Eigentumsverhältnisse sind Klassenverhältnisse

Die Produktionsverhältnisse – materialistisch, dialektisch, historisch und sozial bestimmter Begriff

von Otto Finger

In der „Deutschen Ideologie“ und in allen sozialtheoretischen Arbeiten behandeln Karl Marx und Friedrich Engels die Kategorie Produktivkräfte als korrelativen Begriff mit dem Begriff Produktionsverhältnisse. Die Untersuchung ihres Zusammenhangs, ihrer Wechselbeziehung und ihres Widerspruchs bildet einen Hauptpunkt der historisch-materialistischen Entdeckung der Bewegungsgesetze aller Geschichte und aller ihrer revolutionären Umschlagspunkte.

Die klassische Definition der Produktionsverhältnisse und die Erklärung für die allgemeinsten Ursachen jeder Revolution sowie auch eine Bestimmung des Wesens der sozialistischen Revolution gibt Marx im Vorwort der Arbeit „Zur Kritik der Politischen Ökonomie“:

In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt, und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprechen. –

Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess überhaupt. Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt. –

Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolutionen ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um … –

Die bürgerlichen Produktionsverhältnisse sind die letzte antagonistische Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, antagonistisch nicht im Sinne von individuellem Antagonismus, sondern neines aus den gesellschaftlichen Lebensbedingungen der Individuen hervorwachsenden Antagonismus, aber die im Schoß der bürgerlichen Gesellschaft sich entwickelnden Produktivkräfte schaffen zugleich die materiellen Bedingungen zur Lösung dieses Antagonismus. Mit dieser Gesellschaftsformation schließt daher die Vorgeschichte der menschlichen Gesellschaft ab.“ [1/199]

In diesen berühmten Sätzen ist die materialistisch-dialektische Geschichts und Revolutionsauffassung in ihrem theoretischen Kern festgehalten. In ihnen fasst Karl Marx 1858 zusammen, was sich ihm als Resultat seiner zwei Jahrzehnte betriebenen theoretischen Untersuchungen, der Kritik der bürgerlichen Ökonomie, der Überwindung der Philosophie Hegels, des utopischen Sozialismus und auch der Verallgemeinerung der geschichtlichen Kämpfe, speziell der großen Klassenschlachten zwischen Proletariat und Bourgeoisie in der Revolution von 1848/49 ergeben hatte. In der „Deutschen Ideologie“ haben wir ein entscheidendes Stück der theoretischen Anbahnung und Entwicklung dieses Weges vor uns, insbesondere auch, was die Klärung des Wesens und der Rolle der Produktionsverhältnisse anlangt.

In der „Deutschen Ideologie“ ist erstmalig ausgesprochen, dass die wesentlichste Seite der Produktionsverhältnisse die Eigentumsverhältnisse sind, dass zwischen ihnen und den Produktivkräften ein notwendiger Zusammenhang besteht und dass Widersprüche zwischen ihnen zur Revolution führen und dass die Lösung ihres Widerspruchs im Kapitalismus Voraussetzung für den Kommunismus ist.

Was wir als philosophische Merkmale der Kategorie Produktivkräfte festgehalten haben, gilt auch von der Kategorie Produktionsverhältnisse. Es handelt sich um einen materialistisch, dialektisch, historisch und sozial bestimmten Begriff. Alle eben genannten Bestimmungen sind in der „Deutschen Ideologie“ entwickelt. Die Verhältnisse, die die Menschen in der Produktion zueinander und zu den Produktionsmitteln eingehen, sind zunächst in dem Sinne als materielle, bewusstseinsunabhängige gefasst, dass sie nicht willkürlich, kraft dieser oder jener Idee, dieser oder jener Vorstellung von der Verbesserung und vernünftigen Einrichtung der Gesellschaft installiert oder auch abgeschafft werden können. Sie entwickeln sich als notwendige „Verkehrsformen“, als zwangsläufige Formen des Austausches, der Arbeitsteilung, des Eigentums in Übereinstimmung mit den Produktivkräften. Letztere ermöglichen einen bestimmten Typ dieser „Verkehrsformen“. Marx und Engels entwickeln den sich wandelnden Hauptinhalt der „Verkehrsformen“, nämlich die Eigentumsverhältnisse aus der Produktionstätigkeit, spezieller aus der Arbeitsteilung. „Die verschiedenen Entwicklungsstufen der Teilung der Arbeit sind ebensoviel verschiedene Formen des Eigentums; d. h., die jedesmalige Stufe der Teilung der Arbeit bestimmt auch die Verhältnisse der Individuen zueinander in Beziehung auf das Material, Instrument und Produkt der Arbeit.“ [2/200]

