Sozialdemokratie – Anmerkungen zu einem ruhmlosen Werdegang
von Albano Nunes, Mitglied des Sekretariats des ZK der Portugiesischen Kommunistischen Partei (PCP)
- Macht es noch irgendeinen Sinn von «Sozial-Demokratie» zu sprechen?
- Wenn ja, was ist die «Sozial-Demokratie» heute?
- Wie lässt sie sich von einem Klassenstandpunkt aus charakterisieren?
- Welche Rolle nimmt sie auf dem internationalen politischen Schachbrett ein?
- Welche Stellung bezieht sie zu den grossen Problemen unserer Zeit?
- Wie soll die Arbeiterklasse im Rahmen ihrer Bündnispolitik mit der «Sozial-Demokratie» umgehen?
Das sind Fragen, auf die eine revolutionäre Partei Antwort geben muss, um mit methodischer Strenge ihre Haltung im ideologischen Kampf zu bestimmen und die gegebenen Übereinstimmungen und Bündnismöglichkeiten auszuloten, auch wenn diese noch so beschränkt und durch vorübergehende Konjunkturen gegeben sein mögen. Die Beantwortung dieser Fragen ist umso notwendiger in einer Welt, die mit der Gefahr eines Rückfalls von zivilisatorischen Dimensionen konfrontiert ist, wobei die Sozialdemokratie schwer kompromittiert ist, und die Lage gebietet, alle Kräfte im Widerstand und im Kampf zu vereinen, die durch ihre soziale Lage und durch ihre praktische Politik faktisch Bestandteile der breiten anti-monopolistischen und anti-imperialistischen Front bilden, der Front, die allein imstande ist, die zerstörerische Richtung umzukehren, die der Kapitalismus sich anschickt, der Menschheit aufzuzwingen.
Die Frage der «Sozial-Demokratie» ist eine aktuelle und in gewissem Sinne eine neuralgische Frage. Trotz ihrer anerkannten Rechtsentwicklung geben die sozialistischen (sozialdemokratischen, Labour) Parteien den Anspruch nicht auf, «Linke» zu sein und verfügen immer noch über einen bedeutenden wählermässigen Ausdruck und tatsächlichen Einfluss in wichtigen Segmenten der Arbeiterklasse und in den Volksschichten. Der Kampf der Kommunisten für die Einheit der Arbeiterklasse und für die politische und ideologische Hegemonie der Arbeiterklasse im Kampf gegen das Grosskapital, stösst in der Realität in den entwickelten kapitalistischen Ländern im allgemeinen auf diese Tatsache, vor allem in Europa, wo die Sozialdemokratie entstand und sich am stärksten einwurzelte, aber auch in Lateinamerika, Afrika und Asien. Der Kampf gegen die Ideologie der Klassenkollaboration, gegen Spaltung und Antikommunismus bleibt auch in unserer Zeit eine zentrale Notwendigkeit.
Auf der anderen Seite hat die Sozialdemokratie, die als reformistische und revisionistische Strömung innerhalb der Arbeiterbewegung aufgekommen war und sich als anti-revolutionären Kraft entwickelte und der Oktoberrevolution und den sozialistischen Staaten feindselig war, sich in eine offen konterrevolutionäre Stosskraft verwandelt und bildet heute eine fundamentale Komponente der kapitalistischen Ausbeutung und einen Stützpfeiler des Imperialismus.
Der Block der «Mitte» («Mitte-rechts» und «Mitte-Links»), die Bipolarisierung, das System der Wachablösung (des „heute regiere ich, morgen du, dann wieder beide“) sind getreue Widerspiegelungen dieser Tatsache.
Der Ausritt der Sozialdemokratie in neoliberale rechte Gefielde (kaum Folge der Resignation, eher bewusste und gewollte Option) hat diese der eigentlichen bürgerlichen Rechten zum Verwechseln nahe gebracht, und sie zu einer simplen Variante derselben verwandelt.
Die Pakte der Verständigung auf Regierungs- oder Parlamentsebene, jedenfalls die Annäherungen und Übereinstimmungen in allen grundlegenden Fragen – wie im Falle der kapitalistischen europäischen Integration, im Falle der NATO und ihrer aggressiven Weltstrategie, im Fall der Unterstützung des Monopolkapitals gegen die Werktätigen, sind zu Banalitäten geworden. Die Verständigungen erfolgen formell und informell; entweder werden sie werden am hellichten Tag im Namen des «nationalen Interesses» besiegelt, oder (nicht immer) in diskreten Banketten zum Austausch von Vorteilen. Das schliesst gewohnheitsmässige Bezugnahmen auf das Begriffspaar «links/rechts» und Manipulationen damit nicht aus, wann immer dies dazu dient, die öffentlichen Meinung zu täuschen und die unzufriedenen Massen zu beeinflussen, besonders in Perioden von Wahlkämpfen.
