Revolutionäres Klassenbewusstsein contra subjektiven Idealismus

Die Gesetzmäßigkeit der sozialistischen Revolution und eine spätbürgerliche ideologische Abwehrreaktion

von Otto Finger

Die „Heilige Familie“ vereinigt die Konzeption vom materialistisch begriffenen Handeln des gesellschaftlichen Menschen mit dem Standpunkt vom objektiven Gesetzescharakter geschichtlicher Entwicklung, speziell der Gesetzmäßigkeit des revolutionären Kampfes des Proletariats. Marx und Engels betonten bereits hier, dass sich im revolutionären Handeln dieser Klasse die objektive Dialektik der Bewegung der bürgerlichen Produktionsweise, die konkret-soziale Dialektik des Klassenwiderspruches zwischen Bourgeoisie und Proletariat durchsetzt. Ferner dass diese arbeitende, unterdrückte, verelendete Klasse der bürgerlichen Gesellschaft so handelt, wie sie gemäß ihrer objektiven Stellung in dieser Gesellschaft zu handeln berufen ist –

Es gehe nicht darum, dies heben Marx und Engels in gültiger Weise gegen damaligen und heutigen Subjektivismus und Voluntarismus, auch in eindeutig materialistisch-deterministischer Form hervor, es gehe also nicht darum, was sich dieser oder jener Proletarier, oder auch das ganze Proletariat „einstweilen“, also auf vorläufiger, noch unreifer, theoretisch und praktisch noch unausgereifter Entwicklungsstufe über ihr Ziel „vorstellen“. –

Worum es sich handle sei vielmehr dies: wozu das Proletariat gemäß seinem Sinn, gemäß also seiner objektiven sozialökonomischen Stellung gezwungen sein wird: „Sein Ziel und seine geschichtliche Aktion ist in seiner eigenen Lebenssituation wie in der ganzen Organisation der heutigen Gesellschaft sinnfällig, unwiderruflich vorgezeichnet.“ [1/8]

Zeitgenössische bürgerliche Ideologen haben mit ihren Vorläufern im 19. Jh. dies gemein: Den Versuch, die „Unwiderruflichkeit“. d. i. die unerbittliche, weil objektive, nicht eingebildete, oder durch Ideen geschaffene und ebenso „abschaffbare“ Gesetzmäßigkeit von der weltgeschichtlichen revolutionären Mission des Proletariats infrage zu stellen.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts überwog dabei die barbarische Erwartung der Bourgeoisie, das Proletariat könne es wegen seiner Verelendung, wegen seiner Erniedrigung, wegen seines Ausschlusses von Bildung und Kultur niemals zu einer die bürgerliche Ordnung ernsthaft infrage stellenden Aktion bringen. –

Die Kehrseite dieser auf die Ewigkeit des passiv hingenommenen Elends der arbeitenden Menschen bauenden Illusion von der Ewigkeit des Kapitals war jener heuchlerischen Philanthropismus, der den „unteren“ Klassen „helfen“ wollte, vor allem ideologisch helfen, sich in die Unwiderruflichkeit ihres elenden Geschicks zu ergeben und auf die Tröstungen des Himmels zu warten. [Analog heute: ‘Sozialismus harmonischer Prägung’ – in “noch zwölf Generationen“ – im Jahre 2310 etc.; R. S.]

Nachdem sich das Proletariat, auf der Basis der revolutionären Theorie von Marx und Engels, zur zielbewusst kämpfenden Klasse erhob, da setzte die Predigt des sozialen „Friedens“, der „Klassenversöhnung“ [modifiziert, analog der heutigen “Sozialpartner“ etc.] ein. Heute {…} werden die erstgenannten, noch vielfältig fortgesponnenen bürgerlichen Motive durch ein weiteres, „modernes“ ergänzt. Die „moderne“ Industriegesellschaft habe die „alten“ Klassengegensätze überwunden: die von Marx und Engels vorausgesagte, von Lenin und den marxistisch-leninistischen Parteien konkretisierte welthistorische Mission der Arbeiterklasse sei durch diese neue Entwicklung selbst „widerrufen“ worden. Durch „Wohlstand“, „Stabilität“, durch die zunehmende Rolle der Wissenschaft und Technik in der Produktion, weshalb das traditionelle Proletariat teils überhaupt verschwinde, teils seine revolutionäre Rolle an andere soziale Gruppen abgebe.

