Im Stadtteil für die Revolution arbeiten
Eindrücke der SDAJ von der Nachbarschafts- und Kommunalpolitik der KKE
Die meisten aus unserer 25-köpfigen Reisegruppe, mit der wir im September Griechenland besuchten, kannten die Massendemonstrationen der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) und der von ihr unterstützten Gewerkschaftsfront PAME nur aus dem Internet oder Zeitungen wie der jungen Welt. Gleichzeitig kannten wir alle die Vorwürfe, die aus linken Kreisen in Deutschland immer wieder zu hören sind, dass nämlich die KKE eine sektiererische Politik mache, und ihre Praxis darauf verenge, unermüdlich über die Revolution zu reden. Davon, dass Revolutionen aber nicht ohne den Kampf um kleinschrittige Verbesserungen im Hier und Jetzt zu haben seien, habe die KKE nichts verstanden, so die übliche Kritik.
In unserer Gruppe waren einige dabei, die dieser Kritik bereits seit Jahren widersprechen und in Diskussionen immer wieder auf die zahlreichen Beispiele verweisen, in der KommunistInnen sich konkret mit den Problemen der einfachen Menschen befassen und gemeinsam mit ihnen für unmittelbare Erleichterungen kämpfen. Für die meisten von uns war es dennoch beeindruckend, die Praxis vor Ort im Detail kennen zu lernen. Ein Kampffeld, über das bisher in Deutschland wenig geschrieben oder gesprochen wurde, ist dabei die revolutionäre Arbeit im Stadtteil.
Die Volkskomitees: Keimzellen einer neuen Gesellschaft
Erklärtes Ziel der griechischen KommunistInnen ist es, ein breites gesellschaftliches Bündnis zu schaffen, in dem die verschiedenen Kämpfe und Organisationen der Arbeiterklasse mit denen anderer sozialer Gruppen verbunden werden, die ebenfalls ein Interesse am Widerstand gegen die großen Konzerne haben und für eine gemeinsame Front gegen den Kapitalismus gewonnen werden können. In diesem „Volksbündnis“ sollen also kämpferische Gewerkschaftsgliederungen ebenso ihren Platz haben wie Studierendenverbände, Griechen ebenso wie Migranten, die besonderen Kämpfe der Frauen ebenso wie die gemeinsamen Kämpfe gegen die allgemeine kapitalistische Ausbeutung. Um all diese verschiedenen Erfahrungen und Initiativen vor Ort zusammenzuführen, treffen sich AktivistInnen aus all diesen Bereichen regelmäßig in sogenannten „Volkskomitees“, die nach Stadtteilen und Nachbarschaften organisiert sind. Außerdem sind die Volkskomitees auch der Rahmen, um unorganisierte Menschen einzubinden und zu aktivieren, die ansonsten, z.B. als Arbeitslose oder Hausfrauen, von den herkömmlichen Organisationsformen (wie Gewerkschaften) eher ausgeschlossen bleiben.
Ziel und Existenzgrund der Volkskomitees ist es also, die verschiedenen Kämpfe zu koordinieren, Synergieeffekte zu schaffen, sich gegenseitig zu unterstützen und voneinander zu lernen. Es geht darum, den Wohnort neben dem Arbeitsplatz zu einem zentralen Ort politischer Diskussion, Auseinandersetzung, Organisierung und Bewusstseinsbildung zu machen. Und es geht darum, die schlimmsten Folgen der Krise durch die Waffe der Solidarität einzudämmen. Die Volkskomitees sammeln in ihrem Unterstützerkreis Geldspenden, Nahrung, Kleidung, Medikamente für all diejenigen, die sich selbst das Lebensnotwendige nicht mehr leisten können. Wenn der Staat einer Wohnung den Strom abstellen will, weil die Stromrechnung oder die Wohnraumsteuer nicht bezahlt werden konnte, mobilisiert das Komitee großflächig in der Nachbarschaft, um durch Blockaden genau das zu verhindern. Auch für die zahlreichen Flüchtlinge, die in den letzten Monaten nach Griechenland kamen, organisieren die Volkskomitees konkrete Unterstützung, z.B. durch Sachspenden oder juristische Beratung.
Doch, das war den GenossInnen immer sehr wichtig, es geht bei alldem nicht um bloße Wohltaten aus Nächstenliebe, obwohl natürlich auch das richtig und wichtig sein kann. Es geht darum, konkret in der Praxis aufzuzeigen, dass nicht Ellbogenmentalität, Egoismus und Fremdenhass eine Lösung aus der Krise bieten, sondern Solidarität, Organisierung und gemeinsamer Kampf. Immer gehen politische Aktionen mit dem Austausch von Argumenten einher: Über die volksfeindliche Politik der verschiedenen Regierungen (der „linken“ eingeschlossen), über die Rolle der EU, den Charakter der kapitalistischen Gesellschaft allgemein und natürlich über die Volksmacht, den Sozialismus als einzig möglichen Ausweg aus der Misere. Und genau durch die Zusammenführung der verschiedenen Kämpfe und Organisationsansätze wird die Grundlage dafür geschaffen, dass der Klassenkampf zur Mehrheitsströmung in der Gesellschaft wird und die Machtübernahme durch die Arbeiterklasse und anderen armen Bevölkerungsschichten im entscheidenden Augenblick zur realen Möglichkeit wird.
