Lenin

Wir Marxisten befinden uns heute am Anfang des 21. Jahrhundert in einer sehr komplizierten Lage. Es existiert zwar die wissenschaftliche Theorie, die eine Gesellschaft erfolgreich verändern kann, und es wurde bereits bewiesen, dass auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus eine sozialistische Revolution erfolgreich durchgeführt und eine sozialistische Gesellschaft gebaut werden kann, diese Gesellschaft hat aber schwere Niederlagen erlitten, und jetzt stehen wir wieder am Anfang. Die breite Arbeitermasse weiß so gut wie nichts über Marxismus, will aufgrund antikommunistischer Propaganda nichts davon hören und gibt mehr und mehr nach, wenn das Kapital einst erkämpfte soziale Errungenschaften und Menschenrechte wieder wegnimmt. 

Wir besitzen aber auch einen Vorteil – wir haben erfolgreiche Vorgänger und ihre Erfahrung. In diesem Zusammenhang ist es sehr wichtig, die Handlungsweise von Kommunisten der Vergangenheit genau zu studieren, um zu sehen, welche Lehren wir für uns daraus ziehen könnten.

Wir wissen, dass die russische Bolschewiken am Anfang des 20. Jahrhunderts die Arbeitermasse von Russland organisieren konnten, und dass passierte nicht zuletzt, weil Vladimir Iljich Lenin von Anfang bis zum vollen Erfolg an der Spitze der russischen Revolution gestanden, immer die richtige Taktik ausgewählt und richtig gehandelt hat. 

Wie hat es angefangen? Wie konnten Bolschewiken es schaffen, aus armen, oft analphabetisierten Arbeitern Russlands, die von Marxismus gar nichts gehört hatten, eine große und kämpferische kommunistische Partei aufzubauen? Diese Arbeiter in der Revolution erst 1905, dann 1917 zu leiten? 

Wir wollen in diesem Artikel den Anfang verfolgen um zu sehen, wie es wirklich war. 

Russland am Ende des 19. Jahrhundert. Ein unterentwickeltes Land, wo erst 1861 die Leibeigenschaft vom Zaren abgeschafft wurde; Meistens von bitterarmen Bauern bewohnt, die mit großer Mühe die eigene Familie ernähren konnten und oft an Hunger litten. Dennoch entwickelte sich auch in Russland der Kapitalismus. 

Von 1866 bis 1890 hat sich die Zahl der Fabriken mehr als verdoppelt, von 2500-3000 auf 6000. Die Maschinen haben die Handarbeit verdrängt, die industrielle Revolution hat bis zu den 80er Jahren stattgefunden. Große Unternehmen mit mehr als 100 Arbeitern waren im Jahr 1890 weniger als sieben Prozent aller Unternehmen, aber sie gaben mehr als die Hälfte der gesamten Industrieproduktion. Eisenbahn-Systeme haben sich um mehr als das Siebenfache erhöht, von 4.000 bis 29.000 Kilometer. Die großen Städte wuchsen, das Leben hat sich im Laufe von einer Generation bemerkbar verändert. 

Im feudalen Russland gab es zwei Hauptklassen – die Grundbesitzer und Bauern. Mit der Entwicklung des Kapitalismus sind die neuen Klassen entstanden – die Bourgeoisie und das Proletariat. Die Bourgeoisie, die bereits unter dem feudalen System existierte, wuchs schnell, wurde reicher und gewann an wirtschaftlicher Stärke.

Das moderne industrielle Proletariat wuchs ebenfalls. Nur die großen Unternehmen, die Bergwerke und Eisenbahnen beschäftigten im Jahre 1890 1 432 000 Arbeiter, das ist doppelt so viel wie 1865. Fast die Hälfte davon (48,3%) wurden in großen Unternehmen mit mehr als 500 Arbeitern konzentriert. Nach der Einschätzung von Lenin am Ende des 19. Jahrhundert  gab es insgesamt um die 10 Millionen Arbeiter in Industrie, Agrarwirtschaft, Eisenbahn, Bau und anderen Branchen. 

