Profiteure endlich am Pranger
Von der Öffentlichkeit der Bundesrepublik kaum bemerkt fand am vergangenen Wochenende an der Berliner Volksbühne ein Bankentribunal statt. Die dreitägige Veranstaltung, in der mit 900 Besuchern ausverkauften Volksbühne, war kein Prozess im juristischen Sinne, sondern ein symbolisches Verfahren, ähnlich dem “Russel-Tribunal” von 1966, als Forscher, Künstler und Bürgerrechtler auf Initiative des britischen Mathematikers und Philosophen Bertrand Russel die Kriegsverbrechen der USA im Vietnamkrieg untersuchten. In der Berliner Volksbühne beleuchteten einem Bericht von Frank Brunner in junge Welt vom 12.April zufolge Wissenschaftler, Politiker, Journalisten und Gewerkschaftler Ursachen, Hintergründe und Folgen der Finanzkrise sowie der milliardenteuren Rettungsmaßnahmen für die insolventen Geldinstitute. Es ging darum, das öffentliche Bewusstsein für die unglaublichen Vorgänge der letzten Jahre zu schärfen, sagte Jürgen Borchert, Richter am hessischen Landessozialgericht. Die angeklagten Politiker Gerhard Schröder, Peer Steinbrück und Angela Merkel, so die Beschuldigung des Tribunals, hätten öffentliche Interessen der Privatwirtschaft geopfert, während Banker wie Josef Ackermann und Hans Tiedmeyer bereits mit neuen Spekulationsgeschäften experimentierten. “Es kann nicht sein, dass Finanzjongleure Milliarden verspekulieren und Ackermann anschließend die Verluste der Branche fast erpresserisch gegenüber dem Staat eintreibt”, sagte Peter Grottian, Hochschullehrer für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Und der Publizist Wolfgang Lieb, Betreiber des Internetblogs “Nachdenkseiten” erklärte in seiner Eröffnungsrede, man wolle die Veranstaltung nutzen, um “die Charaktermasken der Täter herunterzureißen”. In der Tat hat das Bankentribunal zur dringend notwendigen Entzauberung des angeblich so vorbildlichen Krisenmanagements von Merkel und Steinbrück beigetragen – ein bewusst verbreitetes Märchen, mit dem die CDU auch im Wahlkampf zur Landtagswahl in NRW den Wählern die finanzpolitische Kompetenz und kluge Regierungsarbeit der Bundeskanzlerin und ihrer Partei vorgaukeln wollen. Am Wochenende ist dagegen abermals deutlich geworden, wie dilettantisch die Politiker agiert haben und dass Kontrollmöglichkeiten nicht ausgeschöpft wurden. Zudem wurde auch die krisenverursachende Rolle der Deutschen Bank beleuchtet.
Während der Politologe Elmar Altvater sowohl die Größenordnung der Bankenrettung als auch ihre Intranparenz und Demokratieferne als in der Geschichte der Bundesrepublik ohne Beispiel kritisierte, warf der als Zeuge geladene Kolumnist der Financial Times Deutschland Lucas Zeise den Politikern vor allem die “auseinanderklaffende Einkommensverteilung” vor, die bereits von der Schröder-Regierung zu verantworten sei.
“Die ‘Agenda 2010’ und die Einführung der kapitalgedeckten Rentenversicherung haben die Finanzwirtschaft ungeheuer anwachsen lassen”, so Zeise. Unter der großen Koalition wurde diese Strategie fortgesetzt. “Die Etablierung neuer Finanzprodukte ist Teil der Koalitionspolitik”, erklärte Finanzminister Peer Steinbrück 2006. Die fatalen Folgen dieser “Politik” wurden bereits ein Jahr später sichtbar. Zum “vorbildlichen Krisenmanagement” der Merkel-Regierung gehört auch, dass jene Firmen Bankenrettungsgesetze erarbeiten, die von den Vorschriften selbst betroffen sind, bemängelte Heidi Klein von der Organisation Lobbycontrol mit Blick auf das so genannte Finanzmarktstabilisierungsgesetz. Der Text war 2009 maßgeblich von der Anwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer entworfen worden, einer Firma, die auch Geldinstitute berät. Ein weiterer Beweis für den besorgniserregenden Einfluss vieler Hundert Lobbyisten auf Regierungsentscheidungen in unserem Land, eine unheilvolle Praxis, die ihren bisherigen Höhepunkt bei der EG in Brüssel erreicht.
Das Gericht stellte fest, dass es für die Finanzkrise klare Verantwortliche gibt. Dazu gehören Schröder und Merkel, die durch ihre Arbeitsmarkt-, Sozial- und Finanzpolitik dazu beigetragen haben, dass hochriskante Spekulationsgeschäfte möglich wurden.
“Unser Ziel, zur politischen Aufklärung über die Ursachen der Finanzkrise beizutragen, haben wir erreicht”, erklärte ATTAC-Sprecherin Frauke Distelrath in einem ersten Resümee gegenüber junge Welt. Das Urteil solle Startpunkte für eine “dauernde kritische und kompetente Einmischung der Zivilgesellschaft” und für einen Bankensektor sein, der dem Allgemeinwohl dient. Hoffnung erwächst auch aus der Übereinstimmung der Vorstellungen der unterschiedlichen Teilnehmer des Tribunals über die Fortsetzung der Einmischung unseres Volkes in Regierungsentscheidungen über wichtige Fragen der Gegenwart und Zukunft. Während die Kabarettisten Urban Priol und Georg Schramm sich über Merkel und das Ende des Kapitalismus ausließen und erklärten, es gehe darum, “den Zorn des Volkes zu schüren”, meinte der Politikwissenschaftler Peter Grottian in einem von junge Welt am 12.April veröffentlichten Interview zu Formen des notwendigen Widerstandes gegen die Verantwortlichen für das Desaster: “Ich meine damit Formen des zivilen Ungehorsams. Es geht beispielsweise darum, systematisch die Reputation der Deutschen Bank anzugreifen. Etwa, indem man in Berlin, Frankfurt/Main und München direkt vor Niederlassungen des Konzerns protestiert oder – noch besser – die Filialen besetzt. So etwas muss natürlich gut begründet werden. Vorbild könnten dabei die Aktionen der Studenten im Bildungsstreik 2009 sein.” Für ATTAC komme es darauf an, ob die Organisation ihre Argumente und die Erfahrungen ihrer Experten mit Formen des zivilen Ungehorsams verknüpfen kann. Und unmissverständlich seine abschließenden Worte: “Das Bankentribunal könnte ein Türöffner sein – für mehr Radikalität.”
Hans Fricke, Rostock
Hans Fricke ist Autor des zur diesjährigen Leipziger Buchmesse im GNN-Verlag Schkeuditz erschienenen Buches “Eine feine Gesellschaft” – Jubiläumsjahre und ihre Tücken, 250 Seiten, Preis 15.00 Euro, ISBN 978-3-89819-341-2