Zur Diskussion um das Positionspapier „Den Gegenangriff organisieren….“

Liebe Genossen,
nach langer Erkrankung und deshalb manchem Informationsverlust habe ich mit umso größerem Engagement die Diskussion um das Positionspapier „Den Gegenangriff organisieren….“ studiert. Um es vorweg zu sagen: Als „Positionspapier“ würde ich es ohne Bedenken unterschreiben, wohl wissend, dass manche Aussage vertieft und verbessert werden könnte. Ich stimme den Diskutanten zu, die keinen Gegensatz zum Parteiprogramm und Statut entdecken können und wende mich dagegen, die 84 Autoren des Linksradikalismus zu bezichtigen und damit die Gefahr einer Parteispaltung an den parteipolitischen Himmel zu malen. Es ist ausdrücklich kein Aktionsplan, sondern ein Positionspapier und da sollte man nichts hineindeuten, was nicht drin steht. Mich bewegt diese Auseinandersetzung aus einer ganz anderen Sicht.
Beim Überdenken der ganzen Diskussion erinnerte ich mich einer nahezu beschwörenden Mahnung, die der streitbare bürgerliche Pazifist Carl von Ossietzky, der dazu aufgerufen hatte, nicht Hindenburg sondern Thälmann zum Reichspräsidenten zu wählen, in der ‚Weltbühne’ am 03. Mai 1932 den Arbeiterparteien ins Stammbuch schrieb: „Es wird nicht leicht sein, die Sozialisten aller Richtungen auch nur diskutierend zusammenzubringen. Sie haben sich viel angetan… Mauern von Papier türmen sich zwischen Gutgewillten. Es kommt nicht mehr darauf an, recht zu behalten, sondern sämtliche Teile der sozialistisch organisierten Arbeiterschaft vor der Vernichtung zu retten. Wollen wir antiquierte Schlachten weiterführen….? Es geht nicht mehr um Programme und Doktrine, nicht mehr um ‚Endziele’ und ‚Etappen’, sondern um den technischen Fundus der Arbeiterschaft, ihre Presse und Gewerkschaftshäuser, und schließlich um ihr lebendes Fleisch und Blut, das hoffen und vertrauen und kämpfen will. Ich frage euch, Sozialdemokraten und Kommunisten: – werdet ihr morgen überhaupt noch Gelegenheit zur Aussprache haben? Wird man das euch morgen noch erlauben?“ Nur wenige Monate danach wurde er in der Nacht des Reichstagsbrandes gemeinsam mit tausenden Sozialdemokraten und Kommunisten in die Kerker der Faschisten geworfen.
Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich weiß, dass man die heutige Situation nicht der damaligen gleichsetzen kann und dass sich Geschichte nicht in der gleichen Art und Weise wiederholt, dass man Wesen und Erscheinung deutlich voneinander unterscheiden muss. Ich frage aber: Hat sich das Wesen der Klassenauseinandersetzung nicht immer heftiger zugespitzt? Die ‚globalisierte Welt’ des Imperialismus unserer Tage hat die Gefahr der Existenz der Menschheit auf die Tagesordnung der Geschichte gesetzt. Die Naturressourcen, die der Mensch mit seiner Arbeit be- und vernutzt, werden immer weniger, der Raubbau hat existenzgefährdende Dimensionen angenommen. Die Herrschenden haben begonnen, Kriege um diese Vorräte und um die ‚endgültige Weltherrschaft’ zu führen. Sie tragen die Verantwortung dafür, dass in immer gewaltigerem Umfang zu diesem Zweck Naturstoffe in Destruktivstoffe (Waffen) umgewandelt werden. Allein in Europa lagern 240 US-amerikanische Atombomben, davon ein beträchtlicher Teil in Büchel, deren jede ein Vielfaches der Sprengkraft der Hiroshimabombe ausmacht. Nur diese Vorräte – von anderen auf anderen Kontinenten will ich gar nicht reden – würden ausreichen, jedes Leben auf diesem Planeten zu vernichten und damit diesen Planeten in einen toten Stern im All umzuwandeln. Wird es nicht höchste Zeit, dieses Treiben zu beenden und die Systemfrage nicht nur zu stellen, sondern zu lösen?
