Diskussionen über die DDR in Berlin

Notiz: Die unten besprochene Veranstaltung gab den berliner Genossen der KI die Möglichkeit, sich einem weiteren Kreis Interessierter zu zeigen. Der Genosse Ingo Höhmann sprach im Sinne der Haltung der KI und weitere Genossen waren mit einem Stand und den von der KI und ihnen nahestehenden Organisationen vertriebenen Publikationen vor Ort. Vielfaches Interesse an unseren kommunistischen Positionen zeigte, wie wichtig und richtig es ist, auf derartigen Veranstaltungen präsent zu sein.

Am 17. Januar 2010 fand im Berliner Kato eine von der Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin (arab) organisierte Veranstaltung mit dem Titel DDR. Die radikale Linke und der realsozialistische Versuch statt. Herbert Mißlitz (ehemals Vereinigte Linke / linke DDR-Opposition), Ingo Höhmann (Kommunistische Initiative, der kurzfristig für Thomas Waldeck einsprang) und Inge Viett (ehemals Bewegung 2. Juni / Exil in der DDR) waren um Stellungnahme zu folgenden Fragen gebeten: „Welchen Charakter hatte die DDR-Gesellschaft? Wo lagen die sozialistischen Potenziale? Wo die Widersprüche? Was waren die Fehler? Woran scheiterte der Versuch? Wie ist er zu beurteilen? Und warum haben die Herrschenden noch heute solch einen Hass auf die DDR?“ – Fragen, die nicht nur von immensem historischem Interesse sind, sondern auch Strategie und Taktik eines neuen sozialistischen Versuchs betreffen.

Den ersten Vortrag gab Herbert Mißlitz: In den 70er und 80er Jahren seien wichtige Debatten in der DDR nicht öffentlich ausgetragen worden, und die Masse der Bevölkerung habe nicht die Möglichkeit gehabt, sich an Entscheidungen zu beteiligen. Sozialistische Literatur, die nicht genau der Linie entsprach, war in den Läden nicht zu bekommen, und mit Schallplatten der Gruppe Renft stand es nicht besser. Die linke Subkultur, der er angehörte, sei in Reaktion auf diese Situation entstanden. In ihr wurde eine breite Palette sozialistischer Literatur gelesen und politischer und ökonomischer Probleme diskutiert (als besonders wichtig nannte Mißlitz das der Preisbildung im Sozialismus). Die verschiedenen Gruppen haben in der Absicht, nicht den Sozialismus anzugreifen, sondern ihn sozialistischer zu machen, versucht, Einfluss zu nehmen.

1998/90 versuchte die linke Opposition, die Arbeiter dazu zu bewegen, die Fabriken zu übernehmen, ihr sei aber beschieden worden, die Arbeiter würden das gerne tun – nur leider fehle ihnen das zur Sanierung der maroden Anlagen nötige Geld. Die Bemühungen der linken Opposition, der nur einige Tausend Flugblätter zur Verfügung standen, wurden von der BRD einfach überrollt, die in Millionenauflage Hochglanzbroschüren verbreiten ließ, in denen die vermeintlichen Vorzüge der bundesdeutschen Gewerkschaften und des Betriebsratgesetzes angepriesen wurden.

Ingo Höhmann gab – wie es schien aus dem Stehgreif – einen fundierten und äußerst faktenreichen Abriss der DDR-Geschichte. Er wies etwa darauf hin, dass die im Potsdamer Abkommen vereinbarte Beseitigung der Grundlagen des Nazi-Regimes nur in der Sowjetisch Besetzten Zone und der DDR konsequent umgesetzt wurde; er hob die Bedeutung des weltlichen Interesses an einem Vorposten gegen den Sozialismus bei der Gründung der BRD und für die Spaltung Deutschlands hervor; und er beschrieb, wie die sowjetische Führungskrise nach dem Tode Stalins, in der das Lager um Berija bereit gewesen war, die DDR an den Westen auszuliefern, und die daraus folgende Unklarheit der sowjetischen Außenpolitik die Situation in der DDR im Vorfeld der Ereignisse vom 17. Juni 1953 verschärfte. Er zeigte sehr deutlich, wie widrig die internationalen Bedingungen waren, unter denen die DDR den Sozialismus aufbaute, und zeichnete so den Rahmen, in die Errungenschaften dieses Arbeiter- und Bauernstaates erst bewertet werden können. Das gilt freilich auch für seine Mängel und die Fehler der Führung, die zum Teil auch dadurch erklärbar seien, dass die deutschen Kommunisten und Antifaschisten für die Aufgaben, die sie übernehmen mussten, nicht ausgebildet waren. Klassenkampf sei kein sportlicher Wettkampf und die DDR sei gezwungen gewesen Dinge, zu tun, die sie lieber nicht getan hätte.

Der kommende Sozialismus, so sagte er, werde ebenfalls unter sehr schlechten Bedingungen aufgebaut werden müssen; er werde angesichts der ökologischen Gegebenheiten und der Rohstofflage zunächst nur ein Notstandssozialismus sein können.

Inge Viett verband in einem sehr geschliffenen und hörenswerten Vortrag einen ähnlich historischen Abriss mit einigen theoretischeren Überlegungen. Auch sie betonte, dass es eine gewaltige Leistung war, unter den gegebenen Umständen einen sozialistischen Versuch unternommen zu haben. Zu der Frage, ob die DDR überhaupt ein sozialistischer Staat war, sagte sie, Bodenreform, Enteignung der Monopole und der Kriegsverbrecher, Verstaatlichung der Industrie, Kollektivierung in Landwirtschaft und Handwerk seien Maßnahmen gewesen, deren sozialistische Intention man vernünftigerweise nicht infrage stellen könne.

