AG Bildung: Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate (Teil I)
Mit dem „Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate“ nähern wir uns einem Kardinalpunkt in der Marx`schen Analyse des Kapitalismus, denn dieses Gesetz fasst alle logischen Entwicklungsschritte der kapitalistischen Verwertung (u.a. die Warenzirkulation, die Jagd nach dem Extraprofit, die Mehrwertproduktion und die Akkumulation des Kapitals) zusammen. Gleichzeitig entfaltet das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate in komprimierter Form alle Widersprüche der kapitalistischen Produktion und zeigt die Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise auf. Nicht zuletzt aus diesen Gründen kommt dem Gesetz bei der Analyse und Interpretation von wirtschaftlichen Zusammenhängen und politischen Entscheidungen eine elementare und gewichtige Bedeutung zu.
Aufgrund des Umfangs der Thematik wollen wir – vergleichbar mit dem Modul zur erweiterten Reproduktion – die Diskussion in zwei Abschnitte gliedern. Im vorliegenden Beitrag werden wir anhand eines Rechenbeispiels das Wesen des Gesetzes kennenlernen und anschließend dessen Kernaussagen ableiten. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse werden wir uns in dem darauffolgenden Beitrag mit den ökonomischen und politischen Konsequenzen auseinandersetzen.
Die Profitrate beschreibt die Beziehung zwischen dem angeeigneten Mehrwert im Verhältnis zu dem eingesetzten Gesamtkapital. Für diese Kennziffer interessiert sich der Kapitalist in besonderem Maße, da die Profitrate ihm darüber Auskunft gibt, wie sein eingesetztes Kapital in dem vergangenen Produktionszyklus verwertet wurde. Sie entscheidet schlussendlich darüber, ob ein Kapitalist sein Kapital aus einem Unternehmen rauszieht und ggf. in ein anderes, d.h. profitableres Unternehmen einsetzt. Mit der bürgerlichen Ökonomie ist die Profitrate in erster Näherung mit der Rentabilität vergleichbar; allerdings mit der Einschränkung, dass der „Gewinn“ der bürgerlichen Ökonomie nicht mit dem Mehrwert als Berechnungsausgangsgrößen identisch ist (z.B. bildet der Kapitalist Rücklagen und Rückstellungen, die seinen Gewinn resp. die Rentabilität reduzieren, aber in den Mehrwert für die Berechnung der Profitrate einfliessen). Wie dem auch sei. Die Profitrate berechnet sich nach:
( 1 )
p gibt die Profitrate und m den Mehrwert (= Mehrarbeit) an. Das konstante Kapital (c) geht in Form der Betriebsmittel, Rohstoffe, etc. in das neue Produkt ein. Das variable Kapital (v) entspricht der lebendigen, wertschaffenden und damit mehrwertbildenden Arbeit. Das variable Kapital entspricht der Summe der Lohnkosten.
Dividiert man den Zähler und den Nenner der Gleichung durch 1/v erhält man folgenden Ausdruck:
( 2 )
Aus der Umformung können wir nun deutlich erkennen, daß die Profitrate sowohl von der Mehrwertrate (m/v, d.h. Beziehung zwischen Mehrwert/Mehrarbeit und variablen Kosten/ notwendiger Arbeit) als auch von der organischen Zusammensetzung des Kapitals (c/v) abhängig ist. v/v können wir in diesem Zusammenhang vernachlässigen, da der Quotient nominell 1 ergibt.
Bevor wir uns nun mit Hilfe einer Beispielrechnung den Kern des Gesetzes ansehen, müssen wir zur Vereinfachung des Rechenweges noch folgende Annahmen treffen. Vergegenwärtigen wir uns eine Durchschnittsbäckerei, die im Laufe ihrer Bestehens mehrere technologische Entwicklungsschritte durchschreitet: z.B. von dem Kneten des Teigs per Handmixer, über eine produktivere Mixmaschine bis zur Einrichtung einer Produktionsstrasse. Die daraus resultierende Bedingung für die Erhöhung der Produktivität „Ansteigen des konstanten Kapitals, Abnahme des variablen Kapitals“ hatten wir bereits in früheren Beiträgen kennengelernt. Weiterhin gehen wir davon aus, dass der Arbeitstag in allen Schritten des Produktivitätszuwachses gleichbleibend aus ⅔ notwendiger Arbeit (v) resp. ⅓ Mehrarbeit (= Mehrwert, m) besteht.
In der folgenden Tabelle wurde die Mehrwertrate (m/v * 100) und die Profitrate (nach Formel (1)) in Abhängigkeit vom konstanten und variablen Kapital sowie dem Mehrwert berechnet. Bei der Ausgangssituation (Schritt 1) ergab sich für c = 100 und v = 100 sowie m = 50 (= 33,3 % von v + m) eine Mehrwertrate von 50 % und eine Profitrate von 25 %.
Aufgrund der fortschreitenden Produktivitätserhöhung wird das konstante Kapital mit jedem Schritt beständig erhöht. Das variable Kapital dagegen nimmt ab, da mit jedem Schritt der Produktivitätssteigerung zunehmend weniger Arbeit benötigt wird. Theoretisch können wir das variable Kapital auch als konstante Größe belassen – es hätte, wie wir noch sehen werden, faktisch keine Auswirkung auf die Wirksamkeit des Gesetzes. Die Mehrwertrate liegt gleichbleibend bei 50 %, da wir als vereinfachende Ausgangsbedingung ein konstantes Verhältnis zwischen Mehrarbeit und notwendiger Arbeit definiert hatten. In der Realität unterliegt die Mehrwertrate in Abhängigkeit von der Branche und der Produktivitätsentwicklung selbstverständlich Schwankungen.
