Philosophie der Revolution

Wesensmerkmale des Kommunisten und des Kommunismus

von Otto Finger

»Die fortgeschrittensten, theoretisch bewussten und den revolutionären Kampf organisierenden Vertreter des Proletariats sind die Kommunisten. Marx und Engels entwickeln in der „Deutschen Ideologie“ solche Wesensmerkmale des Kommunisten, die in der Tat zu den gültigen Normen für das Wirken der Avantgarde der Arbeiterklasse zählen.

Hervorgehoben seien zwei: Die eine ist ihre Organisiertheit. Die andere ihre Fähigkeit, revolutionäre Theorie in revolutionäres Handeln umzusetzen. Gegen Feuerbachs totales Missverständnis des Begriffs Kommunist (getreu seiner Anthropologie verwandelt er den Kommunisten in ein Prädikat des Menschen, erklärt er sich selbst für einen Kommunisten, sofern ihm die Qualität „Gemeinmensch“ zukomme) stellen Marx und Engels fest, dass dieses Wort „in der bestehenden Welt den Anhänger einer bestimmten revolutionären Partei bezeichnet“ [1/43].

Kommunist sein, das bedeutet für Marx und Engels schon vor dem „Manifest“ unendlich viel mehr, als dieser oder jener Auffassung der kommunistischen Theorie zuzustimmen. Kommunisten schließen sich zur Partei des Proletariats zusammen, sie bilden eine materiell organisierte, nicht bloß geistig vermittelte Kampfgemeinschaft. –

Dies ist aktuell gegen alle opportunistischen und neoanarchistischen Versuche, die marxistisch-leninistischen Organisationsprinzipien aufzuweichen. Und ebenso aktuell ist die damit unmittelbar zusammenhängende radikale Kritik an jeder anthropologischen Verwischung des Klasseninhalts der kommunistischen Bewegung. Nach Marx und Engels ist der anthropologisch ausgehöhlte Kommunismus gerade Nichtkommunismus. Er verwandelt sich idealistisch in eine bloße Kategorie. Heute freilich in mehr oder weniger direkten Antikommunismus.

Das zweite genannte Wesensmerkmal des Kommunisten wird in der „Deutschen Ideologie“ im unmittelbaren Zusammenhang mit der Bestimmung des neuen weltanschaulichen Gehalts des Begriffs Materialismus entwickelt. Wir haben schon mehrfach auf den für den Marxismus als revolutionäre Ideologie charakteristischen Begriff des praktischen Materialismus hingewiesen. Materialismus also nicht bloß als Grundlage für eine Theorie von der Wirklichkeit, sondern als theoretischer Ausgangspunkt für deren praktische Veränderung. Genau diesen Materialismus setzten Marx und Engels mit Kommunismus in eins. Kommunist sein, das heißt, gemäß wissenschaftlicher Theorie revolutionär handeln. –

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Karl Marx und Friedrich Engels betonten, dass es sich „für den praktischen Materialisten, d. h. Kommunisten, darum handelt, die bestehende Welt zu revolutionieren, die vorgefundenen Dinge praktisch anzugreifen und zu verändern.“ [2/44] –

Die Theorie-Praxis-Beziehung wird so in der „Deutschen Ideologie“ bis zu diesem Punkt konkretisiert: Es kommt auf eine solche Entwicklungshöhe des Materialismus, eine solche Durchbildung zur politischen Theorie an, dass er das kommunistisch-revolutionäre Handeln orientiert. Materialismus wird zur kommunistischen Ideologie.

Der Begriff Kommunismus wird in der „Deutschen Ideologie“ in zwei wesentlichen Bestimmungen entwickelt. Einmal begreift er Grundzüge der kommunistischen Gesellschaftsformation in sich ein. Dazu gehören:

Aufhebung der „Naturwüchsigkeit“ der sozialen Existenzbedingungen, Beseitigung der feindlichen Macht der Produktionsverhältnisse gegen die Individuen, „Unmöglichmachung alles von den Individuen unabhängig Bestehenden, sofern dies Bestehende dennoch nichts als ein Produkt des bisherigen Verkehrs der Individuen selbst ist“ [3/45] In anderen Worten: Kommunismus heißt Vergesellschaftung der Produktionsmittel und damit Aneignung des von den Produzenten Geschaffenen durch die Produzenten selbst. Das ist die Voraussetzung für die Vereinigung der arbeitenden Individuen, die Aufhebung der Klassengegensätze.