Der wohl offensichtlichste Fall einer “Einheitspartei“ mit zwei Köpfen ist der Fall der USA mit dem Doppel aus Republikanischer und Demokratischer Partei, welch letztere unter Clinton zum Vorbild der sozialdemokratischen Familie wurde, auch wenn sie der Sozialistischen Internationale nicht als Mitglied angehört. Aber die allgemeine Tendenz ist, wie es in Grossbritannien, Deutschland, Spanien, Griechenland1 oder Portugal geschieht, dass erst daran gearbeitet wird, ein solches System aufzurichten und, etwa mit Gesetzen, welche die sogenannten «Kleinparteien» ausgrenzen und die Bipolarisierung vereinfachen, ein perverses Spiel zu institutionalisieren, welches darauf abzielt, die Abwechslung an der Regierung (Alternanz) als politische Alternative hinzustellen, um so die Türe zu echten Alternativen zu verschliessen.
Die Wahrheit ist dass, an der Regierung oder in der Opposition, die Sozial-Demokratie zum integrierenden Bestandteil des kapitalistischen Herrschaftssystems und zu einer Kraft geworden ist, die – wie die Politische Resolition des XVII. Parteitags der Portugiesischen Kommunistischen Partei PCP unterstrich, mit den Interessen des Grosskapitals «strukturell kompromittiert» ist. Von dieser Tatsache muss die kommunistische und revolutionäre Bewegung ausgehen, um die Bündnispolitik der Arbeiterklasse zu konkretisieren.
Einige Marksteine der Entwicklung der Sozial-Demokratie
Ohne jede Anmassung, hier die Geschichte der Sozial-Demokratie zu geben, ist es doch unverzichtbar, auf einige markante Momente ihrer Entwicklung hinzuweisen: von einer Strömung des Arbeiterbewegung (als das wurde sie geboren) zu einem Werkzeug der Grossbourgeoisie; von einem Produkt der bürgerlichen Beeinflussung der Welt der Arbeit zu einer simplen Variante des Denkens der herrschenden Klasse; von einer Vertreterin der Beseitigung («friedlich» und «demokratisch», versteht sich) des Kapitalismus und Porpagandistin eines «demokratischen» Sozialismus mit «menschlichem Antlitz» zur Verteidigerin des Kapitalismus (eines «humanisierten», «mit «sozialem Gewissen» und «inklusiven» natürlich) und des Imperialismus, mit allem, was das an Reaktionärem und Verbrecherischem bedeutet.
Wir sprechen von der Sozial-Demokratie, wie klar ist, in allgemeiner Weise. Wir sprechen von der politischen und ideologischen Haltung, die ihre Führer und Ideologen einnehmen. Zwischen ihren Parteien bestehen grosse Unterschiede. Die Bedingungen von Ort und Zeit prägen weitgehend das Profil der sozialistischen, sozialdemokratischen und Labour-Parteien. Die Sozial-Demokratie hatte immer verschiedene Gesichter in Westeuropa (wo sie seit langem von der deutschen SPD und der britischen Labour Party hegemonisiert ist), oder in Lateinamerika, wo sie den Umständen gemäss «revolutionäre» Töne mit nationalistischer Färbung erworben hat, und wo zu einem entscheidenden Instrument im Arsenal des Yankee-Imperialismus zur Bekämpfung von demokratischen, anti-imperialistischen und revolutionären Prozesse wurde.
