Kommentar: Die Frage des Hauptfeindes

Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“ Diese Aussage Karl Liebknechts aus dem Jahre 1915 wird in linken Kreisen sehr häufig verwendet und nicht selten aus dem Zusammenhang gerissen, ähnlich wie Rosa Luxemburgs Aussage über die Freiheit der Andersdenkenden.

Einige Genossen interpretieren die Aussage „der Hauptfeind steht im eigenen Land“ in die Richtung, dass sich Kommunisten ausschließlich um den eigenen Imperialismus kümmern müssen. Im Falle der BRD heißt es: nur der deutsche Imperialismus und seine Machenschaften sind zu entlarven, die anderen imperialistischen Staaten liegen nicht im Interesse der deutschen Genossen. Um diese müssen sich die Kommunisten in den entsprechenden Ländern kümmern. Es zeigt sich hierbei jedoch, dass in Bezug zur Frage des Hauptfeindes, gerade in Bezug auf die antiimperialistische Politik der KI, nicht genügend Klarheit herrscht. Eine solche Position – zu sagen man müsse sich nur um den eigenen Imperialismus kümmern – ist jedoch eine undialektische und damit unmarxistische Herangehensweise. Zum Verständnis einer dialektischen Herangehensweise gehört es auch den Imperialismus als Ganzes, die Widersprüche zwischen imperialistischen Staaten als Ganzes etc. zu verstehen. Dazu gehört aber nicht, den einen Moment des Widerspruchs zu vernachlässigen und den anderen zu verabsolutieren. Was bedeutet die Frage nach dem Hauptfeind, wenn man diese dialektisch analysieren will? Sie sagt aus, dass der Sturz der Bourgeoisie, die Strategie und Taktik der proletarischen Revolution im eigenen Land durchgeführt werden muss. Sie sagt auch aus, dass wir das Bewusstsein der Arbeiterklasse in unserem Land schaffen müssen. Wir können nicht erwarten, dass das Proletariat anderer Länder die Revolution für uns macht oder die Revolution exportiert wird. Dies wäre Trotzkismus und damit konterrevolutionär.

Dies heißt aber auf keinen Fall, dass wir die anderen imperialistischen Staaten vernachlässigen sollen. Die Widersprüche des Imperialismus können nur analysiert und erkannt werden, wenn man die Widersprüche zwischen den imperialistischen Staaten kennt. Dies erreicht man, indem man die imperialistischen Mächte und ihr Handeln als Gesamtheit analysiert (was also auch den eigenen Imperialismus mit einbezieht) und dementsprechend Position bezieht. Alleine wenn man Lenins Imperialismustheorie studiert, erkennt man, dass er sich nicht nur mit dem russischen Imperialismus befasst hat, sondern mit dem Imperialismus als Ganzem. Dies ist umso wichtiger, wenn man bedenkt, dass es heute keine internationale kommunistische Bewegung mehr gibt. Wir können nicht erwarten, dass Genossen anderer Länder eine komplette wissenschaftliche Analyse ihrer Länder abhandeln, wenn wir es selbst nicht schaffen eine kommunistische Bewegung im eigenen Land aufzubauen.

Daraus folgt aber auch, dass man sich ggf. zu imperialistischen Aggressionskriegen positionieren muss, in denen der „eigene“ Imperialismus keine oder eine untergeordnete Rolle spielt. Sich zu solchen Positionen nicht zu bekennen ist purer Chauvinismus und eine Absage an den proletarischen Internationalismus und die internationale Solidarität. Das wäre in letzter Konsequenz eine Verhinderung jeglicher Anti-Kriegspolitik, wo der dt. Imperialismus nicht (oder nur sehr minimal) beteiligt ist.
Würde man der Logik folgen, sich nur auf den eigenen Imperialismus zu konzentrieren, hätte es folgende Konsequenzen:
Die Genossen in den USA hätten sich nicht großartig positionieren müssen, dass der dt. Imperialismus im 2. Weltkrieg die Hauptgefahr war und die Sowjetunion überfiel. Ihre eigene Aufgabe wäre es nur gewesen, die eigene Bourgeoisie zu entlarven. Dies hätte der Sowjetunion nicht im Geringsten genutzt und wäre für eine – ohnehin schon schwer zu machende – breite Anti-Hitler-Koalition ein Todesstoß gewesen.
Genossen in beiden Teilen Deutschlands hätten dann tatenlos zusehen müssen, wie die Yankee-Imperialisten das revolutionäre Vietnam überfielen, denn der dt. Imperialismus spielte dort keine besonders große Rolle. Auch in Weltereignissen in denen mehrere imperialistische Staaten eine Rolle spielen, der BRD-Imperialismus jedoch nicht die dominanteste, wäre es schädlich für die antiimperialistischen Befreiungskriege sich nur auf den eigenen Imperialismus zu konzentrieren. Denn durch eine solche falsche oberflächliche Analyse kann man unmöglich zu richtigen Schlussfolgerungen kommen. Dies hätte auch zur Folge die antiimperialistischen Staaten in die Arme der anderen Imperialisten auszuliefern, da man deren Rolle unterschätzt oder ignoriert.

In letzter Konsequenz kann dies auch dazu führen, dass – um die eigene Bourgeoisie zu schlagen – man sich mit den Imperialisten anderer Staaten verbündet, wie wir es im Fall der sog. Antideutschen haben.
Wie ist ein solches ausschließliches Fixieren auf den eigenen Imperialismus zu vereinen mit proletarischem Internationalismus und der internationalen Solidarität? Worin unterscheidet sich ein ausschließliches Fixieren auf die eigene Bourgeoisie vom Fixieren auf ausschließlich die andere Bourgeoisie, wie es beim typischen Antiamerikanismus der Fall ist? Beide Extreme sind falsch. Wäre eine solche ausschließliche Konzentration auf den eigenen Imperialismus nicht geradezu Verrat an den unterdrückten Werktätigen oder Völkern, die unter den Stiefeln anderer imperialistischer Mächte als dem dt. Imperialismus stehen?


Wenn die KI die Machenschaften der Imperialisten (und zwar aller) z. B. im Nahen Osten analysiert und den antiimperialistischen Widerstand im Nahen Osten unterstützt, so verlegt sie die Revolution nicht in den arabischen Raum und sie fixiert auch nicht den Hass auf die nicht-deutschen Imperialisten. Sie betreibt lediglich konsequente Antikriegspolitik und internationale Solidarität. Dies kann auch revolutionäres Bewusstsein im eigenen Lande schaffen und verhelfen unserer eigenen Bourgeoisie das Genick zu brechen! Denn wenn man nur die Machenschaften der Imperialisten als Ganzes dialektisch analysiert hat man eine Waffe, die eigene zu schlagen!

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