Die kommunistisch vereinigten Produzenten gestalten ihren Lebensprozess nach einem „Gesamtplan“ [4/46], sie behandeln alle „naturwüchsigen Voraussetzungen“, das sind die historisch überkommenen und auf jeder Entwicklungsstufe neu erzeugten Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse, „mit Bewusstsein als Geschöpfe“ der Menschen selbst. [5/47] Kommunismus ist dergestalt aufgehobene Entfremdung, dass in ihm die Menschen ihren sozialen Verkehr und die Produktion des materiellen und geistigen Lebens planvoll und bewusst verwirklichen.

Kommunismus bedeutet auf dieser Grundlage Allseitigkeit der schöpferischen Entwicklung des arbeitenden Menschen, materielles Leben und bewusste Selbstbetätigung werden eins.

Zum anderen begründen Marx und Engels als entscheidende revolutionär-ideologische Seite ihres Kommunismusbegriffs zum Unterschied von aller kleinbürgerlich utopischen Projektemacherei das folgende: „Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben [wird]. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingungen dieser Bewegung ergeben sich aus der jetzt bestehenden Voraussetzung.“ [6/48] –

In diesen Sätzen ist – in freilich vorläufiger und abstrakter Form – das Grundkonzept für die Führungstätigkeit revolutionärer Parteien der Arbeiterklasse angelegt. Sie gehen nicht von einem Ideal der „besten Gesellschaft“ aus. Sie treten nicht mit irgendeiner neuen Variante religiöser Heilslehren auf. Sie sind nicht solche spekulativen Idealisten und phantastischen Utopisten, die erwarten würden, die elende Wirklichkeit ließe schon dadurch sich verändern, dass man das Ideal einer schöneren Zukunft gegen sie setze. Sie erwarten nicht, dass die Wirklichkeit – die sozialen Verhältnisse, Institutionen, die kämpfenden Klassen, die wirklichen Menschen – sich nach dem zu etablierenden Ideal richteten. Sie fabrizieren und verteilen keine täuschenden und betäubenden Trostmittel, die die bestehenden Zustände erträglich machen könnten. Vielmehr gehen sie von der Realität aus. –

Sie begreifen die bestehenden Verhältnisse sowohl in den sie erzeugenden wie auch in den sie vernichtenden Bedingungen. Ihr Realitätssinn ist wissenschaftlich und revolutionär zugleich. Sie formieren eine Bewegung, eben die kommunistische Bewegung, die nicht im Ideal, sondern in der revolutionären Aktion über die Ausbeuterordnung hinausführt.

ZU dieser revolutionären Aktion gehört schon nach den Erkenntnissen der „Deutschen Ideologie“ die Machteroberung der Arbeiterklasse. Also das Prinzip nicht allein, den bürgerlichen Staat zu stürzen, sondern an seine Stelle die Macht der Arbeiterklasse zu setzen. Obzwar hier dieses Prinzip nur im allerersten Ansatz, ohne nähere Ausführung der praktischen Aufgaben des sozialistischen Staates auftaucht, verdient es festgehalten zu werden, dass Marx und Engels schon in der „Deutschen Ideologie“ nicht die Vorstellung hatten, die politischen Einrichtungen könnten unvermittelt und sofort verschwinden, sobald nur die Revolution des Proletariats eingesetzt habe. Vielmehr sprechen sie davon, dass die kommunistische Revolution „die politischen Einrichtungen schließlich beseitigt“. [7/49] –