Aus der Fülle derartiger Ausfälle {…} im zeitgenössischen antimarxistischen Schrifttum sei hier nur eine typische Argumentationsweise erwähnt. Anatol Rapoport versucht in dem Aufsatz „Das Klasseninteresse der Intellektuellen und die Machtelite“ die folgende These zu erhärten: „… die Intellektuellen repräsentieren eine neue, aufsteigende gesellschaftliche Klasse.“ [2/9] Rapoport, als „nichtmarxistischer Radikaler“, wie er sich selbst nennt, will sich mit der Erörterung dieser – übrigens ganz und gar nicht neuen oder originellen These – an die sogenannten „orthodoxen“ Marxisten (eine der vielen polemisch gemeinten Umschreibungen für konsequente Marxisten-Leninisten) und an die nichtmarxistischen „Liberalen“ unter den Intellektuellen wenden. Und er geht davon aus, dass er von den Marxisten kaum Beifall für die zitierte Behauptung erwarten könne, und zwar aus folgendem wirklich kuriosen Grunde: Die Marxisten hätten nämlich dem Industrieproletariat die Rolle zugeschrieben, die Gesellschaft in Übereinstimmung mit den eigenen Interessen zu organisieren, und deshalb würden sie einen Rivalen für das Proletariat nicht anerkennen. {…}

In concreto geht es also keineswegs darum, ob in „orthodoxer“ oder unorthodoxer Weise die marxistisch-leninistische Theorie „anerkannt“ wird oder nicht {…} Wohl aber geht es darum, wie unter den heutigen Bedingungen das Bündnis zwischen Arbeiterklasse und Intelligenz vertieft werden kann.

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Die Absicht, die Stellung der Arbeiterklasse als revolutionäre Hauptkraft unserer Epoche zu leugnen, fragwürdig zu machen als bloß noch orthodoxes Relikt marxistischen Denkens, soll mit Behauptungen wie den folgenden erreicht werden: Trotz des anhaltenden Trends zum Monopolkapitalismus wären die Massen nicht verarmt. Der Lebensstandard wäre gestiegen. Die „Mittelklassen“ seien nicht verschwunden, gegenüber der Zahl der Angestellten sinke die Zahl der Arbeiter relativ. Unter Arbeiter versteht Rapoport die „blue collars“ und unter Angestellten die „white collars“: schon diese Terminologie, die zurückgeht auf die Vorstellung, das Verhältnis von Hand- und Kopfarbeit sei der eigentliche soziale Widerspruch, signalisiert, dass als „Beweise“ für die genannten Thesen solche Behauptungen auftauchen, die in dem zu Beweisenden bereits vorausgesetzt sind, in diesem Falle die Verwischung des wirklichen Klassengegensatzes zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Bourgeoisie und Proletariat. –

Schon im 19. Jh. ging dieser Widerspruch nicht einfach auf in dem Gegensatz von körperlicher und geistiger Arbeit, und er kann heute überhaupt nicht mehr als Synonym für diesen Klassenwiderspruch gesetzt werden. Das Klassenbewusstsein sei im übrigen erlahmt; „der Klassenkampf, wie ihn die marxistische Theorie im Auge hatte, ist heute als primäres politisches Ziel verschwunden, und in Ländern, in denen die vom Marxismus vorausgesagten sozialen Revolutionen als vollendet bezeichnet werden, ist der gesellschaftliche Kampf nicht erloschen“ [A. Rapoport, 1968] [3/10].« –

