Philosophie der Revolution
Arbeitsteilung und Klassenwiderspruch
von Otto Finger
»Die Klassen entstehen aus der gesellschaftlichen Produktion selbst, und zwar mit der Arbeitsteilung. Die für den Entwicklungsgang der Gesellschaft folgenreichste Teilung der Arbeit ist die Trennung von materieller und geistiger Arbeit. –
Karl Marx und Friedrich Engels untersuchten die objektiven Bedingungen hierfür im Zusammenhang mit der Frage nach dem Entwicklungsprozess des gesellschaftlichen Bewusstseins. Das dem Klassenbewusstsein vorausgehende Stammesbewusstsein „… erhält seine weitere Entwicklung und Ausbildung durch die gesteigerte Produktivität, die Vermehrung der Bedürfnisse und die Beiden zum Grunde liegende Vermehrung der Bevölkerung. Damit entwickelte sich die Teilung der Arbeit, die ursprünglich nichts war als die Teilung der Arbeit im Geschlechtsakt, dann Teilung der Arbeit, die sich vermöge der natürlichen Anlage (z. B. Körperkraft), Bedürfnisse, Zufälle etc.. etc. von selbst oder ,naturwüchsig’ macht. Die Teilung der Arbeit wird erst wirklich von dem Augenblick an, wo eine Teilung der materiellen und geistigen Arbeit eintritt.“ [1/155]
Vermehrung der Bevölkerung, Vermehrung der Bedürfnisse und Steigerung der Produktivität: Das sind zunächst die Prozesse, die zur Arbeitsteilung führen. Marx und Engels unterscheiden dabei eine „naturwüchsige“ als eine biologisch bedingte von der spezifisch gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Aus letzterer heben sie diejenige zwischen materieller und geistiger Arbeit heraus. Warum kommt gerade ihr eine so entscheidende Bedeutung zu? –
In ihr drückt sich Klassenspaltung der Gesellschaft aus, die Herausbildung einer selbst nicht mehr arbeitenden, nicht mehr materiell produzierenden Klasse, die von der Ausbeutung der Arbeitskraft der materiellen Produzenten lebt. –
Dass es möglich wird, geistige Arbeit getrennt von materieller Arbeit auszuüben, setzt eine solche Produktivität der letzteren voraus, dass sie die erstere mit unterhalten kann.
Eine nähere Untersuchung der Vorgänge im gesellschaftlichen Leben, die hierzu geführt haben, gibt Friedrich Engels in der Arbeit „Vom Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates.“ Das Werk fußt auf den theoretischen Ansätzen der „Deutschen nIdeologie“. Engels verweist in der genannten Arbeit auf eine Reihe von ökonomischen Vorgängen, von Veränderungen in der Art zu produzieren, von Steigerungen der Produktivität der Arbeit, die mit Notwendigkeit die urkommunistische Gentilordnung auflösen und zur Klassengesellschaft und damit zum Staat führten. Zu diesen Veränderungen zählen:
• Ablösung des Mutterrechts durch das Vaterrecht mit Vererbung des Vermögens an die Kinder
• Anhäufung von Reichtum in den Familien, wodurch sie zu einer Macht gegenüber der Gens werden konnten
• Aus der Anhäufung von Reichtum in bestimmten Familien entstehen erste Ansätze zu einem erblichen Adel und zum Königtum
• Beginnende Sklaverei, möglich geworden dadurch, dass die menschliche Arbeitskraft mehr erbringt, als zu ihrem bloßen Unterhalt notwendig
• Austausch der Produkte, Verwandlung der Produkte in Waren
• Mit der entstehenden Warenproduktion geht Entstehung des Grundeigentums einher