Die Chamäleon-Natur der Sozial-Demokratie
Eines der «Geheimnisse» der Sozial-Demokratie beruht auf ihren chamäleonartigen Charakterzügen, auf ihrem Eklektizismus, auf ihrer Zusammensetzung aus unterschiedlichen Klassen, auf ihrer Heterogenität, auf der Existenz verschiedener Flügel und Strömungen, auf der Fähigkeit, je nach den Umständen und Bedürfnissen, etwas von allem oder auch das Gegenteil zu sein. Das was für eine kommunistische Partei tödlich wäre (Strömungen mit festgefahrenen Meinungen, Gruppen, Fraktionen und öffentliche Polemiken), ist für die Sozial-Demokratie ein Normalzustand und unentbehrlich, um die Idee zu nähren, dass die Alternative zu den rechtsgerichteten Politiken sich innerhalb der sozialistischen Parteien finde, sogar wenn diese in der Praxis einen Rechtskurs verfolgen und ihr Programm offen kapitalistisch ist. Darin liegt die Mission aller Alegres dieser Welt. [Bezieht sich auf den portugiesischen Sozialisten Manuel Alegre, der sich als Mann des „linken“ Flügels bei den Präsidentschaftswahlen 2009 als Kandidat von Linksblock und SP auftrat – Anm. des Übersetzers]
Auf jeden Fall existiert und agiert die Sozial-Demokratie nicht im Vakuum der Klassenkämpfe. Sie positioniert sich von jeher, seit dem historischen revisionistischen Schnitt, der durch Berstein symbolisiert wird («die Bewegung ist alles, das Endziel ist nichts.») auf der Seite der Anpassung, Konsolidierung und Reproduktion des Kapitalismus und schreckte nicht vor den grössten Verbrechen zurück, um den Weg zu tiefen sozialen Veränderungen abzuschneiden, so mit dem Verrat an der deutschen Novemberrevolution von 1918 und mit der Versöhnungspolitik der sozialdemokratischen Führer der Weimarer Republik, die dem Nazismus den Weg bereitete. Bleibt, an eine der schwärzesten Seiten des konterrevolutionären sozialdemokratischen Reformismus zu erinnern; die grausame Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.
Der Einfluss der Massenkämpfe
Aber die praktische Positionierung der Sozial-Demokratie wurde immer durch die Massenkämpfe des Volkes, durch den Druck ihrer eigenen Arbeiterbasis und durch die unabhängige Tätigkeit der Kommunisten beeinflusst. Diese Umstände ermöglichten beispielsweise die grossen Erfolge der Volksfronten in Spanien und Frankreich. So wurden, unter Einwirkung der Ausstrahlung der Errungenschaften der UdSSR und der sozialistischen Staaten, die Fortschritte des sogenannten «Sozialstaates» erzielt, der nsich in nördlichen Ländern das Etikett eines „nordischen Sozialismus“ anmasste. Es war die revolutionäre Aktion der Arbeiterklasse und der werktätigen Massen vor und nach dem 25. April 1974, welche einen Mário Soares und seine inzwischen in der Bundesrepublik Deutschland gegründete sozialistische Partei zu linken Positionen und Annäherungen an die Linke drängte, welche, wie sich bald zeigen sollte, ihrer eigenen liberalbürgerlichen Natur zuwider liefen.
Fehlt hingegen ein Einbezug der Massen und ein Anschub der Basis, die von der Aktionseinheit mit den Kommunisten angezogen ist, so ist es die seltene Ausnahme, die sich durch besondere Kampferfahrungen erklären lässt, wenn sich eine sozialistische Partei, wie die Partito Socialista Italiano von Pietro Nenni oder die Partido Socialista de Chile von Salvador Allende, anders handelt als die sozial-demokratischen Führungszirkel, die unabänderlich für Allianzen mit den Rechtsparteien und der Reaktion optieren, um jeden revolutionären Fortschritt zu verhindern und das kapitalistische System in irgendeiner seiner Varianten zu bewahren, sei es keynesianisch, liberal oder selbst faschistisch, und in diesem Fall bis zum Moment, in dem die sozialdemokratischen Parteien selbst zu Opfern der Verfolgung und Illegalisierung wurden, die sich in einer ersten Phase grundsätzlich gegen die Kommunisten gerichtet hatte.
Portugiesische Erfahrung …
Was die portugiesische Erfahrung anbelangt, ist an einige Dinge zu erinnern – ohne hier auf die Zeiten der Selbstauflösung der alten und diskreditierten PSP und auf die Kollaboration ihres Chefs, Ramada Curto, mit Salazar bei der Ausarbeitung der faschistischen Arbeits-Charta und die Haltung der Parteileitung einzugehen. Kurz nach der Nelkenrevolution verwandelte sich Mário Soares rasch in eine Rettungsboje für das Grosskapital und in einen Pol, der alle konterrevolutionären Kräfte anzog. Die Politik und die Allianzen der Sozialistischen Partei richteten sich, von wenigen lokalen und punktuellen Ausnahmen abgesehen, immer nach rechts.3 Die Unterschrift unter den Aggressionspakt, der zwischen den drei Parteien SP, PSD und CDS und der internationalen Troika abgeschlossen wurde, ist die logische Begleiterscheinung der verwurzelten Klassenposition einer Partei die, nachdem sie «den Sozialismus in die Schublade gelegt» hat, zu einer politischen Kraft geworden ist, die sich zutiefst mit den Interessen des Grosskapitals und des ausländischen Imperialismus identifiziert.