Entfremdung (auch) bei Otto Finger: »Diese Art der „Beweis“führung zur These, die Arbeiterklasse sei keine revolutionäre Kraft mehr – und dies ist ein politischer und ideologischer Kernpunkt des ganzen Systems konterrevolutionärer [!], nach innen und außen total reaktionärer imperialistischer Propaganda und Manipulation [- stets die Aufgabe des Imperialismus; R. S.] – diese Art des Argumentierens macht kenntlich: Im angedeuteten Argumentationsweg vermengen sich Fälschungen der authentischen marxistisch-leninistischen Theorie mit Fälschungen [-?-] der historischen Praxis [-?-] sowie mit Fehlinterpretationen [- 1973 -] gegenwärtiger sozialer Prozesse, und in allen Momenten kommt es zur heillosen Verwirrung der Begriffe.«

[Merke: Auch Antikommunisten haben einen Zugang zur Wahrnehmung der gesellschaftspolitischen Realität; so auch zu den Widersprüchen zwischen theoretischer Verkündigung und Alltagspraxis, – im (damaligen) Real-Sozialismus. Nur so war es auch den imperialistischen Theoretikern möglich, den Realsozialismus erfolgreich in den Köpfen zu bekämpfen, und in seiner staatlichen Existenz zu beseitigen. Marxistinnen und Marxisten müssen sich stets ungeschminkt mit der Realität der Gesellschaft auseinander setzen. Anm.: Unsere wissenschaftliche Weltaneignung ist keine Religion. R. S.]

Otto Finger: »Der bürgerliche und imperialistische Pferdefuß ist deutlich darin sichtbar, wie als objektive, zwangsläufige, gleichsam naturgeschichtliche Realität verkündet wird, was politisch-reaktionäres Ziel der Monopolbourgeoisie ist.« [-1973 -]

[Anm.: Unsere Fehler und Versäumnisse in der historischen Vergangenheit und aktuellen Gegenwart werden schonungslos von der Bourgeoisie und ihren Ideologen (deren Hauptaufgabe) genutzt; R. S.]

»Letzteres zeigt sich vor allem in den wörtlich zitierten Aussagen: das vorgebliche Verschwinden politischer Ziele der Klassenkämpfe im Inneren des imperialistischen Systems selbst und gleichzeitiges Entfachen konterrevolutionärer Aktivitäten in der sozialistischen Stattengemeinschaft [- 1973 – 1988/89/90/91]. Wir erinnern uns: Rapoport sprach davon, dass der „gesellschaftliche Kampf“ hier nicht erloschen sei. Ganz sicher meint er damit nicht die universell gültige, in allem Natur- und Geschichtsprozess sich vollziehende und im Sozialismus nicht etwa auszulöschende Entwicklungsdialektik, die, auf welcher Ebene und Stufenleiter eines Prozesses und welcher Form auch immer, den „Kampf“ der Gegensätze, die Ablösung also beispielsweise veralteter Denkweisen durch neue etc. einschließt. –

Hier geht es ja um etwas ganz anderes: „Gesellschaftlicher Kampf“ ist Umschreibung für die [erfolgreich] bezweckte antisozialistische Aktivität im Inneren des sozialistischen Weltsystems selbst. nSie darf nach imperialistischen Wunschtraum [- nicht Wunschtraum, sondern imperialistisch erfolgreiche Teil-Realität; R. S.] und höchst aufwendig betriebener Diversion und psychologischer Kriegführung gegen den Sozialismus nicht „verlöschen“. Kein Mittel ist der Monopolbourgeoisie schmutzig und raffiniert genug, um den Export der Konterrevolution betreiben zu können.« –

Otto Finger: »Dass diese Versuche dank der Schlagkraft der marxistisch-leninistischen Parteien, der sozialistischen Verteidigungskräfte, des Prinzips des proletarischen Internationalismus immer wieder gescheitert sind, und zwar erstmalig schon unmittelbar nach der Geburt der Sowjetmacht und am Ende der sechziger Jahre in der ČSSR – das hält das Monopolkapital nicht ab, die alten Ziele mit stets neuen – stets aber auch alten – Mitteln anzustreben.« [- 1973 -]