• Aufkommen des Geldes, der allgemeinen Ware, austauschbar gegen alle anderen
• Mit dem Geld entsteht Zinswucher
• Das Eisen beginnt eine umwälzende Rolle sowohl in der handwerklichen Produktion als auch im Ackerbau zu spielen
• Teilung der Arbeit zwischen einzelnen Produktionszweigen, Entstehen des Gegensatzes zwischen städtischer und agrarischer Produktion, zwischen körperlicher und geistiger Arbeit, zwischen Aneignenden und nProduzierenden, zwischen Reichtum und Armut
• Letztendlich also erzeugt die gesellschaftliche Produktion und die Arbeitsteilung Klassenspaltung und damit das Organ der Klassenherrschaft, den Staat
Die „Deutsche Ideologie“ klärt erste wesentliche Widersprüche auf, die mit der Arbeitsteilung im gesellschaftlichen Leben entstehen; sie beginnt damit, soziale Inhalte der Klassenwidersprüche aufzuhellen. Marx und Engels halten aus der Untersuchung der Bedingungen, in denen gesellschaftliches Bewusstsein als Theorie (als Theologie, Philosophie, Moral usf.) mit dem praktischen Sein in Widerspruch geraten kann, sich als besondere Sphäre über das Sein erhebt, „das eine Resultat“ fest: „… dass diese drei Momente, die Produktionskraft, der gesellschaftliche Zustand und das Bewusstsein in Widerspruch untereinander geraten können und müssen, weil mit der Teilung der Arbeit die Möglichkeit, ja die Wirklichkeit gegeben ist, dass die geistige und materielle Tätigkeit – dass der Genuss und die Arbeit, Produktion und Konsumtion, verschiedenen Individuen zufallen …“ [2/156]
Wenn aber mit der Arbeitsteilung in körperliche und geistige Arbeit auch diese „Teilung“ stattfindet, dass die einen Individuen produzieren und die anderen genießen, dann ist dies nichts anderes als die Herausbildung des Ausbeutungsverhältnisses. –
Das Auseinanderfallen von körperlicher und geistiger Arbeit ist nur ein anderer Ausdruck für die Spaltung der Gesellschaft in materiell produzierende ausgebeutete Klassen und in nur geistig tätige ausbeutende Klassen. –
Wenig später, im „Manifest der Kommunistischen Partei“, klären freilich Marx und Engels, dass mit der Entwicklung des Kapitalismus die bürgerliche Ausbeuterklasse schließlich auch die Mehrzahl aller geistig Tätigen, „den Arzt, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten, den Mann der Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter verwandelt“[3/157].
Keineswegs haben Marx und Engels – wie der Beleg aus dem „Manifest“ zeigt – den Klassenwiderspruch zwischen geistiger und körperlicher Arbeit vereinfacht und vereinseitigt. Vielmehr gilt, dass die geistige Arbeit selbst ausgebeutet wird und dass ein großer Teil ihres gesamten Leistungsvermögens für die Organisation, die politische, juristische, ideologische Sicherung der jeweils herrschenden Ausbeutungsverhältnisse aufgebraucht wird. –
Über der auch im Imperialismus beschleunigt vor sich gehenden Verwandlung der Wissenschaft in eine Produktivkraft darf dieser Sachverhalt nicht übersehen werden. Auch er macht deutlich, wie überreif die kapitalistische Gesellschaft für die Revolution ist. Ein gewaltiger Teil ihrer geistigen Produktivkräfte wird eingesetzt zu dem einzigen Zweck, die Fortdauer dieses Systems zu sichern.
