Gegen Antikommunismus, Bourgeoissozialismus und Opportunismus.

Philosophie der Revolution

von Otto Finger

Einleitung [Teil II]

»Die Lehre von der Partei wurde auf der Basis der Erfahrungen der achtundvierziger Revolution in der von Karl Marx und Friedrich Engels abgefassten „Ansprache der Zentralbehörde an den Bund“ (1850) um wesentliche Züge bereichert. So begründeten Marx und Engels des Näheren die Notwendigkeit der politisch-ideologischen und organisatorischen Selbständigkeit der Partei, die Verbindung von legaler und illegaler Tätigkeit unter den Bedingungen des revolutionären Emanzipationskampfes, die Rolle der Partei als Vortrupp anderer Arbeiterorganisationen. Ferner legten hier Marx und Engels den Grundstein für das Prinzip des demokratischen Zentralismus und für weitere Maßregeln disziplinierter Klassenaktionen des revolutionären Proletariats.

Die genannten Erkenntnisse und Prinzipien sind unabdingbare Bestandteile der marxistisch-leninistischen Lehre von der sozialistischen Revolution. Ja, der Grundsatz der Diktatur des Proletariats und das Prinzip der konsequenten politischen, ideologisch-weltanschaulichen und organisatorischen Selbständigkeit der Arbeiterpartei und ihrer Führungsrolle sind gravierende Trennungspunkte zwischen revolutionärer Arbeiterpolitik einerseits und jeder Art opportunistischem und reformistischem Verrat an den Lebensinteressen der Arbeiterklasse andererseits. Diese Grundsätze sind nun keineswegs am Beginn der fünfziger Jahre gleichsam ab ovo entwickelt worden. Vielmehr handelt se sich um die Konkretisierung bereits gewonnener Einsichten, die auf dem Boden der neuen geschichtlichen Erfahrungen vertieft werden konnten. Die reichere historische Praxis erheischte und erzeugte revolutionäre Theorie. Dass die bürgerliche Staatsmaschinerie zerschlagen werden muss, fassten Karl Marx und Friedrich Engels schon in der „Deutschen Ideologie“ in diese Forderung: Die Proletarier müssten den alten Staat beseitigen, um ihre Persönlichkeit durchzusetzen. –

Und die Idee der Diktatur des Proletariats enthält das „Manifest der Kommunistischen Partei“ in der Forderung, dass das Proletariat die Demokratie erobern und seine Herrschaft als Staat organisieren müsse. Dass die Partei die politische und ideologische Avantgarde der Klasse bildet, begründet das „Manifest“ mit den folgenden Normen für das Handeln der Kommunisten: Sie sind ein Teil der Klasse und haben der Masse der Proletarier die wissenschaftliche Einsicht in den geschichtlichen Entwicklungsgang voraus. Ihre theoretischen Sätze sind nur allgemeine Ausdrücke eben dieses objektiven gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses. Und die Kommunisten [Frauen und Männer], deren erklärtes Ziel die Schaffung einer von der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen freien Gesellschaft mittels der Vergesellschaftung der Produktionsmittel ist, stellen sich an die Spitze jeder fortschrittlichen Bewegung. In jeder Bewegung aber sorgen sie für die Bewahrung des scharfen Klassenbewusstseins der Arbeiter [der werktätigen Frauen und Männer] und des Bewusstseins ihres revolutionären kommunistischen Ziels.

Das weltgeschichtlich bedeutendste politische Ereignis des 19. Jhs., der Pariser Kommunardenaufstand von 1871, die erstmalige, wenn auch nur kurz währende praktische Machtausübung der Arbeiterklasse, findet ihren theoretischen Niederschlag in Marx’ „Der Bürgerkrieg in Frankreich“ und seiner „Kritik am Gothaer Programm“. In der erstgenannten Arbeit bestimmt Marx sehr viel konkreter und umfassender als vordem, welche ökonomischen, politischen, kulturell-ideologischen und militärischen Aufgaben die Diktatur des Proletariats zu erfüllen hat, um die Ergebnisse der sozialistischen Revolution zu sichern und den kommunistischen Umwälzungsprozess aller vorgefundenen Lebensbedingungen zu vollbringen. Er definiert sie als die endlich gefundene Form, um die ökonomische Befreiung der Arbeit durchzuführen. Mit ihr hört materielle Arbeit ebenso auf, eine Klasseneigenschaft, Last und Qual des eigentumslosen Proletariats zu sein, wie sie das Privileg der Ausbeuter an der geistigen Arbeit und dem Genuss ihrer Früchte endgültig bricht. –