Die ganze russische Bevölkerung bestand damals aus ca. 125,6 Mio. Menschen. Der größte Anteil davon waren die Bauern, von denen 2/3 sehr arm waren. Ungefähr 1/5 von Bevölkerung bestand aus Proletariern und deren Familien, noch 1/5 gehörte zur Mittelschicht – Kleinunternehmern, Intellektuelle, Beamte u.a., 2% waren große Bourgeois, Grundbesitzer und hochgestellte Beamten. 

Die Lebensbedingungen der armen Bauern waren entsetzlich, Hungersnöte sind alle 3-5 Jahre ins Land wiederkehrt und haben jedes Mal viele Menschenleben gekostet. Viele Bauern am Ende des 19. Jahrhunderts verließen ihre Dörfer, wo sie sich nicht ernähren konnten, gingen in die Städte und traten in die Reihen des wachsenden russischen Proletariats ein. 

Auch ihre Lebensbedingungen waren für uns unvorstellbar schwer. Ein Arbeitstag dauerte 12-13 Stunden, an textilen Fabriken sogar 15-16 Stunden. Arbeitslohn wurde ständig mit sehr verbreiteten Strafen bis zu 30-40% gekürzt und oft unregelmäßig bezahlt. Kinderarbeit war sehr verbreitet, die Kinder und auch die Frauen arbeiteten genauso viel, wie Männer, ihr Arbeitslohn aber war deutlich geringer.

Meistens wohnten die Arbeiter in Kasernen bei der Fabrik. Oft wohnten 3-4 Familien zusammen in einem Mietzimmer. Elend und unmenschliche Arbeitsbedingungen führten zu Erkrankungen, frühen Toden und zu einer hohen Kindersterblichkeitsrate.

Natürlich existierten bereits in einzelnen Fällen unorganisierte Proteste von Arbeitern gegen besonders schwere Arbeitsbedingungen, bspw. besonders dreisten Lohnabzügen, aber das proletarische Klassenbewusstsein war überhaupt nicht entwickelt. Von dem Weg, wie sie sich aus dieser elenden Lage befreien hätten können, wussten die russischen Arbeiter überhaupt nichts. 

Dabei war Marxismus in Russland nicht ganz unbekannt. Bereits 1872 wurde das “Kapital” legal auf Russisch übersetzt. Das war die erste fremdsprachige Übersetzung überhaupt dieses Werks. 1883-1894 erschienen die ersten marxistischen Gruppen und Zirkel, aber nur in Großstädten, meistens bestehend aus Studenten, Intellektuellen und einem kleinen Anteil von fortgeschrittenen Arbeitern. 

Große Arbeit hat die damalige marxistische Gruppe “Befreiung der Arbeit” unter Leitung von G. Plechanov geleistet. Die ersten russischen Marxisten sahen ihr Ziel vor allem in der Übersetzung von Marx und Engels Werken und in marxistischer Bildung. Dennoch existierten Anfang 1890 nur etwa 10 marxistische Zirkel in ganz Russland, einige davon in der damaligen Hauptstadt St. Petersburg. Das waren enge kleine Gruppen, die keine Propaganda führten und fast keine Verbindung zur Arbeitermasse besaßen. Und diese Gruppen waren auch illegal und mussten im Untergrund arbeiten. 

So sah die Lage aus, als der junge Lenin (geboren 1870) aus seiner ersten Verbannung, zu welcher er wegen der Teilnahme an einem studentischem Aufstand verurteilt wurde, nach St-Petersburg kam, um an der Arbeit der damaligen Sozialdemokraten teilzunehmen. 

Vladimir Iljich sah die Aufgabe der Sozialdemokraten in Verbindung mit dem Marxismus und der Arbeiterbewegung, die isolierten Marxisten sollten zur politischen Agitation in die breiten Arbeitermassen gehen und die Führung in ihrem Kampf übernehmen.

