AG Bildung: Strategien der Ausbeutung

Die Produktion von Mehrwert und die Aneignung unbezahlter Arbeit durch den Kapitalisten ist das Wesen der kapitalistischen Produktion (vgl. Newsletter vom 01.07.2010). Es ergibt sich die Frage, wie der Kapitalist sein Ziel, während des Arbeitstages des Lohnarbeiters sich unbezahlte Arbeit anzueignen, erreicht. Bevor wir uns mit den Strategien der Aneignung unbezahlter Arbeit, d.h. die absolute und relative Mehrwertproduktion beschäftigen, müssen wir zwei Begriffe einführen, die als Paar objektive Bedingungen eines jeden Produktionsprozesses darstellen.
Jeder Arbeitstag wird in „notwendige Arbeitszeit“ und „Mehrarbeitszeit“ unterteilt. Unter der notwendigen Arbeit wird jener Teil der Arbeitstages verstanden, dessen Produkt der Reproduktion des Produzenten (=Arbeiter) und seiner Familie (Nahrung, Wohnung, etc.) dient. Diese Zeitspanne entspricht dem Wert der Ware Arbeitskraft und dafür erhält der Arbeiter seinen Arbeitslohn. In einem nicht auflösbaren Gegensatz zur notwendigen Arbeit steht die Mehrarbeit. Die Mehrarbeitszeit kennzeichnet Differenz zwischen der notwendigen Arbeitszeit und der täglichen gesamten Arbeitszeit. Während dieses Zeitabschnittes stellt der Produzent Güter her, die über das Niveau der zur Selbsterhaltung des Produzenten und seiner Familie notwendigen Gütermenge hinausgehen. Für diese Mehrarbeit wird der Arbeiter nicht bezahlt und der Kapitalist eignet sich die produzierten Güter resp. deren Werte an.  

Die Mehrarbeit ist eine notwendige Bedingung für die Höherentwicklung aller menschlichen Gesellschaft, unabhängig davon, ob wir uns eine feudale, eine früh- oder spätkapitalistische Gesellschaft vor Augen führen. Die Höhe der Mehrarbeit ist allerdings von dem Entwicklungsniveau der Arbeitsproduktivität und der Produktivkräfte in einer Gesellschaft abhängig, da die Produzenten mit zunehmender Arbeitsproduktivität ein immer größer werdendes Produkt erzeugen können, als für ihre unmittelbare Existenz notwendig ist. Unter dieser Bedingung entsteht gesellschaftlicher Reichtum, über den im Kapitalismus allerdings nicht das Volk – als der Summe der Produzenten – sondern die Klasse der Kapitalisten als Besitzer der Produktionsmittel verfügen kann.  
Kommen wir nun auf unsere ursprüngliche Frage, wie es dem Kapitalisten im Alltag gelingt, ein Maximum des Produktes der Mehrarbeit zu erhalten. Vergegenwärtigen wir uns nochmal die Aufteilung des Arbeitstages in die bereits erwähnte notwendige Arbeit und die Mehrarbeit:

(1)           I————————I——————————–I      ∑  = 7,5 Std.
2,5 Std.notwendige Arbeitszeit                       5 Std. Mehrarbeit

Aus dem Zeitstrahl (1) sehen wir, daß sich die tägliche gesamte Arbeitszeit von 7 ½ Std. auf die notwendige Arbeit mit 2 ½ Std. und die Mehrarbeit mit 5 Std. verteilt.
Um nun den Anteil der Mehrarbeit an dem gesamten Arbeitstag zu vergrößern, brauchen die Kapitalisten und ihre Kampforganisationen (Arbeitgeberverbände, BDI, etc.) in Eintracht mit dem Staatsapparat als Teil des Überbaus (vergl. den Beitrag vom Genossen Dorn „Basis und Überbau“ in ABC des Kommunismus) lediglich die Verlängerung des Arbeitstages zum tarifpolitischen Kampfziel erheben und durchsetzen. Unter diesen Bedingungen ergibt sich folgender Zeitstrahl:

(2)         I————————I————————————I  ∑  = 8 Std.
2,5 Std.notwendige Arbeitszeit                       5,5  Std. Mehrarbeit

Als Ergebnis bleibt die Verlängerung der Mehrarbeit und des gesamten Arbeitstages um jeweils ½ Std. festzuhalten. Die notwendige Arbeitszeit, d.h. der zeitliche Aufwand zur Reproduktion des Arbeiters bleibt in ihrer absoluten Größe konstant. Diese Form der Mehrwertproduktion wurde von Marx als absolute Mehrwertproduktion bezeichnet, da der Arbeitstag im Vergleich zur Ausgangssituation absolut verlängert wird.
Die absolute Mehrwertproduktion war in den frühen Entwicklungsstufen des Kapitalismus die dominierende Methode um den Mehrwert zu erhöhen. Die Technik war noch rudimentär entwickelt und ein höherer Mehrwert war überwiegend nur über die Verlängerung des Arbeitstages zu realisieren. Tägliche Arbeitszeiten von 13 bis 14 Stunden waren damals keine Seltenheit.
Die Frage der Durchsetzbarkeit einer Verlängerung des Arbeitstages – vergleichbar mit dem Kampf um die Höhe des Arbeitslohnes – ist weitgehend von den Machtverhältnissen zwischen den Kampforganisationen der Klassen abhängig (d.h. Gewerkschaften vs. Arbeitplatzgeberverbände). In der aktuellen Kampfphase befindet sich das Kapital deutlich in der Offensive. Konsequenterweise wird die Verlängerung der Regelarbeitszeit von 38,5 Stunden auf 40 Stunden durch die Kampfverbände des Kapitals vermehrt zur Verhandlungsmasse gemacht. In vielen Tarifbereichen ist die 40 Stunden-Woche seitens des Kapitals bereits durchgesetzt worden.
Dem Kapital sind bei der Verlängerung der täglichen Arbeitszeit selbstverständlich Grenzen gesetzt. Ein Arbeiter kann nun einmal unter Berücksichtigung der physischen und psychischen Regeneration (Schlaf, Nahrungsaufnahme) max. täglich 12 bis 14 Std. arbeiten. Der Kapitalist ist daher gezwungen, sich bei der Verwertung seines Kapitals eine zweite Form der Mehrwertproduktion, die relative Mehrwertproduktion, anzueignen.
Bei der relativen Mehrwertproduktion bleibt die gesamte tägliche Arbeitszeit von 7 ½ Std. (in unserem Beispiel) konstant, während sich der Anteil der notwendigen Arbeitszeit bezogen auf die tägliche Arbeitszeit absolut und relativ reduziert:  

