Aspekte zum „Schlaraffenland“ und zur “Gestaltungsmacht“ Katars
[Ein modifizierter Auszug. von R. Schramm]
Mit den sunnitischen Monarchien Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate (VAE) und Kuwait bildet Katar ein transnationales Regime. Dieses ermöglicht es dem Emirat, nationale, regionale und Globalisierungsprozesse entlang eigener Interessen zu kontrollieren.
Das Emirat Katar wird von einer kleinen Machtelite aus der Familie Al Thani regiert. Sie besetzt die Schlüsselministerien des Landes und stimmt politische Entscheidungen eng miteinander ab. Zum engsten Zirkel gehören Emir Hamad bin Khalifa Al Thani, Kronprinz Tamim bin Hamad Al Thani [- am 25, Juni 2013 übergab Emir Hamad bin Khalifa an seinen Sohn Tamim, den heute mit 34 Jahren nun dienstjüngsten Regenten der arabischen Welt, die Staats- und Regierungsgeschäfte], Premier- und Außenminister Hamad bin Jasim Al Thani sowie Moza bint Nasser al-Missned, die zweite Ehefrau des Emirs und Vorsitzende der Qatar Foundation (Mu´assasat Qatar). [Info.-Stand: 2013]
Katar bezieht seine Einnahmen größtenteils aus dem Export von Rohstoffen, insbesondere Erdöl und Flüssiggas. Damit teilt die Golfmonarchie mit den GKR-Mitgliedsstaaten wesentliche strukturell-wirtschaftliche Gemeinsamkeiten, die dem Erhalt und der Koordination autoritärer monarchischer Herrschaft auf der Arabischen Halbinsel dienen.
Katars Herrscher sehen ihr Land in einem langfristigen Entwicklungsprozess zur Überwindung des Erdölzeitalters. Wie auch andere arabische Golfstaaten hatte das Golfemirat mit der „Vision 2030″ einen langfristigen Entwicklungsplan vorgelegt und darin Vorstellungen zur Diversifizierung der Wirtschaft formuliert. Der im Visionsdokument enthaltene sozioökonomische Entwicklungsplan zeugt vom politischen Willen der Herrscherfamilie Al Thani, die Gestaltung der “Marke“ Katar autonom zu steuern. Der Fokus bei der Umsetzung liegt auf dem Ausbau der Infrastruktur und wird (voraussichtlich) im Einklang mit dem regionalen Integrationsprozess der GKR-Mitglieder umgesetzt. Damit erlebt Katar gegenwärtig einen moderaten Modernisierungsprozess, aber keinen gesellschaftspolitischen Wandel der Machtverhältnisse.
Im Gegensatz zu anderen Ländern der Nahost-Region existiert in Katar keine politische Opposition. Selbst während des (westlich mit-inszenierten) „Arabischen Frühlings“, der in allen anderen arabischen Ländern zu Protesten bis hin zu Rebellionen und zum (inszenierten) Bürgerkrieg führte, wurden in Katar nur selten oppositionelle Stimmen vernommen. [Anm.: Katars monarchistisches Regime befindet sich in hoher Übereinstimmung mit den Wirtschaftsgruppen der NATO-Staaten. – R. S.]
Die monarchistische Machtelite Katars steuert die Verteilung der Einnahmen aus dem Erdöl- und Erdgasexport an die (eigene nationale Minderheit der territorialen) Bevölkerung über eine aktive staatliche Wirtschaftspolitik. Das zentrale Regelungsinstrument, um die eigene Bevölkerung an die Monarchie zu binden, ist dabei der Arbeitsmarkt, der aus einem öffentlichen und einem privaten Sektor besteht. Katarische Staatsbürger sind überwiegend im öffentlichen Sektor angestellt. Sie beziehen unabhängig von Ausbildung und Arbeitsleistung lukrative Einkommen und bleiben damit an die Monarchie gebunden.
[Anmerkung: Rentenwirtschaft, nur für die eigene Bevölkerung, selbst ohne persönliche Arbeitsleistung. / Seit 2011 verzeichnet Katar mit über 100.000 USD das höchste Pro-Kopf-Einkommen – nur für die eigene Bevölkerung und nicht für die sog. „Gastarbeiter“ – weltweit.]
Ausländische Arbeitskräfte – die überwiegende Mehrheit der insgesamt Beschäftigten – arbeiten fast ausschließlich im Privatsektor. Sie werden vorwiegend in asiatischen Staaten mit niedrigen Einkommensniveau angeworben, insbesondere in Bangladesch, Sri Lanka und Indonesien. Die “Gastarbeiter“ werden schlecht bezahlt und verfügen zudem über keinen Kündigungsschutz.