»Heillose Verwirrung der Begriffe: der Klassenkampf erscheint im Rapoportschen Konzept als „primäres politisches Ziel“, zudem auch noch so, „wie ihn die marxistische Theorie im Auge hatte“! Schon die Kenntnis marxistischer Abc-Weisheiten und elementarster historischer Wahrheiten besagt: Erstens ist der Klassenkampf eine objektive historische Realität der ganzen Entwicklung der Klassengesellschaft, des sozialen Lebens auch in der imperialistischen Gesellschaft von heute, sowie der materiellen und geistigen Auseinandersetzung zwischen den beiden entgegengesetzten Gesellschaftssystemen [- und muss auch von der Partei der Arbeiterklasse geführt werden -] unserer Epoche, des Imperialismus [!] und des [Real-]Sozialismus [!]. Zweitens also braucht der Klassenkampf schlechtweg weder als Ziel vorgestellt, noch [nur] theoretisch verkündet [!], noch praktisch angestrebt zu werden [? – der Kampf muss geführt werden!], eben weil er eine mit Händen zu greifende Grundtatsache aller bisherigen Sozialgeschichte ist [!]. Drittens hat die Marxsche Theorie folglich nicht den Klassenkampf als Ziel, wohl aber die Errichtung der sozialistischen und kommunistischen Gesellschaft als Resultat der sozialistischen Revolution begründet. –

Viertens ist es eine durch die Führungstätigkeit marxistisch-leninistischer Parteien – und nur durch sie erfolgreich – zu lösende Aufgabe, den Klassenkampf der Arbeiter aus der Stufe der Spontanität auf das Niveau der Bewusstheit zu heben.

Es können jetzt nicht all jene weiteren historischen Fälschungen und begrifflichen Verwirrungen berichtigt werden, die schon die wenigen Sätze Rapoports enthalten. Also etwa dasjenige, was über das Aufhören des Massenelends und der Massenarmut innerhalb des Herrschaftsbereiches des Monopolkapitals in einem so schreienden und zynischen Widerspruch zur Situation des arbeitenden Menschen gesagt wurde. [4/11] Festgehalten sei nur dies: Solche Summierung falscher Aussagen ist hier und in der vielfältigsten Modifikation in all jenem sich so „wissenschaftlich“, so kritisch gebenden Schrifttum stets vorausgesetzt, um den Boden zu bereiten für die Glaubwürdigkeit der These vom Übergang der sozialpolitischen progressiven und revolutionären Mission an eine andere Klasse als die Arbeiterklasse, an die „Intellektuellen“.

Die positive Begründung für diese These? Resultat einer „Reinigung“ der Klassenkampftheorie, des Klassenbegriffs, des wissenschaftlichen Ideologiebegriffs von ihren sozial-ökonomischen Bestimmungsgrößen ist dies: „Zusammenfassend kann man sagen, dass der Intellektuelle ein Klasseninteresse hat, wenn wir ihn nicht bloß nach seinem beruflichen Aufgabengebiet und seinem Sachverstand, sondern nach seiner Verpflichtung gegenüber intellektuellen Werten bestimmen; einer von ihnen ist besonders wichtig: nämlich das Leben, das man führt, kritisch zu überdenken. In den Vereinigten Staaten hat diese Verpflichtung (!) Zu einem Zusammenstoß zwischen Intellektuellen und Machtelite geführt … Als positiv zu veranschlagen ist die Herausbildung eines ,Gruppenbewusstseins der Intellektuellen’, das, wie es scheint, durch die Konzentrierung der amerikanischen Intellektuellen in den Universitäten befördert wurde. Diesem Umstand ist es auch zu verdanken, dass die Jugend heute die Anpassung an die gegebene Gesellschaftsstruktur und die Parolen der Machtelite verweigert. Keine Machtelite kann einen derartigen Vertrauensschwund überleben. Wir wissen nicht, in welchem Ausmaß sich das politische Erwachen der Intellektuellen auswirken wird … Es sieht jedoch so aus, als ob sich ein Klassenkampf ganz neuer Art abzeichne.“ [5/12]