Unter Lenins Führung wurden im Laufe von zwei Jahren auf allen großen Betrieben und Fabriken von St. Petersburg marxistische Arbeiterzirkel organisiert, wo die Marxisten regelmäßig mit der Bildung von Arbeitern beschäftigt waren. Am Ende von 1895 haben sich diese Zirkeln in einer Organisation – “Die Kampfunion für die Befreiung der Arbeiterklasse” – vereinigt. Diese Organisation wurde von einer zentralen Gruppe geleitet, zu der außer Lenin auch L.Vaneev, P. Zaporozhez, G. Krzhzihanovsky, N. Krupskaja, J. Martov, A. Potresov und andere gehörten. Nadezhda Krupskaja führte die große Bibliothek mit illegaler Literatur, die für die Zirkelarbeit notwendig war. 

Lenin in seinem noch jungen Alter hatte sehr klare Vorstellungen und Ideen über den Aufbau einer sozial-demokratischen Organisation. So schrieb er im Brief an einen Genossen: 

“Jetzt zu Betriebszirkeln. Sie sind für uns besonders wichtig, liegt doch die ganze Hauptkraft der Bewegung darin, dass die Arbeiter der Großbetriebe organisiert sind, denn die großen Betriebe (und Fabriken) umfassen nicht nur zahlenmäßig, sondern noch viel mehr dem Einfluß[sic], der Entwicklung, der Kampffähigkeit nach den ausschlaggebenden Teil der gesamten Arbeiterklasse. Jeder Betrieb muss unsere Festung sein. Und deshalb muß[sic] jede “Betriebs”-organisation der Arbeiter nach innen ebenso konspirativ und nach außen ebenso “verzweigt” sein, d.h. in ihren äußeren Beziehungen ihre Fühler ebenso weit und nach den verschiedensten Richtungen ausstrecken wie jede revolutionäre Organisation”*. 

Lenin schreibt weiterhin, dass in jedem Betrieb ein Betriebskomitee organisiert werden soll, der dann Unterkomitees und Zirkel mit verschiedenen Aufgaben bildet, 

z.B. Zirkel für das Austragen und Verbreiten von Literatur, Zirkel zum Lesen illegaler Literatur, Zirkel zur Leitung der Gewerkschaftsbewegung und des wirtschaftlichen Kampfes und Zirkel von Agitatoren und Propagandisten, die mit Leute ins Gespräch kommen. 

“Das Betriebsunterkomitee muss danach streben, den ganzen Betrieb, einen möglichst großen Teil der Arbeiter durch ein Netz von allen möglichen Zirkeln (oder Agenten) zu erfassen”*. 

(*Lenin Werke, Bd.6, S.227 ff).

So wurde das Ideal formuliert, zu dem die Organisation sich bewegen sollte. Und die marxistische Bildung unter den Arbeitern wurde mehr und mehr verbreitet, gleichzeitig wuchs auch die Verknüpfung von theoretischem Wissen zur Massenbewegung. 

Lenin führte damals selbst einige der Arbeiterzirkel und wurde zu dem beliebtesten Lektoren unter den Arbeitern. 

Der Arbeiter und Revolutionär Ivan Babuschkin schrieb in seinen “Erinnerungen” über Lenin: 

“Der Referent erläuterte uns diese Wissenschaft mündlich, ohne Notizen, oft versuchte er bei uns Einwände oder einen Diskussionswunsch hervorzurufen, und dann hat er uns angestachelt, damit wir einander die Richtigkeit unseres eigenen Sichtpunktes in dieser Frage beweisen. So waren unsere Vorträge in der Natur sehr lebhaft, interessant, mit dem Anspruch, uns zu guten Rednern zu erziehen. Diese Art des Unterrichts diente dazu, dass die Zuhörer diese Frage am besten verstehen. Wir waren alle sehr zufrieden mit diesen Vorträgen und bewunderten immer die Intelligenz unseres Lektoren[…].”

Lenin verlangte von seinen Zuhörern nicht nur theoretisches Wissen, sondern auch praktische Fertigkeiten dieses Wissen im täglichen Kampf gegen die Kapitalisten einzuwenden.