Zu der Frage nach den Ursachen für das Scheitern des Sozialismus in der DDR sagt sie: Auch in einer sozialistischen Gesellschaft gebe es, solange Arbeitsteilung bestehe, verschiedene Schichten mit unterschiedlichen Interessen: in der DDR etwa Arbeiter, Fachleute und Funktionäre. Wenn die Gesellschaft sich nicht weiterentwickelt und die politisch-ökonomischen Bedingungen nicht entstehen oder besser: geschaffen werden, auf dem diese Unterschiede ihre Schärfe verlieren, können sie sich verhärten und zu antagonistischen Interessengegensätzen werden, die die Gesellschaft zermürben. Dies sei in der DDR geschehen.

Vermieden hätte dies werden können, so legte Inge Viett zumindest nahe, wenn der Bevölkerung mehr Mitspracherechte zugestanden worden wären. Es habe zwar basisdemokratische Einrichtungen gegeben, diese haben aber zu wenig Einflussmöglichkeiten besessen. So konnte es kommen, dass das Volk das Volkseigentum 1989 nicht als sein Eigentum begriff und es unverteidigt aufgab.

Zu der Frage nach den Errungenschaften sagte sie, die DDR habe ein Sozial- und Bildungssystem auf hohem Niveau geboten. Wer dieses an den führenden imperialistischen Länder messe, vergesse, dass der Imperialismus sein Niveau nur dank einer immensen irrationalen Vergeudung von Ressourcen halten kann und indem er den Großteil der nicht-westlichen Welt und seiner eigenen Bevölkerung ins Elend stürzt. Die sozialistischen ökonomischen Grundlagen der DDR dagegen ermöglichten auf allen Ebenen solidarischere Verhaltensweisen, deren Bedeutung Inge Viett sehr hoch einschätzte.

Die folgende Diskussion wurde zu einem nicht unbeträchtlichen Teil sachlich geführt. So wurde darauf hingewiesen, dass nicht nur die Gesellschaft der DDR solidarisch war, sondern dass die DDR auch die internationale Solidarität geübt hat, indem sie die Befreiungskämpfe durch finanzielle Mittel und Waffenlieferungen unterstützte.

Freilich konnte es nicht ausbleiben, dass eine Diskutantin Inge Viett, die gesagt hatte, die Staatssicherheit sei mit hausbackenen und vergleichsweise harmlosen Methoden vorgegangen und weit davon entfernt gewesen, eine öffentlich spürbare Bedrohung darzustellen, empört vorwarf, die „Stasi“ zu verharmlosen. Dem hielt das Publikum selbst entgegen, dass, wer die Sprache des Gegners spreche, diesen kaum wird schlagen können. Wer von der „Stasi“ rede, transportiere unausweichlich das Feindbild, das auch die Bild-Zeitung verbreitet. Es habe in der DDR keine „Stasi“ gegeben, sondern ein Ministerium für Staatssicherheit. Und ein anderer Diskutant ergänzte, dass die Bevölkerung der DDR bei weitem nicht in einem solchen Maße der Kontrolle und Gängelung unterworfen war, wie es heute in der BRD der Fall ist. Anders als die bundesdeutschen sog. Arbeitsagenturen hätte es sich keine DDR-Behörde erlauben können, Spitzel in die Wohnungen zu schicken, um die Anzahl der Zahnbürsten zu überprüfen.

Ebenso wenig ausbleiben konnte es freilich auch, dass eine „Bürgerrechtlerin“ aufstand und sagte: „Es ist auf dem Podium die Position vertreten worden, der nächste sozialistische Staat werde Gewalt gegen seine Bürger anwenden müssen. Bei dem Gedanken wird mir ganz kalt. Und empörend finde ich, dass mit einem ehemaligen Offizier der NVA (Ingo) ein Vertreter des stalinistischen Staatsapparats auf dem Podium Platz nehmen durfte, um den Stalinismus (von dem bisher noch nicht die Rede war) zu loben und die Verbrechen Stalins zu verteidigen. Die Vereinigte Linke hat solche Leute als ihre Gegner betrachtet.“ Inge Viett entgegnete darauf, diese Ansicht zeige die grenzenlose Naivität der Bürgerrechtler. Es sei kein Wunder, dass aus einer Gruppe, die um 1989/90 den Staats- und Sicherheitsapparat der DDR als Gegner angesehen hat und nicht den Imperialismus, dort angekommen ist, wo sie angekommen ist.

Tatsächlich war auch zu hören, dass es sich beim DDR-Regime keineswegs um eine Diktatur des Proletariats gehandelt habe, sondern vielmehr um die Diktatur einer schmalen Schicht bürokratischer Funktionäre über das Proletariat. Wenn ein neuer Anlauf zum Kommunismus gelingen solle, müssen erst auch die noch verbliebenen realsozialistischen Regime beseitigt werden.

Im großen und ganzen aber gehörte die Sympathie des Publikums dem Podium. Und man kann vielleicht sagen, dass „der sozialistische Versuch auf deutschem
Boden und sein emanzipatorischer Gehalt“ in der radikalen Linken gar nicht so sehr umstritten ist, wie die Veranstalter offenbar annahmen.

Nach dem Hinweis, dass weitere Diskussionen zum Thema geplant sind, schloss die Veranstaltung mit der begrüßenswerten Ankündigung der arab, den Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag der „Wiedervereinigung“ am 3. Oktober 2010 etwas entgegensetzen zu wollen.

S.L.

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