Die Revolution bedeutet also nicht den sofortigen Sprung in einen Zustand der Gesellschaft, der ohne politische Einrichtungen und ohne Herrschafts- und Machtverhältnisse auskommt. Marx und Engels nehmen dies, wie wir erkennen, schon sehr früh für den abschließenden Akt der kommunistischen Umwälzung, nicht für ihren anfänglichen an. –

Und es verdient gleichfalls festgehalten zu werden, dass sie in diesem Zusammenhang betonen, die kommunistische Revolution würde sich nicht nach den „gesellschaftlichen Einrichtungen erfinderischer sozialer Talente“ richten, „sondern nach den Produktivkräften“. [8/50] –

Es gehört noch immer zu den „Erfindungen“, sprich demagogischen Utopien anarchistischer Wirrköpfe und rechter Revisionisten, gerade von diesem entscheidenden Zusammenhang abzusehen: Charakter und Funktion politischer Einrichtungen haben auch im Sozialismus etwas mit dem Entwicklungsstand der Produktivkräfte und der mit ihnen verbundenen Produktionsverhältnisse zu tun.

Auch wenn wir völlig davon absehen, dass der sozialistische Staat noch immer, auch nachdem die sozialistischen Produktionsverhältnisse gesiegt haben, den Schutz eben dieser Verhältnisse gegen die verdeckten und offenen Aggressionsversuche der imperialistischen Bourgeoisie zu garantieren hat, selbst wenn wir hiervon absehen, bleibt der Gedanke der „Deutschen Ideologie“ noch immer höchst aktuell: Das Aufhören politischer Einrichtungen ist auch darum erst das schließliche Resultat der kommunistischen Revolution, weil diese Einrichtungen erforderlich sind, um jenen Entwicklungsgrad der Produktivkräfte und jene Vervollkommnung der sozialistischen Produktionsverhältnisse zu organisieren, die das völlige Verschwinden der Klassenunterschiede sowie der Unterschiede zwischen Stadt und Land und zwischen körperlicher und geistiger Arbeit bedingen.

Die nähere Entwicklung dieses Zusammenhangs gibt Marx in der „Kritik des Gothaer Programms“, Lenin in „Staat und Revolution“ sowie in seinen nach der Oktoberrevolution zur Praxis des sozialistischen und kommunistischenAufbaus geschriebenen Arbeiten.

Die „Deutsche Ideologie“ enthält das Prinzip der Machteroberung der Arbeiterklasse und die objektive Notwendigkeit und die weltgeschichtliche Aufgabe ihrer Herrschaftsausübung in der folgenden Gestalt: Das Proletariat erobert die Herrschaft, um Klassenherrschaft überhaupt aufzuheben. Es muss und zwar wie jede andere zur Herrschaft strebende Klasse auch, die politische Macht als Allgemeininteresse durchsetzen. Karl Marx und Friedrich Engels betonen so, „dass jede nach der Herrschaft strebende Klasse, wenn ihre Herrschaft auch, wie dies beim Proletariat der Fall ist, die Aufhebung der ganzen alten Gesellschaftsform und der Herrschaft überhaupt bedingt, sich zuerst die politische Macht erobern muss, um ihr Interesse als das Allgemeine, wozu sie im ersten Augenblick gezwungen ist, darzustellen.“ [9/51]«

Anmerkungen

1/43 Karl Marx und Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, S. 41.

2/44 Ebenda, S. 42.

3/45 Ebenda, S. 70f.

4/46 Vgl. ebenda, S. 72.

5/47 Vgl. ebenda, S. 70.

6/48 Ebenda, S. 35.

7/49 Ebenda, S. 364.

8/50 Ebenda.

9/51 Ebenda, S. 34.

Quelle: Philosophie der Revolution. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1975. Studie zur Herausbildung der marxistisch-leninistischen Theorie der Revolution als materialistisch-dialektischer Entwicklungstheorie und zur Kritik gegenrevolutionärer Ideologien der Gegenwart. Autor: Otto Finger. Vgl.: 6.6. Wesensmerkmale des Kommunisten und des Kommunismus.

02.03.2012, Reinhold Schramm (Bereitstellung)

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