Die Produktionsverhältnisse und ihr eigentliches Kernstück, die Eigentumsverhältnisse, umfassen damit die Beziehung zu den „naturwüchsigen“ Produktionsmittel, der Erde, den Bodenschätzen, kurz allem vorgefundenen „Material“ von Arbeit. Ferner zu den Werkzeugen. Schließlich zu den Arbeitsprodukten. Wer, wie, was produziert, wer wieviel, auf welche Weise aneignet, all das, was so die Grundlage des gesellschaftlichen Lebens ausmacht, ist durch die Produktionsverhältnisse als Folge der Arbeitsteilung bestimmt. Letztere wird ihrerseits – obzwar sie selbst zur Produktivkraft werden kann – durch die übrigen Produktivkräfte bestimmt: „Jede neue Produktivkraft, sofern sie nicht eine bloß quantitative Ausdehnung der bisher schon bekannten Produktivkräfte ist (z. b. Urbarmachung von Ländereien), hat eine neue Ausbildung der Teilung der Arbeit zur Folge.“ [3/201]«

Eigentumsverhältnisse sind Klassenverhältnisse

»Eigentumsverhältnisse sind Klassenverhältnisse. Das gilt für alle auf die urkommunistische Gentilordnung folgenden Gesellschaftsformationen. Für den Sozialismus gilt: Er stellt das gesellschaftliche Eigentum der Produzenten her. Die [differenziert technisch-wissenschaftlich/wissenschaftlich-technische] Arbeiterklasse [Frauen und Männer] wird Eigentümerin der wichtigsten [sozial-ökonomisch-ökologisch – gesellschaftlichen] Produktionsmittel. Die Bauernklasse des Sozialismus, die Klasse der Genossenschaftsbauern, produziert auf der Grundlage kollektiven Eigentums. Kommunismus als Aufhebung auch dieses Unterschieds der Klassen stellt ein einheitliches gesamtgesellschaftliches Eigentum her: Eigentum bekommt einen gänzlich neuen Inhalt. Eben weil es kein Klasseneigentum ist.

Klassen, unterschiedene und in der vorsozialistischen Geschichte entgegengesetzte Menschengruppen innerhalb eines gesellschaftlichen Organismus sind voneinander – wie wir schon gezeigt haben – zunächst insofern und grundlegend dadurch unterschieden und einander entgegengesetzt, als sie durch unterschiedliches Eigentum, durch Eigentum oder Nichteigentum an Produktionsmitteln gekennzeichnet sind.

Marx und Engels untersuchen diesen objektiven, materiellen Zusammenhang zwischen Eigentumsformen auf der einen Seite und Arbeitsteilung sowie Produktivkräften auf der anderen Seite in seinen hauptsächlichen Entwicklungsstufen seit der Gentilordnung.

Sie nennen als erste Form des Eigentums das Stammeseigentum. Es entspricht unentwickelter Produktion, unentwickelter Arbeitsteilung.

Als zweite Form heben sie das antike Gemeinde- und Staatseigentum heraus, hervorgegangen aus der Vereinigung mehrerer Stämme zur Stadt und in folgender Weise auf der Sklaverei basierend: „Die Staatsbürger besitzen nur in ihrer Gemeinschaft die Macht über ihre arbeitenden Sklaven und sind schon deshalb an die Form des Gemeindeeigentums gebunden. Es ist das gemeinschaftliche Privateigentum der aktiven Staatsbürger, die den Sklaven gegenüber gezwungen sind, in dieser naturwüchsigen Weise der Assoziation zu bleiben.“ [4/202]

Innerhalb dieser Verhältnisse entwickeln sich immobiles Privateigentum und ausgedehntere Arbeitsteilung: „Wir finden schon den Gegensatz von Stadt und Land, später den Gegensatz zwischen Staaten, die das städtische und das Landinteresse repräsentieren, und innerhalb der Städte selbst den Gegensatz zwischen Industrie und Seehandel. Das Klassenverhältnis zwischen Bürgern und Sklaven ist vollständig ausgebildet.“ r [5/203] Obzwar die Sklaverei im antiken Griechenland und Rom Basis der Produktion war, hier also Produktionsverhältnisse herrschten, worin die arbeitenden Menschen selbst Eigentum der Sklavenhalter sind, Eigentum wie die sachlichen Produktionsinstrumente – und insofern ein ganz wesentlicher Unterschied zum Kapitalismus besteht, der den „freien“ Lohnarbeiter erzeugt –, enthält diese Gesellschaftsformation die Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft vorgebildet: „Mit der Entwicklung des Privateigentums treten hier zuerst dieselben Verhältnisse ein, die wir beim modernen Privateigentum, nur in ausgedehnterem Maßstabe, wiederfinden werden. Einerseits die Konzentration des Privateigentums … andrerseits im Zusammenhang hiermit die Verwandlung der plebejischen kleinen Bauern in ein Proletariat, das aber bei seiner halben Stellung zwischen besitzenden Bürgern und Sklaven zu keiner selbständigen Entwicklung kam.“ [6/204]