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Auch terminologisch weist die angedeutete Auffassung auf Fragestellungen schon der Marxschen theoretischen Zerschlagung des Junghegelianismus zurück. Wir meinen solche Ausdrücke wie „Machtelite“, „kritisches Überdenken“ der Lebenssituation. Auch die Redewendung vom „Anstiften“ ideologischer Revolutionen durch die Intellektuellen: das ergäbe sich daraus, dass sie mit der Sprache umzugehen verständen und deshalb die geeigneten Träger und Vermittler neuer Ideen wären. [6/13] Ferner die Definition von Klasseninteresse als das Interesse, „eine Ideologie zu inthronisieren oder zu erhalten“ [7/14] Und schließlich auch die Behauptung, dass das Klassenbewusstsein vom Klasseninteresse im „orthodoxen“, sprich materialistischen Sinne abhängig sei. [8/15] Der philosophische Streit zwischen Materialismus und Idealismus sei heute überhaupt unergiebig – er diene nur dazu, die Entwicklung „fruchtbarer ideologischer Theorien zu hemmen“ [9/16].

Also wäre es ganz nebensächlich, ob die Binsenweisheit des Zusammenhangs zwischen menschlichem Handeln und Bewusstsein in idealistischen Termini (Vorstellung, Hoffnung, Angst) oder der materialistischen Theorie von Kommunikation und Neurophysiologie ausgedrückt würde. [10/17] Künftiger Klassenkampf ist dann ein Phänomen der Auseinandersetzung zwischen „psychologisch zu definierenden Klassen“ – sie sind die „neuen“ Klassen. [11/18] –

Das Vergessen der Rolle der arbeitenden Volksmassen in der Geschichte geht bei den zeitgenössischen Marxismuskritikern wie bei den Junghegelianern einher mit der Verflüchtigung der revolutionären Aktion. –

Wird das komplexe Herrschaftsystem der imperialistischen Klasse der Monopolkapitalisten zum Werk einer „Machtelite“ mystifiziert und auch verharmlost, die Gegenaktion auf die Tat der „Inthronisierung“ irgendeiner neuen Ideologie durch eine intellektuelle „Elite“ fehlorientiert, dann lässt man beide Seiten des Gegensatzes so wie sie sind. Das Kapital bleibt mächtig, die Aktion gegen es ohnmächtig. –

Schon darum ist – entgegen A. Rapoport, entgegen Marcuse, entgegen A. Schmidt, entgegen all den zeitgenössischen Adepten „unorthodoxen“ kritischen Philosophierens – der unaufhebbare Gegensatz zwischen Materialismus und Idealismus absolut nicht peripher oder nur ein Scheinproblem.

Masse“ ist ebenso wie „Elite“ zunächst ein höchst vager Begriff, unklar genug, um mit ihnen nicht bloß alles mögliche falsch zu bezeichnen, sondern auch zu verschleiern. „Überhaupt“, sagt daher Marx in Polemik bereits gegen das junghegelianische bürgerlich-ideologische Operieren mit diesem Ausdruck, „… ist die Masse ein unbestimmter Gegenstand, der daher weder eine bestimmte Aktion ausüben noch auch in ein bestimmtes Verhältnis treten kann. Die Masse, wie sie der Gegenstand der kritischen Kritik ist, hat nichts gemein mit den wirklichen Massen, die wieder sehr massenhafte Gegensätze unter sich bilden. Ihre Masse ist von ihr selbst ,gemacht’, wie wenn ein Naturforscher, statt von bestimmten Klassen zu reden, die Klasse sich gegenüberstellte.“ [12/19] –

Denselben Gedanken, nunmehr gegen linksradikales Entgegensetzen von Masse, Klasse und Partei gerichtet, entwickelt Lenin im Jahre 1920 in der Arbeit „Der ,linke Radikalismus’, die Kinderkrankheit im Kommunismus“. Man kann, betont Lenin, Massen und gesellschaftliche Klassen nur dann einander entgegenstellen, wenn man mit dem Begriff Masse die überwiegende Mehrheit schlechthin bezeichnet und dabei von Entscheidenden absieht, von der Stellung in der sozialen Ordnung der Produktion. [13/20]

Das von Marx gegen die Junghegelianer 1845 und von Lenin gegen die „linken“ Kommunisten am Beginn der zwanziger Jahre Betonte trifft durchaus auch für heutiges Operieren mit dem Begriff der Elite zu, gleichgültig ob in „kritischer“ oder Imperialistisch-apologetischer Absicht verwandt.