Die Diktatur des Proletariats gründet ihre Macht auf die in die Hände der Arbeiterklasse überführten Waffen. r Sie unterwirft Bildung, Wissenschaft und Kultur der [emanzipatorisch-]sozialistischen Demokratisierung. Wir erkennen unschwer, dass alle diese von Marx im Gefolge der Pariser Kommune getroffenen Bestimmungen sich als praktische Maßregeln aller [zeitweilig] siegreichen [real-] sozialistischen Revolutionen unseres Jahrhunderts [20. Jh.] erwiesen haben, des Roten Oktobers von 1917 ebenso wie der nach dem zweiten Weltkrieg durchgeführten Revolutionen. [O. F., 1973]

In der zweitgenannten Arbeit entwickelt Karl Marx zum ersten Male den Gedanken, dass diese kommunistische Umgestaltung den Inhalt einer ganzen Epoche ausmacht, dass zwischen der Entmachtung des Kapitals und der Herrschaft kommunistischer Verhältnisse eine Übergangsperiode liegt, deren politische Form nur die Diktatur des Proletariats sein kann. In der Kritik des Lassalleschen Opportunismus und seiner Vulgärökonomie begründet Marx ferner, dass in der kommunistischen Gesellschaftsformation eine erste, sozialistische Entwicklungsphase von einer zweiten, höheren, der kommunistischen unterschieden werden muss. Und zwar wesentlich in Abhängigkeit vom Entwicklungsgrad der Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit, der Verwandlung der Arbeit in das erste Lebensbedürfnis des Menschen, der Beseitigung der knechtenden Unterordnung der Individuen unter eine ihnen aufgezwungene Arbeitsteilung, der Beseitigung des Gegensatzes von körperlicher und geistiger Arbeit, der allseitigen Entwicklung der schöpferischen Fähigkeiten des arbeitenden Menschen. –

Karl Marx hat also alles andere verkündet als einen Kommunismus, der der Revolution entspringen würde wie Pallas dem Kopf der Athene. Seine Errichtung ist vielmehr der eine ganze Epoche umspannende revolutionäre Klassenkampf der Arbeiter [werktätigen Frauen und Männer] gegen alle politischen und ideologischen Mächte der kapitalistischen Vergangenheit, er ist das Werk der [sozial-ökonomisch-ökologisch-emanzipatorischen] Arbeitstaten der werktätigen Volksmassen, der von der [revolutionären Emanzipations-] Partei der Arbeiterklasse und ihrem [Übergangs-] Staat organisierten, planvoll auf die kommunistischen [Welt-] Ziele gelenkten Schöpferkräfte der Werktätigen. Seine Errichtung unterliegt, wie die Entstehung aller vorhergehenden Gesellschaftsformationen, objektiven Gesetzmäßigkeiten, weder durch einen Kraftakt des Wollens und Wünschens erzeugbar, noch abschaffbar, wohl aber erkennbar, im sozialistischen und kommunistischen Lebensprozess bewusst durchsetzbar. In letzterem liegt eine seiner wesentlichen neuen Qualitäten gegenüber allen vorhergehenden gesellschaftlichen Zuständen. –

Mit der [revolutionär emanzipatorisch-] sozialistischen Revolution wird jener Prozess eingeleitet, in welchem, wie es schon in der „Deutschen Ideologie“ heißt, die Produktivkräfte aufhören, von den Individuen losgerissene Kräfte zu sein. Die Menschen beginnen ihre sozialen Verhältnisse mit Bewusstsein als Geschöpfe ihres Handelns zu gestalten. Es beginnt, wie dies Friedrich Engels im „Anti-Dühring“ genannt hat, der Sprung aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit, sofern der Mensch es nunmehr in stets wachsenden Maße lernt, seinen sozialen Lebensprozess sachkundig zu beherrschen, die objektiven Entwicklungsgesetze des [real-] sozialistischen und kommunistischen Fortschritts bewusst anzuwenden.