Kultur- und Bildungsarbeit im Stadtteil
Die Räumlichkeiten im Athener Stadtteil Káto Patísia sind nicht nur Treffpunkt des Volkskomitees, sondern dienen auch als lokales Kulturzentrum. Initiiert wurde es vor einigen Jahren von KKE-Mitgliedern und hat sich seitdem trotz vieler Schwierigkeiten gehalten und weiterentwickelt. In dem Zentrum arbeiten vor allem KommunistInnen, alle ehrenamtlich in ihrer Freizeit. Da sich viele Menschen den Zugang zu Kultur rein finanziell nicht leisten können, haben sie ein breites kostenloses Kulturangebot entwickelt, wobei Kultur niedrigschwellig mit politischen Inhalten verbunden wird. Es werden Filme mit fortschrittlichen oder zumindest die Diskussion anregenden Inhalten gezeigt, Theaterstücke erlernt und aufgeführt, es gibt ein Puppentheater für Kinder, Musik- und Tanzveranstaltungen, kostenlosen Instrumentalunterricht.
All das dient immer auch der Vermittlung politischer Inhalte: Beispielsweise der Aufklärung gegen Rassismus, über die Ursachen von Kriegen, über den Faschismus in der Geschichte und damals, über die Notwendigkeit, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Neben den griechischen BewohnerInnen der Nachbarschaft richten sich diese Angebote in besonderen Maße auch an die MigrantInnen.
In Griechenland müssen faktisch alle Schüler nach der Schule Nachhilfe in sogenannten frontistiria (Nachmittagsschulen) nehmen, was eine zusätzliche finanzielle Belastung für die Familien darstellt und vielen Kindern und Jugendlichen eine ordentliche Schulbildung unmöglich macht. Mit besonderem Aufwand wird zudem für Kinder und Erwachsene aus MigrantInnen- und Flüchtlingsfamilien kostenloser Sprachunterricht angeboten. Dabei geht es nicht nur darum, dass diese Menschen sich auf griechisch verständigen und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können, sondern auch um das Knüpfen von Kontakten, den interkulturellen Austausch und die politische Diskussion. Der Unterricht dient auch der Aufklärung über die Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes von GriechInnen und MigrantInnen, über die Geschichte der Arbeiterbewegung, die Möglichkeit einer Gesellschaft ohne Ausbeuter. Das fängt schon damit an, dass die griechischen Buchstaben in Verbindung mit politischen Begriffen beigebracht werden. In etwa so: „A wie Arbeiter“, „K wie Klasse“, „G wie Gewerkschaft“... Ziel der Kulturarbeit ist es selbstverständlich nicht, den Flüchtlingen irgendeine „griechische Leitkultur“ aufzuzwingen und sie ihre Herkunft vergessen zu lassen. Im Gegenteil ist die gemeinsame Beschäftigung mit griechischer Musik, Kunst und Literatur immer nur die eine Seite der Medaille – die andere ist, dass die Flüchtlinge ihre eigene Kultur vorstellen und praktizieren können und damit auch das kulturelle Leben in Griechenland bereichern. Insgesamt sind die Kulturzentren Experimentierfelder für fortschrittliche und emanzipatorische pädagogische und kulturpolitische Ansätze. Und: durch die gemeinsamen Aktivitäten von Griechen und Migranten in der Nachbarschaft werden Vorurteile abgebaut, Solidarität gestärkt, Freundschaften geschlossen und das Bewusstsein über den Kapitalismus als gemeinsamen Feind geschaffen. Allein in dem Zentrum in Káto Patísia haben bis 2015 über 2500 Migranten den kostenlosen Unterricht und das Kulturprogramm mitgemacht. Praktisch alle von ihnen machten eine erstaunliche politische Entwicklung durch. Es komme so gut wie nie vor, dass jemand das Zentrum verlasse, ohne sich danach zumindest gewerkschaftlich zu engagieren, sagt man uns. Ein roter Bürgermeister in Kesariani In den meisten Städten und Stadtvierteln ist eine revolutionäre Nachbarschaftsarbeit nur „von unten“ möglich, während die städtischen Autoritäten einem als Gegner gegenübertreten: Wie in Deutschland, nur viel schlimmer, wird auf kommunaler Ebene gekürzt, was das Zeug hält. Der Staat zieht sich immer mehr auf seine unmittelbar repressiven Funktionen zurück, nämlich Militär und Polizei. Kultur, Bildung, öffentliche Versorgung und Infrastruktur bleiben auf der Strecke. Was aber, wenn der Bürgermeister ein Kommunist