(3)          I———————I———————————–I   ∑ = 7,5 Std.
2 Std.notwendige Arbeitszeit                       5,5 Std. Mehrarbeit

Die Verlängerung der Mehrarbeit entspricht der Verkürzung der notwendigen Arbeit, oder anders formuliert: ein Teil der Arbeitszeit, die der Arbeiter für seine Reproduktion verbraucht, verwandelt sich in Arbeitszeit für den Kapitalisten.
Eine Abnahme der notwendigen Arbeit kann nur über die Senkung der Reproduktionskosten der Arbeitskraft realisiert werden. Dies setzt die ständige Steigerung der Produktivität in der Konsumgüterindustrie (Produkte, die unmittelbar der Bedürfnisbefriedigung der Arbeiter dienen) und in der Leichtindustrie (stellt die Produktionsmittel für die Konsumgüterindustrie her) voraus, denn mit dem Produktivitätszuwachs ist eine Verkürzung der für die Reproduktion der Arbeitskräfte notwendigen Arbeitszeit verbunden. Dadurch sinkt der relative Anteil der notwendigen Arbeit an der Gesamtarbeitszeit. Analog steigt der absolute und relative Anteil der vom Kapitalisten angeeigneten unbezahlten Mehrarbeit. In Abgrenzung zur Produktion des absoluten Mehrwerts fasst Marx die wesentliche Voraussetzung der relativen Mehrwertproduktion mit den Worten
“Um die Mehrarbeit zu verlängern, wird die notwendige Arbeit verkürzt durch Methoden, vermittelst deren das Äquivalent des Arbeitslohns in weniger Zeit produziert wird. Die Produktion des absoluten Mehrwerts dreht sich nur um die Länge des Arbeitstags; die Produktion des relativen Mehrwerts revolutioniert durch und durch die technischen Prozesse der Arbeit und die gesellschaftlichen Gruppierungen.” (K. Marx: Das Kapital, I. Band, S. 532f)
zusammen.
Das Abschöpfen des Mehrwertes auf Grundlage der relativen Mehrwertproduktion ist vor allem in den Entwicklungsstufen bedeutsam, in denen der technische Fortschritt zu großen Sprüngen in der Entwicklung der Produktivkräfte führt. Diese Bedingung war während der industriellen Revolution gegeben. In der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart sind die sprunghaften Entwicklungen in der Mikrochip- und Halbleiterindustrie die Voraussetzungen für die rasanten Produktivitätszuwächse in vielen industriellen Bereichen.
Die Auswirkungen der relativen Mehrwertproduktion sind von großer gesellschaftlicher Relevanz. Grundsätzlich sind wissenschaftlich-technische Fortschritte, die eine Erhöhung der Produktivität auslösen, als positive Entwicklungen zu betrachten. Insbesondere sind technische Fortschritte als positiv zu bewerten, wenn die Produzenten von der Entwicklung der Produktivkräfte profitieren, indem z.B. die tägliche Arbeitszeit reduziert wird und dem Arbeiter mehr Zeit für die Bildung oder dem Genuss von Kultur, etc. bleibt. Im Kapitalismus ist die Triebkraft für wissenschaftlich-technischen Fortschritt und die daraus resultierenden Investitionen ausschließlich die Erhöhung des durch den Kapitalisten angeeigneten Mehrwerts. Der vom Kapitalisten angeeignete Mehrwert wird also eingesetzt, um noch mehr Mehrwert durch die Ausbeutung der Lohnarbeiter zu produzieren. Der Arbeiter eines Kapitalumschlages trägt durch den vom Kapitalisten angeeigneten und kapitalisierten Mehrwert zu der Ausbeutung der Arbeiter der zukünftigen Zirkulationsprozesse bei. Das ursprünglich geschaffene Produkt der Arbeit oder mit anderen Worten die vergegenständlichte Arbeit tritt dem Arbeiter dann als fremde, ihn ausbeutende Macht feindlich gegenüber.
Zur Vertiefung der Beziehung zwischen notwendiger Arbeit und Mehrarbeit verweisen wir auf das Studium des Originaltextes von K. Marx (Das Kapital, Bd. I, S. 531-552)
Die AG Bildung ist über die e-mail  HYPERLINK “mailto:bildung@kommunistische-initiative.de” bildung@kommunistische-initiative.de zu erreichen.

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