Das feudale oder ständische Eigentum bildet die Grundlage für einen dritten Typus von Produktionsverhältnissen, jener Produktionsverhältnisse, die während des ganzen Mittelalters herrschten. Dieses Eigentum „… beruht, wie das Stamm- und Gemeindeeigentum, wieder auf einem Gemeinwesen, dem aber nicht wie dem antiken die Sklaven, sondern die leibeignen kleinen Bauern als unmittelbar produzierende Klasse gegenüberstehenDie hierarchische Gliederung des Grundbesitzes und die damit zusammenhängenden bewaffneten Gefolgschaften gaben dem Adel die Macht über die Leibeigenen. Diese feudale Gliederung war ebensogut wie das antike Gemeineigentum eine Assoziation gegenüber der beherrschten produzierenden KlasseDas Haupteigentum bestand während der Feudalepoche also im Grundeigentum mit daran geketteter Leibeigenarbeit einerseits und eigner Arbeit mit kleinem, die Arbeit von Gesellen beherrschendem Kapital andrerseits. Die Gliederung von Beiden war durch die bornierten Produktionsverhältnissedie geringe und rohe Bodenkultur und die handwerksmäßige Industriebedingt.“ [7/205]

Das Fazit aus der Betrachtung dieser drei aufeinander folgenden Produktionsweisen – der auf Stammeseigentum beruhenden urkommunistischen Gentilordnung, der Sklavenhalterordnung der Antike, der Leibeigenschaft des Mittelalters – fassen Karl Marx und Friedrich Engels so zusammen: Die Menschen sind auf eine jeweils bestimmte Weise produktiv tätig und gehen dabei bestimmte gesellschaftliche und politische Verhältnisse ein. Produktivkräfte und Arbeitsteilung bedingen so Eigentums- und Produktionsverhältnisse. Die Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse bilden ein organisches Ganzes, eben eine historisch bestimmte, eine Epoche wesentlich kennzeichnende Produktionsweisedie ökonomische Gesellschaftsformation.

Die Produktionsverhältnisse sind dabei in folgendem Sinne dialektisch-historische Beziehungen:

Sie unterliegen Entwicklungen und Veränderungen. [8/206]

Obzwar sie seit der urkommunistischen Produktionsweise bis auf den Kapitalismus ein gemeinsames Merkmal haben – Verhältnisse und Unterdrückung der arbeitenden Mehrheit durch eine aneignende Minderheit zu sein –, finden in ihrer Entwicklung qualitative Sprünge statt, z. B. vom ständischen zum kapitalistischen Privateigentum.

Die Entwicklung der Produktionsverhältnisse und ihrer qualitativen Umschlagspunkte wird erzeugt durch ihren Widerspruch mit den Produktivkräften:Diese verschiedenen Bedingungen (unter denen die Menschen produzieren; O. F.) … bilden in der ganzen geschichtlichen Entwicklung eine zusammenhängende Reihe von Verkehrsformen, deren Zusammenhang darin besteht, dass an die Stelle der früheren, zur Fessel gewordenen Verkehrsform eine neue, den entwickelteren Produktivkräften … entsprechende gesetzt wird, die à son tour wieder zur Fessel und dann durch eine andre ersetzt wird.“ [9/207]

Die Produktionsverhältnisse selbst sind in der vorsozialistischen Geschichte Widerspruchsverhältnisse; es sind Beziehungen zwischen entgegengesetzten Polen des Produktionsprozesses: Arbeitenden und Aneignenden, Nichteigentümern und Eigentümern, Ausgebeuteten und Ausbeutern, Unterdrückten und Unterdrückern.

Die Produktionsverhältnisse sind damit Beziehungen des Klassenwiderspruchs und des Klassenkampfes. Die Theorie der Revolution gibt die Bedingungen an, durch welche der latente Klassenwiderspruch in den offenen, in den Klassenkampf ausbricht.«

Anmerkungen

1/199 Karl Marx, Zur Kritik der Politischen Ökonomie (Vorwort), in: Karl Marx und Friedrich Engels, Werke, Bd. 13, Berlin 1961, S. 8 f.

2/200 Karl Marx und Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, S. 22.

3/201 Ebenda.

4/202 Ebenda, S. 22 f.

5/203 Ebenda, S. 23.

6/204 Ebenda, S. 24.

7/205 Ebenda, S. 24 f.

8/206 »Im „Elend der Philosophie“ knüpft Marx an eine Betrachtung über Gegensätze in der Produktionsweise, über den Widerstreit der Klassen, den Widerspruch, worin Reichtum erzeugt wird, über das Heranreifen der materiellen Bedingungen für die Emanzipation einer Klasse diese Frage: „Sagt das nicht deutlich genug, dass die Produktionsweise, die Verhältnisse, in denen die Produktivkräfte sich entwickeln, nichts weniger als ewige Gesetze sind …?“ (Karl Marx, Das Elend der Philosophie, S. 140.)«

9/207 Karl Marx und Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, S. 72.

Quelle: Philosophie der Revolution, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1975. Studie von Otto Finger. Vgl.: 5.28. Die Produktionsverhältnisse – materialistisch, dialektisch, historisch und sozial bestimmter Begriff, in: 5. Kapitel: Dialektik der Revolution.

02.08.2012, Reinhold Schramm (Bereitstellung)

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