Auch der Elitebegriff abstrahiert vom Entscheidenden: von der Stellung, wie Lenin sagt, in der sozialen Ordnung der Produktion, von den Produktionsverhältnissen, von den Eigentumsverhältnissen, den wirklichen – nicht psychologisch oder biologisch oder wie auch immer verhüllten – Klassenkräften, Klassengegensätzen, Klassenkämpfen. –

Auch bei „Eliten“, gleichgültig ob „Machteliten“ oder „intellektuellen Eliten“, gar auch „rassische“ ins Spiel gebracht werden, ist zu fragen, welche Stellung die so falsch bezeichneten sozialen Gruppen, gesellschaftlichen Schichten, Klassen und Klassenfraktionen in der wirklichen Produktion und in den wirklichen Herrschaftsverhältnissen einnehmen. –

Bei der Vernebelung der wirklichen Stellung wirklicher Klassenkräfte zu „Eliten“ oder „Massen“ handelt es sich nach der theoretischen nSeite durchaus auch heute noch um den folgenden Effekt des idealistischen Abstrahierens von den sozialökonomischen Sachverhalten:

Die Einsamkeit (die Illusion der Junghegelianer, einsam über ihrem kritischen Gegenstand zu thronen, sich von ihm gelöst zu haben; O. F.) übrigens, welche durch die Ablösung, Abstraktion von allem erreicht wird, ist ebensowenig frei von dem Gegenstand, wovon sie abstrahiert, als Origenes frei von dem Zeugungsgliede war, das er von sich ablöste.“ [14/21]«

Anmerkungen

1/8 Friedrich Engels und Karl Marx, Die heilige Familie, S. 38.

2/9 A. Rapoport, Das Klasseninteresse der Intellektuellen und die Machtelite. In: Aggression und Anpassung in der Industriegesellschaft, Frankfurt/M. 1968, S. 30.

3/10 Ebenda, S. 31.

4/11 »An anderer Stelle schränkt Rapoport die Allgemeinheit seiner völlig verkehrten Behauptung ein. So heißt es zum Beispiel: „Betrachtet man einmal weltpolitisch, nicht von der nationalen Ebene her, den Abgrund zwischen Besitzenden auf der einen und den Besitzlosen auf der anderen Seite, so gewinnt der zunehmende Reichtum der Reichen hier und die weitere Verarmung der Armen dort eine höchst brisante Bedeutung in der jüngsten Geschichte.“ (Vgl. ebenda, S. 37) Nun wird hier zunächst unterstellt, dass die Verelendungsprozesse nicht „national“, sondern „weltpolitisch“ relevant würden. Das kann entweder heißen: Es gibt sie „nur“ weltpolitisch, nicht national. Will sagen: überall dort in der Welt, wo nicht das amerikanische Monopolkapital herrscht. Das wäre eine geradezu groteske Apologie dieses Monopolkapitals. Oder es kann heißen: Es gibt sie als weltpolitisch wirksamen, nicht aber als national (speziell US-amerikanisch) wirksamen Faktor. Das würde bedeuten: Sie werden, wo auch immer auftretend, zwar für die Weltpolitik, speziell den sich zum Weltgendarmen aufspielenden nordamerikanischen Imperialismus bedeutsam, weniger aber für die nationale Ebene dieser oder jener Industriegesellschaft: „In der Industriegesellschaft haben sich die Unterschiede zwischen der arbeitenden und der besitzenden Klasse eher verwischt als verschärft.“ (Ebenda) Es bleiben dann also für die Geltung von massenhafter Verelendung und Verarmung heute jene Gebiete reserviert, in denen der US-amerikanische Imperialismus nicht unmittelbar herrscht; diese Herrschaft wieder auf die ihm entrissenen nEinflusssphären auszudehnen wäre eine naheliegende Forderung. Rapoport nimmt die zitierte Differenzierung zwischen weltpolitischem und nationalem Aspekt des Problems in einer tatsächlich antisowjetischen und antileninistischen Stoßrichtung dergestalt vor, dass er sie in unmittelbarem Kontext mit folgendem entwickelt: „die Chinesen und die amerikanischen Ultrakonservativen schienen dabei zu sein, dem Hauptlehrsatz des orthodoxen Marxismus-Leninismus recht zu geben, dass der Prozess auf Polarisation, Konfrontation und schließlich Auflösung der Gegensätze hintreibt. Dabei kann man sehr wohl von der eschatologischen Implikation dieser Theorie ausgehen; zum Beispiel so: der Klassenkampf wird nach Beendigung der ,proletarischen Weltrevolution’ (oder der Vernichtung des Kommunismus) wegen Mangels an Widersprüchen aufhören (oder es wird überall auf der Welt Freiheit herrschen).“ (Ebenda.) Da, wo also Rapoport die noch „brisante“ Bedeutung der Polarisierung in Besitzende und Nichtbesitzende zugesteht, lässt er den Maoismus und die US-amerikanischen Ultras als Kronzeugen für die Bestätigung einer „Hauptlehre“ des Marxismus-Leninismus auftreten!«

