Frank Flegel: Klarheit vor Einheit
Liebe Genossinnen und Genossen, Klarheit vor Einheit ist ein nicht ganz einfaches Thema.
Zunächst stellt sich die Frage, um welche Einheit es eigentlich geht:
Es gibt Bündnisse wie die konkrete und aktuelle Aktionseinheit, die langfristigere und strategische Einheitsfront und es gibt die Einheit der Kommunisten.
Unter Aktionseinheiten versteht man im allgemeinen Zusammenschlüsse unterschiedlicher Kräfte zwecks einer ganz konkreten Aktion, z.B. gegen einen Aufmarsch von Neofaschisten in einer Stadt, gegen die Ansiedlung eines Atomkraftwerkes, gegen eine militärische Zeremonie oder ähnliches. Dies ist die breiteste Form der Einheit, beruhend auf dem gemeinsamen Interesse des Kampfes gegen ein einzelnes Phänomen. Dementsprechend finden sich hier unterschiedlichste Kräfte aus unterschiedlichen Klassen und Schichten mit – das gemeinsame Ziel einmal ausgenommen – völlig unterschiedlichen Interessen und politischen Vorstellungen.
Unter Einheitsfronten versteht man dagegen langfristiger angelegte Bündnisse wie es die antifaschistische Einheitsfront oder unterschiedliche anti-imperialistische Bündnisse waren und sind. Mit Abstrichen kann man auch die Friedensbewegung und die Anti-Atomkraftbewegung hinzurechnen. Auch hier gibt es unterschiedliche Klassenkräfte und unterschiedliche Interessen, das gemeinsame Ziel ist aber langfristig angelegt, bei diesem Zusammenschluss handelt es sich um ein strategisches Bündnis.
Beide haben mit kommunistischer Einheit zunächst einmal nichts zu tun.
Kommunistische Einheit kann als Grundlage nur die gemeinsame wissenschaftliche Weltanschauung haben, den Marxismus-Leninismus. Das klingt ganz einfach, ist es offensichtlich aber nicht, denn statt kommunistischer Einheit sehen wir heute eine große Zersplitterung der kommunistischen Bewegung.
Schauen wir uns deshalb die größten historischen Brüche kurz an:
Die erste große Spaltung entstand 1918/1919 am Ende des Ersten Weltkrieges. Sie war die Folge der durch den klassischen Revisionismus hervorgerufenen Katastrophe der alten revolutionären Sozialdemokratie, die 1914 mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten ins Lager der Bourgeoisie wechselte, statt europaweit mit Massenaktionen und Streiks gegen den Krieg aufzustehen. 1918/1919 ließ diese Sozialdemokratie dann auf die Revolutionäre des Spartakusbundes schießen und erstickte die Novemberrevolution. [1] Die Ursache dieser Spaltung war der klassische Revisionismus, der den Kampf gegen die Bourgeoisie ersetzte durch die Zusammenarbeit mit ihr.
Einige Jahrzehnte später entwickelte sich eine neue Form des Revisionismus, der moderne Revisionismus in den sozialistischen Staaten, genauer: in den kommunistischen Parteien, die an der Macht waren. Während der Stalin-Ära wurde dieser systematisch bekämpft. Was geschieht, wenn er stattdessen gefördert wird, zeigte sich 1956: Der XX Parteitag der KPdSU markiert den Durchbruch dieses modernen Revisionismus an die Macht. Inhaltlich ähnelt er dem klassischen Revisionismus, auch hier wird der Klassenkampf ersetzt durch die Klassenkollaboration, Frieden sichern durch Zusammenarbeit mit dem Imperialismus (und nicht durch den Aufbau eigener Stärke), Klassenkampf im Inneren leugnen durch die These von der Partei des ganzen Volkes, Propagierung des parlamentarischen Weges zum Sozialismus, gleichzeitiger Rückbau der Planwirtschaft und des volkseigenen Sektors der Ökonomie und so weiter.
Mitte der 60er Jahre erfolgte als Resultat der Chrustschow-Politik die nächste große Spaltung, die Spaltung des sozialistischen Weltsystems, UdSSR und Staaten des Warschauer Paktes auf der einen Seite, Volks-China mit einigen Verbündeten auf der anderen. Diese Spaltung bedeutete eine enorme ökonomische und politische Schwächung der kommunistischen Weltbewegung.
Und etwas mehr als 20 Jahre später vollendete der moderne Revisionismus dann sein Zerstörungswerk mit der Katastrophe von 1989/90. Sie war die Folge der Niederlage der marxistisch-leninistischen Kräfte in der KPdSU gegen den modernen Revisionismus der Gorbatschowisten, die den Sozialismus in Theorie und Praxis so weit ausgehöhlt hatten, dass er sich 1989/90/91 annähernd wehrlos der Konterrevolution geschlagen geben musste.