Vergleichen wir nun die Mehrwertrate mit der Profitrate zeigt sich zunächst, daß sich die Profitrate quantitativ von der Mehrwertrate unterscheidet. Die erstgenannte Kennziffer ist kleiner ist als die Mehrwertrate. Diese Sachlage ist auch nachvollziehbar, vergegenwärtigen wir uns, daß in die Berechnung der Mehrwertrate lediglich ein Teil des eingesetzten Kapitals (d.h. das variable Kapital) eingeht.
Weiterhin fällt auf – und hier wird es für uns interessant -, dass die Profitrate im Gegensatz zur Mehrwertrate beständig sinkt (von 25 % im ersten auf 10 % im letzten Schritt). Mit Erschrecken muss der Kapitalist feststellen, dass er für sein Kapital (bezogen auf eine Kapitaleinheit) proportional zunehmend weniger Profit erhält, je mehr er in seinem Betrieb investiert. Selbstverständlich fragt sich der Kapitalist (oder auch nicht), auf welche Ursachen die immer schlechter werdenden Bedingungen für die Verwertung seines Kapitals zurück zu führen sind.
Der tendenzielle Fall der Profitrate ergibt sich daraus, dass mit steigender Arbeitsproduktivität der Anteil des konstanten Kapitals am Produktionsprozess wächst. Daraus folgt, dass der Anteil der zugeführten lebendigen Arbeit im Verhältnis zu den Produktionsmitteln, die sie in Bewegung setzt, tendenziell rückläufig ist. Da jedoch die lebendige Arbeit die einzige Quelle des Mehrwerts darstellt, sinkt die sich aus dem Verhältnis des Mehrwertes zum eingesetzten Gesamtkapital ergebende Profitrate ebenfalls tendenziell. Dazu Marx:
“Aber es fällt mit der wachsenden Masse des konstanten – fixen und zirkulierenden – Kapitals, das diese Arbeit in Bewegung setzt, das Verhältnis dieser Wertgröße zum Wert dieses Kapitals, der mit seiner Masse, wenn auch nicht im selben Verhältnis, wächst. Dies Verhältnis und daher die Profitrate fällt, obgleich nach wie vor dieselbe Masse lebendiger Arbeit kommandiert und dieselbe Masse Mehrarbeit vom Kapital aufgesaugt wird. Das Verhältnis ändert sich, nicht weil die Masse der lebendigen Arbeit fällt, sondern weil die Masse der von ihr in Bewegung gesetzten bereits vergegenständlichten Arbeit steigt. Die Abnahme ist relativ, nicht absolut, und hat in der Tat mit der absoluten Größe der in Bewegung gesetzten Arbeit und Mehrarbeit nichts zu schaffen.“ K. Marx: Das Kapital, III. Band, S. 227
Das obige Beispiel haben wir für einen Kapitalisten durchgerechnet, der in seinem Betrieb konstantes Kapitals mit gleich großen Zuwachsraten investiert und analog Arbeitskräfte in Form des variables Kapitals ebenfalls mit gleich großen Zuwachsraten freisetzt. Ändern wir nun diese Eingangsgrößen, indem wir z.B. die Zuwachsraten von c um 100 % erhöhen oder diejenigen für v um 50 % reduzieren, ergeben die Vergleichsrechnungen für alle Varianten das gleiche Ergebnis: die Abnahme der Profitrate. Die Variabilität der Eingansgrößen für c und v führen lediglich zu einer Veränderung der Intensität der Abnahme der Profitraten. Lediglich in einem ganz speziellen Fall gelingt es, die Profitrate aber auch nur konstant zu halten. Dieser Fall tritt bei gleich bleibender organischer Zusammensetzung des Kapitals ein, wenn z.B. als Folge der Erweiterung der Produktionskapazitäten sowohl c als auch v in gleichen Proportionen, wie es der org. Zusammensetzung des Kapitals vor der Kapitalzufuhr entspricht, erhöht wird.
Die auf eine Gesellschaft bezogene Profitrate gleicht sich der Summe der individuellen Profitraten der Kapitalisten an, da jeder individuell angeeignete Mehrwert an der Gesamtmasse des gesellschaftlichen Mehrwertes genau dem individuellen Teil des Kapitals an der Gesamtmasse des gesellschaftlichen Kapitals entspricht. Daraus können wir ableiten, daß in einer Gesellschaft aber auch innerhalb einer Branche unterschiedlichen Entwicklungen in den Profitraten auftreten können. Ein Kapitalist, der in der Lage ist, seine Produktionskosten unter den gesellschaftlichen Durchschnitt zu senken, wird gegenüber seinen Konkurrenten eine höhere Profitrate erzielen (vergl. Beitrag „Jagd nach dem Extraprofit“). Natürlich erzielt er die höhere Profitrate nur solange, wie die neuen Produktionsmethoden nicht allgemein angewendet werden. Weiterhin weisen einzelne Industriebereiche (z.b. die Mikrochipherstellung vor einigen Jahren) gegenüber anderen Industriezweigen (z.B. Automobilbranche) höhere Profitraten auf. Aber im gesellschaftlichen Durchschnitt – und dies wird durch das Attribut „tendenziell“ in der Namensgebung des Gesetzes deutlich – ist die Tendenz zur Abnahme der Profitrate durch Marx eindeutig belegt.
Im nächsten Beitrag werden wir uns mit dem Instrumentarium der Kapitalistenklasse zur Abschwächung der Wirkung des Gesetzes sowie dessen destruktive Kräfte widmen.
Folgende Kapital aus der Primärliteratur werden für das weitere Studium empfohlen: Karl Marx, Das Kapital, III. Band, S. 221-277.
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