Die nähere Ausarbeitung dieser dialektischen Wechselbeziehung zwischen objektivem sozialökonomischem Gesetz, menschlichem Handeln und gesellschaftlichem Bewusstsein ist eine charakteristische Leistung der Leninschen Etappe der materialistisch-dialektischen Philosophie. Lenin hat ihren Zusammenhang für die Bedingungen der Vorbereitung der sozialistischen Revolution, ihre Durchführung und die Entfaltung ihrer Ergebnisse, die Schaffung der sozialistischen Produktionsverhältnisse und der ganzen neuen Lebensordnung entwickelt. Am umfassendsten in den Arbeiten, die nach der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution des Jahres 1917 entstanden sind. So in „Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht“, „Die große Initiative“, „Lieber weniger aber besser“ und in anderen Schriften. Allerdings knüpfen der Leninismus und die von ihm geprägte Führungstätigkeit des [real-] sozialistischen Staates und der revolutionären Partei der Arbeiterklasse bei der dialektischen Vereinigung von objektiven Bedingungen und subjektiven Faktoren in allen Fragen der Theorie und Praxis der kommunistisch-revolutionären Umwälzung an ein philosophisches Motiv bereits der Entstehungsgeschichte des Marxismus an. Es gehört zu den historisch-materialistischen Maximen der revolutionären Weltanschauung [Weltaneignung], dass die Geschichte von Menschen gemacht wird, dass der gesamte historische Entwicklungsprozess der Menschheit wesentlich ein Entwicklungsprozess ihrer materiellen Produktionstätigkeit, ihres Stoffwechsels mit der Natur in der gesellschaftlichen Arbeit ist. –

Ebenso begründen Marx und Engels schon in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts [19. Jh.], dass sozial-historische Gesetze, auch die Gesetze, nach denen soziale Revolutionen geschehen, nichts anderes sind als Gesetze des Handelns der Menschen, der Beziehungen, die sie in der gesellschaftlichen Produktion zueinander und zu den Naturbedingungen ihres Lebens eingehen. In den „Thesen über Feuerbach“ akzentuiert dies Marx gegen die einseitig-metaphysisch und letztlich bürgerlich restaurative Vorstellung des Aufklärungsmaterialismus, wonach die Menschen bloß Produkte ihrer Umstände seien dahin, dass die Umstände von den Menschen selbst gemacht werden. (Freilich lässt sich der alte Materialismus nicht auf diese Seite reduzieren.) –

In der revolutionären Tätigkeit, in umwälzender Praxis, in diesem Kulminationspunkt der politischen Energie einer kämpfenden Klasse fällt die Veränderung der Umstände mit der Selbstveränderung ihrer Akteure zusammen. Und Marx übersieht die Rolle der Theorie und des gesellschaftlichen Bewusstseins im revolutionären Klassenkampf des Proletariats so wenig, dass er vielmehr das theoretische Begreifen der umwälzenden Verhältnisse zur Vorbedingung ihrer wirklichen Umwälzung macht (vgl. die 5. Feuerbachthese).«

[Auszug]

Quelle: Philosophie der Revolution. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1975. Studie zur Herausbildung der marxistisch-leninistischen Theorie der Revolution als materialistisch-dialektischer Entwicklungstheorie und zur Kritik gegenrevolutionärer Ideologien der Gegenwart. Autor: Otto Finger. Vgl. Einleitung.

19.08.2012, Reinhold Schramm (Bereitstellung)

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