Parallel dazu war in Westeuropa eine ähnlich zerstörerische Offensive des Revisionismus abgelaufen: der so genannte „Eurokommunismus“. Dieser raffte die einst starken kommunistischen Parteien Italiens, Frankreichs und Spaniens entweder völlig dahin oder ließ sie zu neosozialdemokratischen Wahlvereinen verkommen. Reste marxistisch-leninistischer Kräfte versuchten zu retten, was zu retten war, erst unter Beibehaltung der Einheit der Partei, dann auch mittels Abspaltung oder Neugründung. Das Resultat ist im Ganzen gesehen niederschmetternd.
Man muss anerkennen, dass der Revisionismus das erreicht hat, was die Bourgeoisie weder durch die Kommunistenverfolgung der Faschisten noch durch den Angriffskrieg gegen die Sowjetunion erreicht hat – die Zerstörung der kommunistischen Partei und die Zerstörung des Sozialismus in Europa. Für das vergangene Jahrhundert gilt: der Revisionismus war die schärfste, weil erfolgreichste Waffe der Bourgeoisie im Kampf gegen die kommunistische Bewegung.
Daraus ergeben sich wichtige Schlussfolgerungen für heute:
1. Der Revisionismus betrieb und betreibt die Aufweichung und Entstellung der wissenschaftlichen Theorie unserer Klassiker.
2. Damit produziert er die ideologische Spaltung zwischen wissenschaftlicher Weltanschauung und revisionistischen Abweichungen.
3. Er produziert außerdem eine noch weitergehende Zersplitterung, denn hat eine Partei erstmal Abschied genommen von der wissenschaftlichen Weltanschauung, dann besteht die Politik aus irgendwelchen Positionen zu irgendwelchen Phänomenen. Diese Positionen werden zunehmend beliebig, sind nicht mehr wissenschaftlich zu begründen – und daraus entwickeln sich selbstverständlich weitere Spaltungen je nach Ausmaß der Anpassung an die bürgerliche Gesellschaft. Z.B.: Welche antiimperialistischen Kämpfe unterstützt man noch – und von welchen distanziert man sich? Wie weit geht man in der Frage von Krieg und Frieden? Trägt man im Schwitzkasten der „Sachzwänge“ Sozialabbau mit – und wenn ja, wie weit? Und so weiter.
4. Der Revisionismus ist grundsätzlich dogmatisch, auch wenn er stets das Gegenteil von sich behauptet, denn der Revisionismus muss den offenen wissenschaftlichen Diskurs fürchten. Er selbst hat ja die Wissenschaftlichkeit von Politik, den Marxismus-Leninismus verlassen und an dessen Stelle allgemeine Glaubenssätze gestellt. Dementsprechend arbeitet der Revisionismus mit den Mitteln der Ausgrenzung, Verunglimpfung, ja mit dem Bannstrahl gegen seine kommunistischen Kritiker. Ich wurde beispielsweise einmal erstaunt, ungläubig und kopfschüttelnd gefragt, ob ich wirklich Bücher von Stalin besäße. Genau so funktioniert dieser „undogmatische“ Dogmatismus: man darf sich noch nicht einmal informieren!
Wie nun aber bei all dem Gerümpel zur kommunistischen Einheit kommen?
Angesicht der Lage in Deutschland habe ich schon oft gehört: “Lasst beiseite, was Euch trennt – stellt nach vorne, was Euch eint“.
Dies Motto ist sicherlich gut gemeint. Aber kann damit eine kommunistische Einheit erreicht werden? Nein, liebe Genossinnen und Genossen, das kann sie nicht, denn auf diesem Wege würden die Differenzen und Widersprüche zwischen Marxismus-Leninismus und Revisionismus als Wurzel in die Einheit gelegt. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wohin das führt: zur nächsten Spaltung.
Die Einheit der Kommunisten muss sich deshalb abgrenzen vom Revisionismus.
Für die kommunistische Einheit muss gelten: Verteidigung des Marxismus-Leninismus, konsequenter Kampf gegen den Revisionismus, Abwehr jeder ideologischen Beliebigkeit. Anders ist die Einheit der Kommunisten nicht zu erreichen.
Für Kommunisten muss gelten: Klarheit ist die Grundbedingung der Einheit.
Frank Flegel, Hannover
[1] Nur am Rande angemerkt sei, dass die deutsche Sozialdemokratie 1933 im Bestreben, von den Hitlerfaschisten nicht verboten zu werden, ihren Vorstand „judenfrei“ machte.