Für das Zustandekommen des Ausbeutungsverhältnisses wird auch in der „Deutschen Ideologie“ mit Nachdruck das Privateigentum in Anschlag gebracht. Arbeitsteilung als soziales Widerspruchsverhältnis und Privateigentum an den Produktionsmitteln – also die grundlegenden Seiten aller vorsozialistischen Produktionsverhältnisse – bedingen die Widerspruchsverhältnisse in der Sphäre der gesellschaftlichen Distribution:
„Mit der Teilung der Arbeit, in welcher alle diese Widersprüche (z. B. die oben genannten zwischen Genuss und Produktion; O. F.) Gegeben sind und welche ihrerseits wieder auf der naturwüchsigen Teilung der Arbeit in der Familie und der Trennung der Gesellschaft in einzelne, einander entgegengesetzte Familien beruht, ist zu gleicher Zeit auch die Verteilung, und zwar die ungleiche, sowohl quantitative wie qualitative Verteilung der Arbeit und ihrer Produkte gegeben, also das Eigentum, das in der Familie, wo die Frau und die Kinder die Sklaven des Mannes sind, schon seinen Keim, seine erste Form hat. Die freilich noch sehr rohe, latente Sklaverei in der Familie ist das erste Eigentum, das übrigens hier schon vollkommen der Definition der modernen Ökonomen entspricht, nach der es Verfügung über fremde Arbeitskraft ist. Übrigens sind Teilung der Arbeit und Privateigentum identische Ausdrücke – in dem Einen wird in Beziehung auf die Tätigkeit dasselbe ausgesagt, was in dem Andern in bezug auf das Produkt der Tätigkeit ausgesagt wird.“ [4/158]
Der Begriff Privateigentum sagt etwas aus über das Produkt der Arbeit: Es wird nicht vom Produzenten, sondern vom Nichtproduzenten angeeignet. Privateigentum bedeutet Verfügungsgewalt über die Produkte durch jene, die das Eigentum an den Produktionsmitteln haben. Mit letzterem haben sie die Möglichkeit, auch die Verteilung zu bestimmen. –
Wie wir schon in den „Manuskripten“ erfahren haben, geschieht die Verteilung in der Weise, dass die Produzenten nur das zurück erhalten, was ihre Arbeitskraft zur Selbstreproduktion braucht. Teilung der Arbeit sagt dasselbe wie Privateigentum in bezug auf die Produktion selbst aus: Materielle Produktion ist in der kapitalistischen Gesellschaft die Produktion der Nichteigentümer. Arbeiter sein heißt hier Nichteigentümer, Ausgebeuteter, Beherrschter, Unterdrückter sein – der Arbeiter befindet sich, solange er sich nicht zum politischen Klassenkampf erhebt, im umfassendsten Sinne unter der Verfügungsgewalt des Kapitalisten. –
Verfügungsgewalt einer Minderheit über die Produktion aber und Privateigentum an ihren Mitteln sind unauflöslich miteinander verknüpft.
Wenn somit Karl Marx und Friedrich Engels in der „deutschen Ideologie“ die Beseitigung der Arbeitsteilung fordern, so ist dies eine praktisch-revolutionäre, konkret- geschichtlich begründete, auf den Kommunismus abzielende Forderung. Es geht um Arbeitsteilung als Grundlage und Konsequenz von Klassengegensätzen. –
Es geht spezieller um die Aufhebung der kapitalistischen Arbeitsteilung, um den kapitalistischen Klasseninhalt des Gegensatzes von körperlicher und geistiger Arbeit. Und es geht schließlich um die kommunistische Perspektive, die die knechtende Unterordnung der arbeitenden Menschen unter eine Arbeitsteilung beseitigt, die sie vereinseitigt, ihre Fähigkeiten nicht entfaltet und die Spaltung zwischen dem besonderen und dem gemeinsamen Interesse vertieft.«
[Ein modifizierter Auszug.]
Anmerkungen
n
1/155 Karl Marx u. Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, S. 31.
2/156 Ebenda, S. 32.
3/157 K. Marx u. F. Engels, Manifest der kommunistischen Partei, in: Werke, Bd. 4, Berlin 1959, S. 465.
4/158 K. Marx u. F. Engels, Die deutsche Ideologie, S. 32. (Letzte Hervorhebung von O. F.)
Quelle: Philosophie der Revolution. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1975. Studie zur Herausbildung der marxistisch-leninistischen Theorie der Revolution als materialistisch-dialektischer Entwicklungstheorie und zur Kritik gegenrevolutionärer Ideologien der Gegenwart. Autor: Otto Finger. Vgl.: 5.20. Arbeitsteilung und Klassenwiderspruch.
27.02.2012, Reinhold Schramm (Bereitstellung)