Die Privilegierung heimischer Arbeitskräfte , etwa der Beschluss vom September 2011 zur Anhebung der (auch persönlich leistungslosen) Löhne im öffentlichen Sektor um 60 Prozent, widerspricht allerdings dem im Rahmen der „Vision 2030″ (im Sinne der Herrscherfamilie) formulierten Vorhaben, die Wirtschaft zu diversifizieren und produktive Arbeitsplätze für Einheimische im Privatsektor zu schaffen, da diese (Posten) nicht gegen die hoch dotierten Posten beim Staat konkurrieren können.
Verschwendung und gewaltiger Konsumbedarf Katars
Das rasante Wirtschaftswachstum, vor allem die energieaufwendigen Unternehmen, zog in den vergangenen Jahren eine dramatische Erhöhung des Energie- und Wasserbedarfs sowie der Emission von Treibhausgasen nach sich. Die Hälfte der CO2 Emission verursacht die Erdöl- und Erdgasindustrie des Landes. –
Zur Deckung des Konsumbedarfs pro (einheimischen) Einwohner im Jahr 2012 wurde nahezu das Zwölffache an Bio-Kapazitäten benötigt, als Katar (rechnerisch) zur Verfügung steht. Die Golfmonarchie weist gegenwärtig den weltweit größten ökologischen Fußabdruck pro Einwohner auf. Hält diese Verschwendung bzw. dieser Trend an, so dürfte das Ungleichgewicht zwischen steigendem Verbrauch und der begrenzten Verfügbarkeit von Ressourcen langfristig unabsehbare ökologische und soziale Folgen zeitigen. –
Die mangelnde bzw. ungenügende ökologische Nachhaltigkeit kann auf die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, die Rentenmentalität (= materielle Leistungen für die eigene Bevölkerung ohne deren nennenswerte persönliche Arbeitsleistung und Wertschöpfung, da „Gastarbeiter“ bzw. Arbeitssklaven zur Verfügung stehen – R. S.), die autoritären Züge der Monarchie und den bestehenden Gesellschaftsvertrag zurückgeführt werden. –
Die Vorstellung von (unbegrenzten persönlichen) Überfluss und eine wachstumsfixierte Weltanschauung (– wie allgemein in den kapitalistischen Weltmetropolen, trotz deren verbalen offiziellen Verlautbarungen –) prägen das ressourcenverschwenderische Konsumverhalten der heutigen Generation. Aufgrund der subventionierten oder kostenfreien Bereitstellung von Wasser und Energie fehlen die Anreize für den sparsamen Umgang mit diesen Gütern.
Katars regionale Gestaltungsmacht
Spätestens seit dem sog. „Arabischen Frühling“ ließ Katar die Moderatorenfunktion hinter sich und greift nunmehr aktiv zugunsten bestimmter Akteure in politische Prozesse ein. So hat sich Doha im Syrienkonflikt nach einem Bewertungsprozess im Sommer des Jahres 2011 auf die Seite der „Aufständischen“ geschlagen. Katar leistet finanzielle und operative Unterstützung für Teile der Opposition. Dieses Engagement ging auf Kosten des zuvor gutnachbarlichen Verhältnisses zu Iran, mit dem sich Katar das weltweit größte Gasfeld teilt. Überdies unterstützt Katar gemeinsam mit Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Kuwait finanziell mit 10 Milliarden US-Dollar [Stand: 2013] das benachbarte Königshaus der Al Khalifa in Bahrain, das von einer uneinheitlichen Protestbewegung der schiitischen Bevölkerungsmehrheit bedrängt wird.
Insbesondere säkulare Politiker in der arabischen Welt kritisieren die proaktive Außenpolitik des Emirs und seines Premier- und Außenministers sowie ihre Parteinahme zugunsten islamistischer Akteure. –
In der westlichen Welt (insbesondere auch in Deutschland und EU-Europa) wird die neue Regionalpolitik Katars hingegen weniger kritisch bewertet und die scheinbar willkürliche Art und Weise der Staatsführung, Finanzhilfen bereit zu stellen, um terroristische und feudal-religiöse Organisationen zu unterstützen, kaum hinterfragt.
Mitgestaltung von Globalisierungsprozessen
Regional ist das Golfemirat fest in den GKR eingebunden. Der politische, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Integrationsprozess zwischen den Golfmonarchien sowie die Öffnung des Regionalbündnisses für die Weltwirtschaft dokumentieren einerseits die Bereitschaft zur Interaktion mit der Außenwelt. Andererseits steuern die Monarchien das Ausmaß und die Geschwindigkeit des Integrationsprozesses. Gemeinsam mit den führenden GKR-Staaten Saudi-Arabien, VAE und Kuwait koordiniert sich Katar in einem monarchisch und sunnitisch geprägten transnationalen Regime. Das transnationale Regime am Golf tritt auf der Arabischen Halbinsel, in der arabischen Welt und auf globaler Ebene ungeachtet der ausgeprägten Konkurrenz zwischen den einzelnen Akteuren handlungsstark in Erscheinung.
