. 1979 gab Mauretanien den Krieg schließlich auf und zog sich zurück, woraufhin Marokko auch die Annexion des südlichen Drittels Westsaharas anstrebte. Im selben Jahr wurde die POLISARIO von den Vereinten Nationen als der legitime Vertreter des sahaurischen Volkes anerkannt. Zwischen 1977 – 1981 gelang es ihr weite Landesteile zu befreien, die komplette Befreiung des Landes stand kurz bevor, aber sie scheiterte letztlich, weil Marokko Hilfe von den USA anforderte und diese auch bekam. Um den Widerstand einzuschränken begann das Königreich 1982 mit dem Bau einer Mauer zwischen befreitem und besetztem Gebiet. Diese Mauer ist heute 2.700 km lang und durch Stacheldraht und 6 Millionen Antipersonenminen gesichert. Hier werden wiederholt die Parallelen zwischen der Besatzung Westsaharas durch Marokko und der Besatzung Palästinas durch das zionistische Gebilde „Israel“ sichtbar. Westsahara wurde von der Organisation für Afrikanische Einheit (dem Vorgänger der Afrikanischen Union) anerkannt und als vollwertiges Mitglied aufgenommen. Marokko verließ daraufhin 1984 die Organisation und ist bis heute der einzige afrikanische Staat, der nicht Mitglied der Afrikanischen Union ist. Die Vereinten Nationen vermittelten 1991 den bis heute anhaltenden Waffenstillstand zwischen Westsahara und Marokko, der von der MINURSO-Mission beobachtet wird. Der Waffenstillstand wurde mit dem Ziel geschlossen im darauffolgenden Jahr eine Volksabstimmung über den Verbleib der Besetzung durchzuführen, diese scheiterte allerdings durch die Einsprüche Marokkos.

Die Frente POLISARIO

Die POLISARIO wurde mit dem Ziel gegründet die nationale Befreiung Westsaharas zu erreichen. Viele ihrer Gründer wie El Ouali Mustapha Sayed stammten aus der kleinen Schicht der Intelligenz, die in Marokko studiert hatte. Ideologisch ist sie in erster Linie nationaldemokratisch und antiimperialistisch eingestellt, aber enthält auch Strömungen des politischen Islams. Vor dem Sieg der Konterrevolution in der Sowjetunion bekannte sie sich auch zum Sozialismus. Mittlerweile hat sie Beobachterstatus in der Sozialistischen Internationalen, was aber nicht mit einem Verrat gleichzusetzen ist, wenn man betrachtet, dass in der Vergangenheit auch andere antiimperialistische Organisationen wie die FSLN in Nicaragua der SI beigetreten sind, ohne zu Verräterorganisationen zu werden. Wichtig ist, dass die POLISARIO ihren antiimperialistischen Charakter heute genauso beibehalten hat wie damals. Dies erkennt man unter anderem daran, dass die RASD den sog. Nationalen Übergangsrat der konterrevolutionären libyschen „Rebellen“ nicht anerkannt hat. Größere marxistische Einflüsse in der Volksfront blieben aus, weil es an marxistisch-leninistischer Literatur in arabischer Sprache fehlte, die allgemeine Volksbildung durch die spanische Kolonialmacht niedrig gehalten wurde, sodass zur spanischen Kolonialzeit die Analphabetenrate 90% betrug und weil die RASD nur wenig Unterstützung von der Sowjetunion bekam.

Die POLISARIO schaffte es unter anderem seine Massenbasis dadurch aufzubauen, dass sie sich von Anfang an an die Stämme und die Stammesführer gewandt hat. Anders war dies in einem Land, in dem es kein Proletariat und praktisch keine nationale Bourgeoisie gibt, kaum möglich.

Die Organisation besteht heute aus der POLISARIO selbst, die von ihrem 21-köpfigen Politbüro geführt wird und den drei Massenorganisationen UGTSARIO (Gewerkschaft; WFTU-Mitglied), UJSARIO (Jugendorganisation; WBDJ-Mitglied) und UNMS (Frauenorganisation). Dazu kommt noch die Sahaurische Volksbefreiungsarmee (ELPS) – der bewaffnete Arm der Frente POLISARIO. Die ELPS zählt heute ca. 7.000 aktive bewaffnete Kämpfer, über See- und Luftstreitkräfte verfügt sie nicht. Die Ausrüstung besteht hauptsächlich aus alten sowjetischen Waffen, die von Algerien zur Verfügung gestellt wurden und aus erbeuteten spanische, marokkanischen und mauretanischen Waffen.

Situation heute

Das Territorium der Demokratische Arabische Republik Sahara wird heute zu über 70% besetzt gehalten. Das Land wird von ca. 50 Staaten anerkannt, dazu zählen die ALBA-Staaten, Simbabwe, Nordkorea, Syrien und der Iran.

Die verfassungsmäßige Hauptstadt El Aaiún befindet sich im besetzten Gebiet. Die provisorische Hauptstadt ist Bir Lehlu, wo auch 1976 die Unabhängigkeit ausgerufen wurde. Die sahaurische Regierung befindet sich in der algerischen Stadt Tindouf im Exil. Dort in der Umgebung befinden sich auch die meisten sahaurischen Flüchtlingslager, in denen sich derzeit 160.000-180.000 Flüchtlinge aufhalten. Nach eigenen Angaben gibt es insgesamt in dem besetzten und befreiten Gebiet sowie in den Flüchtlingslagern zusammen 750.000 Sahauris.

Sowohl im besetzten als auch im befreiten Gebiet existiert eine große Armut und hohe Arbeitslosigkeit. Dadurch ist der sahaurische Kampf nicht nur ein nationaler, sondern auch ein sozialer Kampf.

Der bewaffnete Widerstand wurde seit dem Waffenstillstand 1991 aufgrund der Mauer und der sehr kargen Ausrüstung nicht wieder aufgenommen. Das sahaurische Volk hat in den letzten Jahren im besetzten Gebiet friedliche Aufstände begangen, trotz des Versammlungs- und Demonstrationsverbots, welches das Königreich Marokko ihnen auferlegt hat und trotz der regelmäßigen Folter, denen festgenommene Sahauris in den Gefängnissen ausgesetzt sind. Erst Ende 2010 wurde ein Protestlager der POLISARIO nahe El Aaiún gewaltsam geräumt. Dabei kamen mehrere Menschen um und viele wurden verwundet.

Zum Schluss stellt sich noch die Frage, was der Imperialismus von Westsahara und der Besatzung durch Marokko hat. Der westsahaurische Boden verfügt über eines der größten Phosphatvorkommen der Welt, des Weiteren über verschiedenen Erze. Dadurch, dass das Marionettenregime Marokkos diese Bodenschätze fördert, haben verschiedene imperialistische Staaten einen leichten, günstigen und gesicherten Zugang zu diesen. Des Weiteren hat Marokko einigen europäischen Staaten günstige Fischfangverträge vor den Küsten Westsaharas gesichert und hilft mit Flüchtlinge, die auf dem Weg nach Europa sind, aufzuhalten.

Das sahaurische Volk befindet sich somit im Kampf gegen den Imperialismus und ist von uns genauso zu unterstützen wie das palästinensische Volk. Wir haben den selben Feind und langfristig können wir nur siegen, wenn wir gemeinsam kämpfen und dieses parasitäre imperialistische Gesellschaftssystem endlich auf den Müllhaufen der Geschichte werfen!

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