Die Zirkelteilnehmer sammelten genaue Fakten über die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter aus ihrem Betrieb, den Lohn, die Produktion und die wirtschaftliche Lage des Betriebes. Lenin fand es sehr wichtig, diese realen Fakten genau zu studieren. 

N. Krupskaja schrieb in ihren Erinnerungen: 

“In seinen propagandistischen Reden umging Iljich die brennenden Fragen nicht, verdeckte sie nicht, ganz im Gegenteil – er stellte sie mit aller Härte und Konkretheit. Er hatte keine Angst vor scharfen Worten, verschärfte seine Fragen bewusst, er glaubte nicht, dass die Rede von einem Propagandisten leidenschaftslos wie das friedliche Plätschern eines Baches sein sollte; er sprach scharf, oft grob, dafür blieb seine Rede gut in Erinnerung, sie begeisterte und faszinierte. Lenin als Propagandist stellte die Fragen scharf und seine Leidenschaft hat das Publikum angezogen.“ 

In Dezember 1894 übten die Arbeiter von den Semjannikov-Werken einen Aufstand. Lenin und ein Arbeiter von diesem Werk, oben genannter I. Babuschkin, schrieben einen Aufruf, der verbreitet wurde. Die Sozial-Demokraten nahmen an vielen Streiks teil, so z.B. in einem Hafenstreik, auf der Tornton-Fabrik, auf dem Putilov-Werk u.a. Es wurden jedes Mal Flugblätter verbreitet, auf denen die wirtschaftlichen Forderungen zusammen mit den politischen erhoben wurden. 

Im Dezember 1895 hat die zaristische Regierung die ganze Spitze der “Kampfunion” inklusive Lenin und fast 40 Aktivisten verhaftet, weitere Kämpfer wurden im Laufe von 1896 auch durch die Polizei aus dem Kampf ausgerissen. Lenin verbrachte mehr als ein Jahr im Gefängnis, wo er heimlich weiter Flugblätter schrieb und Projekte vom Parteiprogramm erstellte. Im Jahre 1897 wurde Lenin zu Verbannung nach Sibirien verurteilt, so wie viele andere Aktivisten der “Kampfunion”.

Trotz diesen Verlusten wurde die “Kampfunion” nicht plattgemacht, dank gut durchgedachter leninscher Strategien hatte die Organisation bereits so tiefe Wurzeln innerhalb der Arbeiterbewegung, dass sie praktisch unschlagbar wurde. 

Im Jahre 1896, ohne viele leitende Mitglieder, hat die “Kampunion” große Erfolge erzielt. Im Sommer hat ein Streik von mehr als 30 000 Arbeitern in St-Petersburg stattgefunden, die “Kampfunion” spielte dabei die führende Rolle; in einem Monat wurde 13 Flugblätter erstellt und verbreitet. Die zaristische Regierung versuchte die Bewegung durch Repression zu stoppen, indem mehr als 1000 Arbeiter verhaftet wurden. Der Streik aber drohte sich im ganzen Land zu verbreiten, so wurde die Regierung gezwungen 1897 gesetzlich den Arbeitstag auf 11,5 Stunden zu begrenzen. 

In den folgenden Jahren wuchs und verbreitete sich der Kampf der russischen Arbeiterklasse; 1898 wurde die Russische Sozial-Demokratische Arbeiterpartei gegründet; die Zeitung “Iskra” wurde zu einem kollektiven Propagandainstrument und Organisator der Arbeiterbewegung. So kam unter Lenins Führung  die Wende von kleinen Bildungszirkeln zur Propaganda und Agitation in den breiten Arbeitermassen, die schließlich zur ersten russischen Revolution im Jahre 1905 führte.

Literatur.

„Geschichte der KPdSU (kurzer Lehrgang)“, 1963.

ИванВасильевичБабушкин, «Воспоминания (1893-1900 гг)»

Боровиков А.П. Начала марксизма-ленинизма. Учебное пособие.

http://www.redcommunist.ru

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