Rechtsklerikal
Gerhard Feldbauer hat eine Studie über den amtierenden Papst geschrieben
Von Arnold Schölzel
Kirchen jedweder konfessionellen Ausrichtung sind Machtapparate mit allen zugehörigen Ingredienzien: Hierarchien, Geheimwissen und Geheimdiensten, gnadenloser Bekämpfung innerkirchlicher und gesellschaftlicher Veränderungen, Akkumulation von Reichtümern aller Art sowie Unterordnung allen Handelns unter eine Devise – Selbsterhaltung. Die Verletzung von Glaubensartikeln ist für die anglikanische Kirche wie für den Moscheeverein eine läßliche Sünde im Vergleich zum Infragestellen kirchlicher Immobilien. Dieses Hauptaugenmerk schließt Fürsorge, Aufopferung und Trostspenden im öffentlichen Wirken nicht aus, sondern ein. Schließlich besteht der Anspruch darin, in dieser oder jener Weise Erlösung von Leid zu ermöglichen. Da zwar individueller Glaube, nicht aber Religion ohne Institution zu haben ist, ergibt sich jedoch per Definition ein unaufhebbarer Widerspruch: Die Vertreter des Jenseits haben in erster Linie die Interessen ihrer diesseitigen Einrichtung zu vertreten. Doppelmoral steht notwendig am Anfang jeder Bildung einer Kirche und bestimmt deren Existenzweise. Überirdischer Anspruch und weltliche Existenz kollidieren permanent.
Ein Buch über den amtierenden Papst, dessen Wahl heute vor fünf Jahren verkündet wurde, ist unvermeidlich eine Studie darüber, wie sich diese Problemlage in der römisch-katholischen Kirche und ihrer Geschichte darstellt. Gerhard Feldbauer hat sich diesem Unterfangen gestellt, und es ist ihm mit »Der Heilige Vater. Benedikt XVI. – Ein Papst und seine Tradition« ausgezeichnet gelungen. Wer nicht nur eine profunde Skizze des geistig-politischen Werdegangs Joseph Ratzingers, sondern auch der Herkunft der ihn leitenden Ideen lesen möchte, findet beides in diesem Buch. Der Autor hat den schmalen Band mit Daten, Fakten und Namen gefüllt, ohne den Faden zu verlieren. Das Resultat vertieft Einsichten, die in den letzten Wochen zu dieser Kirche und ihrem Oberhaupt gewonnen werden konnten: Da regiert einer im Vatikan, dem Doppelgesichtigkeit und kühl kalkulierte, rechtskonservative politische Strategie im Zusammenspiel mit den reaktionärsten Kräften des Westens früh Grundlage allen Denkens und Handelns wurden.
In fünf Abschnitten verfolgt Feldbauer zum einen die theologisch-politische Biographie des deutschen Papstes und die Traditionen in der Kirchengeschichte, auf die er sich stützt. Das beginnt im ersten Kapitel mit der Schilderung des Aufstiegs Ratzingers in enger Verbindung mit faschistenfreundlichen und in der Adenauer-Ära die Bundesrepublik stark beeinflussenden Kardinälen bzw. Bischöfen wie Josef Frings (Köln), Michael von Faulhaber (München) oder Rudolf Graber (Regensburg). Der Autor kommentiert die Berufung des Münchener Erzbischofs Ratzinger 1981 zum Präfekten der Inquisition resümierend: »Mit Ratzinger trat ein Kleriker an die Spitze der Glaubenskongregation, die die von Wojtyla eingeleitete reaktionäre Wende erst eigentlich zur Geltung brachte. Er wachte unerbittlich über den ›rechten glauben‹, vertrat einen fanatischen Antikommunismus und verfolgte kompromißlos die Theologie der Befreiung.«
Feldbauer geht in den folgenden drei Kapiteln auf die leitenden Motive der Kirchenführung im Lauf der Geschichte ein und legt dar: Ratzinger stellt sich auch explizit in die Tradition jener, die in der Bekämpfung Andersgläubiger und der Bewahrung sogenannter Reinheit der eigenen Konfession die wichtigste Aufgabe des Priestertums überhaupt sahen. In einem eigenen Abschnitt zeigt der Autor, wie diese Maxime Päpste und Kirche zu Komplizen von italienischem und deutschem Faschismus machte, nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem der wichtigsten Verbündeten der USA.
Aus Feldbauers Sicht schlugen die Reform- und Friedensbemühungen von Papst Johannes XXIII. von 1958 bis 1963 eine Bresche in diese Front, die von seinen Nachfolgern mühsam geschlossen werden mußte. Der polnische Pontifex Johannes Paul II. und sein Nachfolger leiteten eine neue Stufe des Rollback ein. So erscheint die Seligsprechung von francofaschistischen Priestern durch Benedikt XVI. im Herbst 2007 ebensowenig ein Zufall wie dessen Unfähigkeit, beim Besuch in Auschwitz 2006 ein Wort über die Schuld der Kirche zu finden. Die Rücknahme der Exkommunikation von vermutlich mehreren Holocaustleugnern 2009 reiht sich ein. Ratzinger sieht sein Amt und die Kirche als Bollwerk gegen jeden Drang nach sozialer Veränderung. So wie sein Vorgänger nichts dabei fand, sich mit Augusto Pinochet zu zeigen, so eng sind Ratzingers Beziehungen zu jenen inner- und außerkirchlichen Kräften im internationalen klerikalfaschistischen Netzwerk, die nicht nur in Chile am Werk waren. Wer geistige und organisatorische Ursprünge von Gegenrevolution kennenlernen will, sollte zu diesem Buch greifen.
Gerhard Feldbauer: Der heilige Vater, Benedikt XVI – Ein Papst und seine Tradition. PapyRossa Verlag, Köln 2010, 209 Seiten, 14,90 Euro