Der wachsende Energiebedarf Indiens, Chinas und Südkoreas ermöglicht den GKR-Mitgliedern verstärkte Interaktionen mit Asiens „Gestaltungsmächten“ in den Bereichen Energie und Ernährung. Im Kontext diversifiziert Katar zunehmend seine Absatzmärkte für Erdöl und Flüssiggas.
Das Bestreben u. a. von Moza bint Nasser al-Missned, das Emirat Katar im Rahmen der „Vision 2030″ als globales Bildungszentrum in den Sozial- und Naturwissenschaften zu etablieren [Merke: ‘Sozialwissenschaften’], führte zur verstärkten Zusammenarbeit mit den USA im Bereich der Hochschulbildung. Mehrere Eliteuniversitäten der USA errichteten bereits Niederlassungen in Doha.
Während das Emirat wirtschaftliche Globalisierungsprozesse mitgestaltet und an technologischen und wissenschaftlichen Transfer interessiert ist, schirmt es sich von kulturellen und politischen Prozessen ab, die als Gefährdung seiner nationalen (Eigentums- und Herrschafts-) Interessen wahrgenommen werden. In den Bereichen Arbeit, Soziales, (bürgerliche) Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte wehrt sich die Golfmonarchie gegen externe Reformforderungen der USA und der Europäischen Union. // Zudem baten Europäische Regierungen die Monarchie Katar darum, den heutigen europäischen Rettungsfond aufzustocken, und die USA-Administration, die amerikanische Automobilindustrie zu unterstützen. Katar konnte sich dadurch als international einflussreiche Finanzkraft positionieren.
Weitere wirtschaftliche Aspekte: Die Qatar Investment Authority (QIA), die den Staatsfonds des Landes verwaltet, investiert (entsprechend der ökonomisch-politischen Strategie) Exporterlöse sowohl in Europa als auch weltweit. Der Vermögensstand des Staatsfonds beläuft sich auf etwa 100 Milliarden USD [Stand: März 2013] Die Investitionen der QIA in Europa konzentrieren sich auf die lukrativen Mäkte in Großbritannien, Frankreich und Deutschland, und dort vor allem auf namhafte Unternehmen und den Immobiliensektor. So hatte die finanzstarke Golfmonarchie Katar [- mit Stand: März 2013 -] bislang über zehn Milliarden Euro in deutschen Unternehmen wie u. a. Volkswagen, Porsche, Siemens und Hochtief angelegt und reinvestiert die Dividendenzahlungen in die eigene sozioökonomische Entwicklung [vor allem für die Rentenwirtschaft der eigenen Bevölkerung]. Umgekehrt engagieren sich zahlreiche ausländische Unternehmen in Katar. —
Im Vorfeld der FIFA Weltmeisterschaft 2022 ist die Realisierung ambitionierter Großprojekte geplant, wie der Bau von Fußballstadien, die durch Solarenergie gekühlt werden sollen, oder die Errichtung eines Metro- und allgemeinen Schienennetzes. Im Kontext erwächst der deutschen Wirtschaft ein erhöhtes Kooperationspotenzial.
[Merke: Die GKR-Unterstützung für religiös-terroristische Organisationen weltweit, bleibt für die westliche Nato-Staatengemeinschaft zweitrangig, – angesichts deren eigenen wirtschaftlichen Interessen.]
[Ein modifizierter Auszug. Bitte den vollständigen Quellentext lesen.]
Quellen: (1) GIGA – Focus Nahost 3 / 2013. Institut für Nahost-Studien. Ambivalente Erfahrungen mit der „Gestaltungsmacht“ Katar. Eine Analyse von Oliver Borszik. (2) GIGA Focus 7 / 2013. Institut für Nahost-Studien. Herrschaftswechsel in Katar [2013] – gleicher Kurs oder neue Wege? Eine Analyse von Nadine Scharfenort. / Anm.: Die Publikationen können kostenfrei im Netz gelesen und heruntergeladen werden.
Info.-Empfehlung: DIE AKTE KATAR, IGB-Sonderbericht, März 2014. *
* INHALT
1. FIFA und die Fußball-WM 2022 als Katalysator für Veränderungen (?)
2. Die Fallakten des IGB
3. Todesfälle unter Beschäftigten
4. Unzulängliche Reaktionen
5. Ein zerrüttetes System
• Vermittlungsagenturen
• Unternehmensverhalten
• Das katarische Rechtssystem
• Haftzentren für ausländische Arbeitskräfte
• Mindestlöhne
• Arbeitsaufsicht
6. Internationales Recht
Anhang: Mustervertrag für Katar-2022-Auftragsfirmen
“Katar ist ein Land ohne Gewissen.“
«Die Beschäftigten in Katar, ob arme Wanderarbeitskräfte oder hochbezahlte ausländische Fachleute, verfügen über keinerlei grundlegende Rechte oder Freiheiten. Ausländische Beschäftigte werden wie Sklaven behandelt.» IGB-Sonderbericht – März 2014
20.10.2014, Reinhold Schramm (Bereitstellung)