Klar ist, dass die immer mehr angezweifelte Fähigkeit, Kräfte wie die (portugiesische) SP zu halten, es Jahr für Jahr schaffen, die Unzufriedenheit grosser Bevölkerungsteile aufzufangen, nicht ewig dauern kann. Es sind Konfliktlagen, Schwächungen und Spaltungen vorhersehbar, ebenso das Erscheinen neuer Kräfte, die durch die Zuspitzung der Klassenkämpfe geschmiedet werden. Unvermeidlicherweise wird es dabei zu Prozessen der Neuformierung der Parteienlandschaft kommen, die – durch die Entwicklung der Massenkämpfe angeschoben – die Möglichkeit eröffnet, dass die Verhältnisse unter den gesellschaftlichen Kräften eine bessere Entsprechung im politischen Kräftegefüge finden.
… Nicht mit dieser Sozial-Demokratie!
In jedem Fall ist es nicht diese (portugiesische) SP mit ihrer fortgesetzten Orientierung und praktischen Politik, mit der wir es für möglich halten würden, eine patriotische und linke Politik umzusetzen, die wir als Weg vorsehen, um mit der rechtsgerichteten Politik zu brechen, welche seit 36 Jahren im Gang ist, und um bei der Lösung der Probleme der Werktätigen, des Volkes und des Landes vorwärts zu kommen.
Linke Zuckungen in Sozialdemokratie und Euro-Linkspartei
Um die Einheit zu realisieren, welche die Lage gebietet, genügt eine «linke Zuckung» eines vor lauter Opportunismus und Identifikation mit der ökonomischen Macht verfaulten Körpers nicht. Ebensowenig genügt, wie es der Linksblock (Bloco de Esquerda) in Portugal oder die «Partei der Europäischen Linken» in Europa meinen, die simple Bemächtigung der Wählerschichten, welche durch den Rechtsdrall der gegenwärtigen sozialdemokratischen Führungscliquen befremdet sind. Dies würde in der Praxis grundsätzlich auf eine Stärkung eines «linken Flügels» der Sozial-Demokratie hinauslaufen (wie dies in Griechenland die Syriza ist), der die Aufgabe hat, Zeit zu gewinnen, um den Fortschritt der anti-kapitalistischen und revolutionären Kräfte zu bremsen. Es bedeutet das Hervortreten von Kräften, die zwar von grösseren und kleineren reformistischen Illusionen beeinflusst sind, sich aber nicht tatsächlich dem Bruch mit dem System verschrieben haben. Es genügt, auf die Frage der kapitalistischen Integration Europas zu verweisen – mit dem «linken Europeismus» des portugiesischen Linksblocks oder mit der Nabelschnur-Beziehung der Europäischen Linkspartei an die EU – um die Illusion zurückzuweisen, dass es möglich wäre, dass von dorther die Entfremdung breiter Massen von der Politik überwunden werden könnte, obwohl diese Massen objektiv an anti-monopolistischen Politiken und einer sozialistischen Umwälzung der Gesellschaft interessiert wären.
Zur heutigen Sozial-Demokratie
Beim Versuch, die Frage zu beantworten, was die Sozial-Demokratie heute sei, stellt sich eine Vorfrage der Klarheit und mentalen Hygiene: Wenn wir zur Ablehnung einer Charakterisierung dieser politischen Strömung als «linke» Kraft gelangen, dann müssen wir im gleichen Zug eine « linke Einheit» verwerfen, welche im Namen eines angeblichen Kampfes gegen eine «ideologische» und «ultraliberale» Rechte anzutreten hätte, aber in Wirklichkeit bloss dazu dienen würde, die notwendige Einheit zu verzögern und Grundfragen des Klassenkampfes zu verschleiern.
Bis ins Mark kompromittiert mit der Offensive des Kapitals ..