Nun weiß ich wie Ihr alle, dass der Imperialismus objektiv längst überreif zum Abtreten von der Geschichtsbühne ist, dass aber der subjektive Faktor dazu völlig unentwickelt ist. Wie wollen wir den ohne eine kampfstarke und fest organisierte marxistisch-leninistische Partei zur Entfaltung bringen? Schauen wir uns das doch (nur auf unser Land bezogen) ganz praktisch an: Da gibt es eine Linkspartei, die immer mehr in die ‚Mitte’ rückt (was immer das sein soll) und deren Kommunistische Plattform nur geringen Einfluss auf die Gesamtpolitik dieser Partei hat. Da gibt es unsere DKP, aber (in den neuen Bundesländern, da in den alten immer noch verboten) auch wieder die KPD und die KPD(B). Seit knapp einem Jahr hat sich eine Kommunistische Initiative mit dem Anspruch etabliert, Kommunisten mit oder ohne Parteibuch zu sammeln und in Richtung auf eine marxistisch-leninistische Partei organisieren zu wollen, die aber in ihrem Gründungsaufruf vom November des vergangenen Jahres erst mal Ohrfeigen in alle anderen kommunistischen Richtungen austeilt. Da gibt es noch den RotFuchs-Förderverein mit ähnlicher Absicht und manche andere Organisation. Überschaut man diese linke Szenerie, fällt einem unwillkürlich das alte deutsche Volkslied von den zwei Königskindern ein: „Sie konnten zueinander nicht finden, das Wasser war viel zu tief.“
Nun frage ich mich und Euch, liebe Genossen: Wie lange wollen wir das so noch treiben? Das Volk, besonders die Arbeiterklasse, resigniert immer mehr. Die ‚Partei’ der Nichtwähler wird immer größer. Und da streiten wir uns, jeder ‚Flügel’ mit dem Anspruch, über die alleinseligmachende marxistisch-leninistische Weisheit zu verfügen, statt unsere Kräfte zu bündeln und uns damit zur Führung der Klasse und der Massen zu befähigen. Ich habe nichts gegen den klärenden Streit, aber ich habe sehr viel gegen eine Streitsucht, die uns von unserer historischen Aufgabe wegtreibt. Um es nur an einem einzigen Beispiel aus unserer Partei zu benennen: Wenn ich richtig informiert bin, hat der Bundesvorstand einen Beschluss gefasst, der die Unvereinbarkeit der DKP-Mitgliedschaft mit der Mitwirkung in der Kommunistischen Initiative festschreibt. Ich frage die Genossen des Bundesvorstandes, was das praktisch bedeutet. Es ist ja richtig, dass der Start dieser Initiative uns gegenüber recht unhöflich war. Aber deren oben genanntes Grundanliegen teile ich nicht nur, sondern bin sehr bereit, genau daran mitzuwirken. Muss ich jetzt wegen ‚Unvereinbarkeit’ damit rechnen, aus unserer Partei ausgeschlossen zu werden?
Um es auf den Punkt zu bringen: Schon im antiken Rom verstanden es die Herrschenden sehr gut, die Taktik des „Teile und Herrsche“ erfolgreich anzuwenden. Die heute Herrschenden brauchen das mit uns gar nicht zu tun, wir können das mit uns selbst viel besser. Es wird allerhöchste Zeit, genau das zu überwinden, wenn wir nicht verantworten wollen, die Massen im Kampf gegen die heraufziehenden kapitalistisch/imperialistischen Katastrophen allein gelassen zu haben.

Georg Dorn, Berlin

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