Frankreich gegen Hollande
Hunderttausende demonstrieren gegen Arbeitsrechtsnovelle. Generalstreik legt Transportwesen lahm
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Von Hansgeorg Hermann, Paris
Auf dass Valls und Hollande ein Licht aufgeht: Demonstration gegen das Schleifen des Arbeitsrechts am Donnerstag in Paris
Foto: Christian Hartmann/Reuters
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Mehr als eine halbe Million Menschen haben am Donnerstag in Frankreich gegen die von der sozialdemokratischen französischen Regierung geplante Novellierung des Arbeitsrechts protestiert. In den Straßen von Paris, Lyon, Marseille, Nantes und Toulouse marschierten Arbeiter, Studenten, Schüler und Funktionäre während eines eintägigen Generalstreiks in 200 Demonstrationszügen bei zum Teil strömendem Regen gemeinsam gegen die Gesetzesvorlage von Präsident François Hollande und Ministerpräsident Manuel Valls. Sie soll mit längeren Arbeitszeiten von bis zu zwölf Stunden pro Tag sowie »Erleichterungen« bei Einstellungen und Entlassungen den Arbeitsmarkt »geschmeidiger gestalten« und mehr Arbeitsplätze schaffen. Gewerkschaften, Lohnabhängige und Studenten sehen in der Novelle vor allem die Forderungen der Unternehmerseite erfüllt und verlangen seit Wochen deren Rücknahme.
Das nach der derzeitigen Arbeitsministerin benannte Gesetz »Loi Khomri« hat alle Berufsgruppen und Studenten gleichermaßen gegen die Regierung aufgebracht. Hollande und Valls stehen – nachdem sie am Tag zuvor die geplante Änderung der Verfassung kassieren mussten – vor einem politischen Trümmerhaufen. Gegen sie stehen neben den sieben größten Gewerkschaften Frankreichs, die zum Generalstreik aufgerufen hatten, auch die jungen Menschen im Land. Der Sekretär der mit rund 700.000 Mitgliedern größten Arbeitervertretung CGT, Philippe Martinez, erklärte auf der Pariser Place d’Italie: »Hollande hat sich schon bei der Verfassungsnovelle geirrt, dies gilt auch für das Arbeitsrecht. Die Botschaft der Lohnabhängigen und Studenten ist klar: Die Regierung muss endlich zuhören und Demokratie akzeptieren.«
Mit Verkehrsstaus von rund 400 Kilometern Länge sowie der Reduzierung der Fahrpläne im Fern- und Nahverkehr sowie auf verschiedenen Flughäfen war ein Großteil des öffentlichen Transportwesens seit Donnerstag morgen weitgehend lahmgelegt. In Paris hatten 24 Gymnasien die Tore geschlossen, darunter – zum ersten Mal seit den Studentenunruhen von 1968 – auch die großbürgerliche Eliteschule Louis Le Grand. Trotz teils gewalttätiger Auseinandersetzungen mit den Ordnungskräften beharrten Sprecher der Schüler- und Studentenverbände, die in den vergangenen Tagen von Ministerpräsident Valls für ihren Einsatz kritisiert worden waren, auf ihrem »demokratischem Recht« des Protests gegen ein Gesetz, das ihnen »nur noch kleine Jobs ohne rechtliche oder soziale Absicherung« bieten werde. Sie forderten von Valls »Aufklärung über die Rolle der Polizei«, nachdem ein 15jähriger schwarzer Schüler in Paris von einem Uniformierten mit einem Fausthieb ins Gesicht niedergestreckt worden war.
In Toulouse war am Morgen auch die Belegschaft des prestigeträchtigen Flugzeugherstellers Airbus auf die Straße gegangen. Die zentrale Arbeitsmarktbehörde in Paris hatte zuvor einen erneuten Anstieg der Arbeitslosenzahl um 38.400 im Vergleich zum Vormonat auf nun 3,59 Millionen gemeldet. Der Demoskop und Historiker Emmanuel Todd legte unterdessen eine umfangreiche Untersuchung vor, derzufolge die Regierung mit der Arbeitsrechtsnovelle ihre eigenen Wähler verprellt: »Die Mobilisierung (gegen das Gesetz) beschränkt sich nicht nur auf die Jungen«, schreibt Todd. »Es scheint mir klar zu sein, dass die mittlere Klasse, die traditionellen PS-Wähler, der Motor der Bewegung ist und die anderen mit sich zieht.«