Man muss übrigens sehen, wie durch ganz Europa die sozialistischen (sozialdemokratischen und Labour-) Parteien, ohne jede Ausnahme, bis ins Knockenmark mit der Offensive des Kapitals kompromittiert sind, die zum Zweck hat, die Arbeiterrechte und die Errungenschaften aus Jahrzehnten schwerer und opferreicher Kämpfe zu vernichten. Und wie sie eine strukturierte und offizielle Zusammenarbeit mit den Rechtsparteien entwickeln – man sehe das Wortpaar Sozialdemokratische Partei Europas / Europäische Volkspartei – um gemeinsame Strategien auszuhecken und Sessel und Posten in den Strukturen der EU zu verteilen. Und von dorther nach unten, auf dem Niveau der verschiedenen Staaten, kann man sehen, wie es steht.
Um bis hierher zu gelangen, war es nötig, einen längeren Weg zu verfolgen, seit der Zeit, als die von Lenin und den jungen kommunistischen Parteien demaskierten Parteien der II. Internationalen sich selbst als getreue Ausleger von Marx und Engels ausgaben, deren Werk sie verfälschten und seiner revolutionären Essenz beraubten.4
Paradigmatische Momente auf dem Weg der Sozial-Demokratie
In diesem Prozess gibt es paradigmatische Momente, von denen hier einige Beispiele aufgeführt werden: die Verurteilung der Oktoberrevolution; die von Léon Blum angeführte Politik der «Nichtintervention» gegen die Spanische Republik; die Verweigerung, mit den Kommunisten zusammenzuarbeiten, um dem aufkommenden Nazi-Faschismus Halt zu gebieten; der Bruch der antifaschistischen, demokratischen Einheit nach dem Sieg im Zweiten Weltkrieg; die aktive Beteiligung an der Errichtung des imperialistischen Gebäudes des Kalten Krieges mit dem belgischen «Sozialisten» Paul-Henry Spaak als erstem Generalsekretär der NATO; die kolonialistische Politik der SFIO in Frankreich, die eine schwere Verantwortung für die Kriege in Indochina und Algerien (1956) trägt; der Godesberger Parteitag der SPD, der 1959 den Bruch mit dem Marxismus und die Ablehnung des Klassenkampfes offiziell machte; der antikommunistische Rechtsschwenker in Verbindung mit den Niederlagen des Sozialismus in der UdSSR und in Osteuropa und die engagierte Mitwirkung beim imperialistischen Sprung der Europäischen Union von Maastricht; der «dritte Weg» von Tony Blair, der darin bestand, die letzten Reste auszutilgen, die noch an die Arbeitervergangenheit und an die Sozialpolitik der britischen Labour Party erinnern könnten; die Einführung der Demokratischen Partei der USA in das sozial-demokratische Netzwerk; die offene Verschwörung gegen die portugiesische Revolution unter heuchlerischen Parolen des «Europa mit uns»; die sinnbildliche Laufbahn von Javier Solana, vom Führer der spanischen PSOE und der mächtigen Bewegung gegen den NATO-Beitritt Spaniens zum Generalsekretär dieses Aggressionsbündnisses; die brutale Offensive der SPD-Regierung Gerhard Schröder, «die Freunde der Patrons», gegen die Löhne und Arbeiterrechte mit der «Agenda 2010» und «Hartz IV»5 ; die aktive Beteiligung der jeweiligen sozialistischen Parteien, der portugiesischen SP bzw. der PASOK, am erbarmungslosen Ausplünderungsprozess, dem das griechische und das portugiesische Volk derzeit ausgesetzt sind.
Verschiebung der Abgrenzung zwischen Sozialdemokratie und Kommunistischer Arbeiterbewegung
Die Rechtswende der internationalen Sozial-Demokratie stellt keinen linearen Prozess dar. Dort, wo die kommunistischen Parteien und die Arbeiter- und Volksbewegung stark waren, ergaben sich Möglichkeiten der progressiven Annäherung und Zusammenarbeit. Aber der Widerspruch zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten, der vereinfacht gesagt, damals über die Linie « Reform / Revolution » verlief, verläuft heute entlang der Linie « Geschäftsführung des Kapitalismus / Revolution », und die Ideologie der Klassenzusammenarbeit, wie sie für den Reformismus typisch galt, hat schliesslich die Sozial-Demokratie dahin gebracht, offen für die Partei des Kapitals im allgemeinen und des monopolistischen Grosskapitals im besonderen einzutreten. Und sogar noch bei den verschiedenen Formen der kapitalistischen Geschäftsführung – wie im Fall der «liberalen» gegenüber der «kenynesianischen» – ist es nicht einfach, die sozialdemokratischen von den Rechtsparteien im engeren Sinne des Wortes zu unterscheiden.
