Nord-Irland: Kein Anschlag auf Friedensprozess
Kommentar zu „Autobombe tötet Polizisten“ von Uschi Grandel, junge Welt, 5. April 2011
Uschi Grandel wirft in ihrem Artikel auf den tödlichen Anschlag auf einen Beamten der britischen Polizei am vergangenen Wochenende grundlegende Fragen zur aktuellen Situation in den sechs britisch regierten Grafschaften Irlands auf.
Sie schreibt, die Autobombe, die den britischen Polizisten tötete, sei ein „Anschlag auf den Friedensprozess“ gewesen. Sie zitiert weiterst den Präsidenten von Provisional Sinn Féin, Gerry Adams, der meine, es sei ein Versuch gewesen, „die bisher im nordirischen Friedensprozess erzielten Erfolge zu zerstören“.
Bei genauerer Betrachtung der Situation in Irland muss die ernsthafte Frage gestellt werden, was sind denn nun diese Errungenschaften des „Friedensprozesses“? 17 Jahre nach dem Waffenstillstand der Provisional IRA und 13 Jahre nach Unterzeichnung des Belfaster Abkommens steigt die Arbeitslosigkeit vor allem unter Jugendlichen sowohl in nationalistischen, als auch loyalistischen Arbeitergebieten rasant an. Die Schulbildung in den Arbeitergebieten ist gering. Die Unterstützung der Bevölkerung für das Belfaster Abkommen 1998 wurde durch ausländische Investitionen, vor allem aus den USA, erkauft. Sobald das Abkommen umgesetzt wurde, vielen diese wieder weg, die geschaffenen Arbeitsplätze gingen verloren.
Stattdessen wurde die britische Herrschaft über den Nordosten Irlands einzementiert. Die verdeckt operierende Spezialeinheit der britischen Armee, SRR, wurde im Frühjahr 2009 nach Nordirland entsandt. Die britische Armee zeigt sich wieder offen auf den Straßen, wie in den letzten Wochen aus Derry, Lurgan und Newry berichtet wurde. Und unweit Belfasts wurde ein neues Geheimdiensthauptquartier errichtet.
Vor allem die Bevölkerung in nationalistischen Arbeitervierteln, wie jenen in Nord-Belfast, Lurgan, Newry, Armagh City oder Derry, ist heute der täglichen Repression durch den britischen Staat und seine Institutionen ausgesetzt. Hausdurchsuchungen und Verhaftungen stehen auf der Tagesordnung. Entgegen der durch die Medien verbreiteten Meinung gibt es bis heute über 100 republikanische Gefangene in Irland, die unter einem brutalen Gefängnisregime leiden müssen.
Zu diesen Institutionen gehört auch die britische Polizei RUC/PSNI, die durch die Reform von RUC zu PSNI nicht ihren Charakter als Aufrechterhalterin der britischen Kontrolle in Nordirland verlor. Grandel schreibt: „Polizist konnte er nur auf Grund der Fortschritte im Friedensprozess werden.“ Eine Annahme, die so nicht zu verifizieren werden kann. Egal, die zentrale Frage ist, ob es ein Fortschritt für die Bevölkerung ist, wenn neue Gruppen nun Teil der repressiven Staatsmacht werden können?
Der Zweck jeder Polizei, gleich in welchem Land, ist die Aufrechterhaltung der Staatsordnung. In diesem Fall also der Britischen – in Irland. In der alten, sektiererischen RIC – die durch die RUC, heutige PSNI abgelöst wurde – war der Anteil der katholischen Beamten höher, als er heute in der PSNI ist. Dennoch beging die RIC unvorstellbare Gräueltaten gegen die irische Bevölkerung. Ihren sektiererisch-rassistischen Charakter konnte und wollte sie nie ablegen.
Es ist somit eine Traumvorstellung, die Polizei einer Kolonialmacht, könne sich durch Eintritt anderer Bevölkerungsgruppen – hier Mitglieder aus der katholisch-nationalistischen Bevölkerung – in eine „zivile Bürgerpolizei“ wandeln, wie es Grandel ausdrückt. Denn Charakter einer „zivilen Bürgerpolizei“ hat die Polizei nicht einmal in den Ländern Mitteleuropas. Die brutale Niederschlagung der Studentenproteste in London im vergangenen Dezember spricht wohl auch nicht für den „zivilen Bürgerpolizei“-Charakter der britischen Polizei.
Auch muss betrachtet werden, aus welchen sozialen Schichten sich die neuen katholischen Rekruten der britischen Polizei zusammensetzen. Der überwiegende Anteil setzt sich aus der kleinen, wohlhabenden katholischen Mittelschicht zusammen, aus der nationalistischen Arbeiterklasse tritt der Polizei niemand bei.
Wenn wir heute einen Blick in die nationalistischen Arbeiterviertel Nord-Irlands werfen, dann bemerken wir den großen Hass der Bevölkerung auf die britische Staatsmacht und die weiterhin sektiererisch agierende Polizei. Dies wurde auch wieder bei gewalttätigen Protesten gegen Hausdurchsuchungen in Lurgan am vergangenen Montag, 4. April, deutlich.
Grandel zitiert zum Schluss abermals Adams mit den Worten „die Wut der Menschen in den irisch-republikanischen Vierteln darüber (über den Anschlag auf den Polizisten, Anm. DB) sei groß“. Tatsächlich war der Aufschrei unter der irisch-nationalistischen Bevölkerung um vieles größer, als Martin McGuinness an der Seite des Chefs der britischen Polizei in Irland im März 2009 erklärte, irische Republikaner, die weiterhin für ein vereintes Irland mit allen notwendigen Mitteln kämpfen würden, seien „Verräter“.
Die heutige Situation wird historisch nur als eine weitere relativ ruhige Phase in die irische Geschichte eingehen. Seit 200 Jahren wechseln sich ruhige Phasen mit militanten Kampagnen ab. Dieser Zyklus kann nur durch einen völligen Abzug aller Institution des britischen Staats durchbrochen werden.
Irische Republikaner haben nie ausschließlich für mehr soziale, politische und demokratische Rechte in einem britisch-regierten Staat gekämpft. Seit über 200 Jahren verfolgen Generationen von Republikanern das Ideal einer vereinten irischen Republik auf egalitärer, demokratisch-sozialistischer Grundlage. Daran wird auch das Belfaster Abkommen von 1998 nicht ändern können.
Das Blutvergießen zu beenden liegt in den Händen des britischen Staats.
Is mise le meas,
Dieter Blumenfeld
Sinn Féin Poblachtach, PRO Europe
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