ist? Bei den Bürgermeisterwahlen beteiligt sich die KKE immer mit eigenen Listen und stellt derzeit in fünf Gemeinden Griechenlands das Bürgermeisteramt. Neben Patras, der drittgrößten Stadt Griechenlands, ist eine davon Kesariani, ein historisch bedeutsamer Athener Stadtteil. Kesariani war vor dem Zweiten Weltkrieg ein Armenviertel, das von Flüchtlingen aus Kleinasien und von der türkischen Schwarzmeerküste erbaut wurde, nachdem diese aus der Türkei vertrieben wurden. Wie andere vergleichbare Viertel der kleinasiatischen Griechen (z.B. Kokkinia) entwickelte sich Kesariani in der Zwischenkriegszeit zu einer Hochburg der Arbeiterbewegung und der Kommunistischen Partei. Während der faschistischen deutschen Besatzung war es dementsprechend ein Zentrum des antifaschistischen Widerstands. Auf dem Schießübungsgelände von Kesariani ermordeten die deutschen Faschisten Hunderte Gefangene. Allein am 1. Mai 1944 wurden 200 Kommunistinnen und Kommunisten erschossen. In dieser Zeit schlug die KKE durch ihren opferreichen Kampf tiefe Wurzeln in der Bevölkerung, die bis heute fortbestehen. Der Bürgermeister der Stadt, Ilias Stamelos, macht mit uns die
Führung am Ort des Verbrechens. Er erfüllt nicht das Bild, das wir aus Deutschland von Bürgermeistern haben. Stattdessen erscheint er uns als bescheidener Mann, für den sein Amt keine Möglichkeit zur Bereicherung ist, sondern nur eine von vielen möglichen Ausgangspositionen, gemeinsam mit der Bevölkerung von Kesariani ihre Interessen zu verteidigen und so die GenossInnen zu ehren, die an diesem Ort ihr Leben gaben. Trotzdem sind ein paar von uns verwirrt: Die KKE lehnt auf nationalstaatlicher Ebene doch strikt jede Regierungsbeteiligung ab. Wie ist das damit vereinbar, dass sie gleichzeitig in verschiedenen Städten die Bürgermeister stellt? Ist nicht die Kommune auch eine Verwaltungsebene des bürgerlichen Staates? Ilias erklärt uns, dass die Aufgaben und Kompetenzen der nationalen Regierung ganz andere seien als die der Kommune. In der Kommune sei man selbstverständlich permanent „von oben“ eingeschränkt. Man könne nur das Geld ausgeben, das die Zentralmacht zur Verfügung stellt, sofern man nicht eigene Steuern von der Bevölkerung erheben wolle. Gleichzeitig gebe es aber Spielräume, die man in die eine oder andere Richtung, zum Nutzen oder zu Lasten des Volkes, ausnutzen könne. Und wenn sich der Bürgermeister mit Basisinitiativen und Gewerkschaften im Stadtteil verbünde, wie es für alle KKE-Bürgermeister eine Selbstverständlichkeit sei, ließen sich diese Spielräume auch erweitern: Indem man genug Druck aufbaut, um von der Zentralmacht mehr Geld zu erhalten. Oder indem man Solidarität organisiert und die Menschen sich gegenseitig helfen, wo der Staat sich zurückzieht. So hat Ilias als Bürgermeister eine neue Schule bauen lassen und einige GenossInnen von der Uni dafür gewonnen, dass sie den Kindern kostenlosen Unterricht geben. In der Tat ist der Vergleich mit der nationalen Regierung schief: Jede Regierung in einem bürgerlichen Staat muss die Aufgabe erfüllen, die Anhäufung des Kapitals abzusichern. Dafür müssen bürgerliche Regierungen die erkämpften Rechte und Interessen der breiten Bevölkerung ständig angreifen und infrage stellen. In der Kommune geht es dagegen lediglich um die Verwendung verfügbarer Mittel für eine Reihe von Aufgaben, unter denen die Kommunalpolitik wählen kann. Natürlich kann man die Kommune an sich nicht zum Werkzeug gegen die Macht des Kapitals wenden. Man kann aber vorhandene Spielräume bis zum Letzten ausreizen und so den Menschen im Stadtteil beweisen, dass man nicht nur schöne Reden schwingen kann, sondern aufrichtig und konsequent an ihrer Seite steht und bereit ist, diesen Kampf gemeinsam mit ihnen bis zum Sieg auszutragen. Nicht zuletzt beweist die KKE damit eben, dass sie trotz ihrer Analyse, wonach nur in einer anderen Gesellschaft das alltägliche Elend des Kapitalismus überwunden werden kann, den Kampf für selbst geringfügige Verbesserungen schon heute führt – für ein Morgen, das sich vom Heute ganz grundsätzlich unterscheidet. Von Thanasis Spanidis