Die Summe der Entwicklungen als Folge der sozialdemokratischen Erbsünde
Dieser ruhmlose Werdegang der internationalen Sozial-Demokratie ist schliesslich eine logische Folge ihrer Erbsünden: ihrer Geringschätzung der Massen; ihrer Befürchtung und Negierung der Revolution; ihrer Ablehnung der Machteroberung durch die Arbeiterklasse als notwendige Bedingung zur Liquidation des Kapitalismus und der daherigen, revisionistischen und opportunistischen Negation der Weltanschauung von Marx, angefangen mit der Verwerfung des Konzepts der «Diktatur des nProletariats». Diese Sünde hat viele wichtige kommunistische Parteien angesteckt, namentlich jene, die in den 70er Jahren die Linie des «Eurokommunismus» entwickelten und die, nachdem auch sie das Konzept der Diktatur des Proletariats aufgegeben hatten, von einer Abschwörung zur nächsten schritten – demokratischer Zentralismus, Rolle der Arbeiterklasse, Marxismus-Leninismus, proletarischer Internationalismus – und in den flachsten Parlamentarismus hinabgesunken sind oder sogar zur Selbstauflösung schritten wie im dramatischen Fall der Italienischen Kommunistischen Partei.
Ein Werkzeug des Kapitals und Stützpfeiler des Imperialismus
Die Frage der Macht und ihrer Klassennatur ist die zentrale Frage jeder Revolution.6 Indem sie das Ziel der Machteroberung für die Werktätigen preisgaben und der Oktoberrevolution den Krieg erklärten, stellten sich die revisionistischen Parteien der II. Internationale objektiv auf die Seite der Konterrevolution. In der Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus und in Zeiten der Vertiefung der Krise des Kapitalismus und Verschärfung der Klassenkämpfe, ist es verständlich, wenn die Option, auf welcher die Sozial-Demokratie von ihrer Gründung her beruht, dazu geführt hat, dieselbe in ein Werkzeug des Kapitals und in einen Stützpfeiler des Imperialismus zu verwandeln.
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Fussnoten
1 In Griechenland erlitt das Zentrum an den Wahlen vom 6. Mai einen schweren Schlag durch den Wählereinbruch der beiden Parteien des Grosszentrums, die für die Tragödie verantwortlich sind, der das griechischen Volk unterworfen wurde: die PASOK und die Nea Dimokratia, welche an den vorherigen Wahlen noch 77,% der Stimmen auf sich vereinigten, sackten auf 32,1% ab.
2 Bernstein (1850-1932), bedeutender Theoretiker der II. Internationale und Vater des «Revisionismus», der opportunistischen Überarbeitung der Theorien von Marx und Engels. Kautsky, der anfänglich den Revisionismus scharf kritisierte, verwandelte sich seinerseits in einen Exponenten des Revisionismus und wurde von Lenin bekämpft; namentlich in der Schrift «Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky».
3 vgl. Álvaro Cunhal, A Verdade e a Mentira sobre a Revolução Portuguesa, A Contra-Revolução Confessa-se, Lisboa (Ed.«Avante!» ) 1999.
4 Der grosse Augenblick der Klärung zwischen dem opportunistischen und dem revolutionär-marxistischen Flügel der Arbeiterbewegung ergab sich am Vorabend des Ersten Weltkriegs, als die sozial-demokratischen Abgeordneten Verrat an den Grundsätzen und Beschlüssen der II. Internationale begingen und für die Kriegskredite stimmten, während die Vertreter der Bolschewiki in der russischen Duma dagegen stimmten und nach Sibirien deportiert wurden.
5 Siehe auch: O Militante, n.º 308, de Setembro-Outubro de 2010, Artikel «Alemanha, 20 anos de contra-revolução».
6 Dazu empfiehlt sich die Lektüre von Lenins Schrift “Staat und Revolution”; und von “A Questão do Estado, Questão Central de cada Revolução”, von Alvaro Cunhal, Lissabon (Ed. «Avante!») 2007.
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Quelle: O Militante – PCP Reflexão e Prática ; Nº 318 – Mai/Jun 2012 (Organ der Portugiesischen Kommunistischen Partei)
Übersetzung (und Zwischentitel): kommunisten.ch (online 6. Juli 2012), http://www.kommunisten.ch/index.php?article_id=1090