5/12 Ebenda, S. 57/68. »Dieser Schlusssatz mag deutlich machen: Rapoport ist kein vordergründiger Apologet des imperialistischen Herrschaftssystems. Sein Aufsatz enthält Kritiken an der Politik des nordamerikanischen Imperialismus, wenn er sie auch recht distanzierend als Standpunkt der „Neuen Linken“ in den USA wiedergibt. Zum Beispiel: „… die Vereinigten Staaten beanspruchen das Vorrecht, jede politische Veränderung als ein Beispiel kommunistischer Aggression deklarieren zu dürfen, und überdies das Recht der Intervention mit den Mitteln, die sie für richtig und notwendig halten, um die Veränderung zu verhindern oder wieder rückgängig zu machen. Es ist dieses unverblümte Bekenntnis der amerikanischen Führer zu ihrem unumschränkten Recht, durch den Gebrauch von Macht ihren Willen der Weltpolitik aufzuzwingen, das die Neue Linke als Symptom der Zusammenballung erbarmungsloser Macht versteht … Sie will … einen Wandel der Perspektive, also der Ideologie(!) Durchsetzen; den Amerikanern soll klar werden, dass die Nutzlosigkeit, die Härte und die Grausamkeit der gegenwärtigen Politik nicht nur das Ergebnis vielfachen Irrtums, sondern Symptom einer Erkrankung der Gesellschaft ist und die Quittung für einen praktisch unbeschränkten Gebrauch der Macht mit keinem anderen Ziel als dem, sie zu behalten.“ (S.54) –

Vergessen wird, dass diese offensichtliche Machtbesessenheit sehr handfeste materiell-ökonomische Grundlagen hat. Solange es sich nur um die Frage einer im Ideologischen verdünnten Perspektive handelt, wird auch in den USA alles beim alten bleiben

6/13 Vgl. ebenda, S. 44.

7/14 Vgl. ebenda, S. 45.

8/15 Vgl. ebenda, S. 44.

9/16 Vgl. ebenda.

10/17 Vgl. ebenda.

11/18 Vgl. ebenda.

12/19 Friedrich Engels und Karl Marx, Die heilige Familie, S. 164.

13/20 Vgl. W. I. Lenin, Der „linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus, in: Werke, Bd. 31, Berlin 1959, S. 26.

14/21 Friedrich Engels und Karl Marx, Die heilige Familie, S. 167 f.

Quelle: Philosophie der Revolution. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1975. Studie zur Herausbildung der marxistisch-leninistischen Theorie der Revolution als materialistisch-dialektischer Entwicklungstheorie und zur Kritik gegenrevolutionärer Ideologien der Gegenwart. Autor: Otto Finger. Vgl.: 4.3. Die Gesetzmäßigkeit der sozialistischen Revolution und eine spätbürgerliche ideologische Abwehrreaktion, in: 4. Kapitel: Materialismus und revolutionäres Klassenbewusstsein contra subjektiven Idealismus (zur aktuellen weltanschaulichen Bedeutung der „Heiligen Familie“)

22.06.2012, Reinhold Schramm (Bereitstellung)

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