Materialismus vs. Idealismus

Die Begriffe “Materialismus” und “Idealismus” stammen aus der Philosophie. 

Sie bedeuten folgendes: Die Antwort auf die Frage, was am Anfang steht, und was nur die Folge daraus ist. Idealismus meint, dass die Idee (Gedanke, Wort, Bild) der Anfang und der Ursprung aller Dinge ist. So denken alle Philosophen-Idealisten. Nehmen wir zum Beispiel Plato: Er hat sich die Welt so vorgestellt, das irgendwo die Ideen von Sachen existieren, also wunderbare immaterielle Bilder; Die Idee von einer Erdbeere und von einem Baum, von einer Frau und von einem Mann, vom Auto und Computer. Und die Sachen, die wir um uns rum sehen und wahrnehmen sind nur Schatten von diesen glänzenden Ideen. Also ein Mann aus Fleisch und Blut ist nur ein Schatten, nur das Abbild von einem Mann als Idee, einem Mann wie er sein sollte.

Es gibt verschiedene Arten von Idealismus. Jeder idealistischer Philosoph hat diese Grundidee auf eigene Weise entwickelt.

Alle Religionen basieren sich auch auf idealistischer Philosophie. “Am Anfang war das Wort”, das wissen wir von der Kirche. Also komme angeblich das Wort, die Idee, die Gedanke, der Verstand des Universums, einfach von nichts – und schaffe alles, was um uns herum existiere. 

Und was ist das Gegenteil, Materialismus? Anfang und Ursprung von allem ist die Materie. Und was ist die Materie? Ganz einfach: Das ist etwas, was wir mit unseren Sinnesorganen wahrnehmen können. Selbst kleinste Teilchen wie Protonen oder Elektronen, sind materiell, da wir sie mit physischen Geräten registrieren, und diese Registration mit Augen wahrnehmen können. 

Die Ideen dagegen können wir als solche nicht wahrnehmen, sondern nur denken und vorstellen. 

Materialistische Philosophen meinen, dass das Universum keinen Verstand und keine Ideen am Anfang hatte, da ein Verstand schon ein materielles Substrat (z.B. menschliches Gehirn) braucht, auf welchem er sich basiert.

Idealistische Philosophen können ihre Ideen wissenschaftlich nicht beweisen. Warum schreiben wir überhaupt darüber, und warum ist das überhaupt wichtig, diese beiden Erkenntnis: Idealismus und Materialismus zu unterscheiden? 

Am Anfang des 19. Jahrhundert entwickelte der berühmte deutsche Philosoph Hegel sein idealistisches System der Dialektik. Dieses System an sich ist für uns sehr wichtig, sie ist ein Ursprung der marxistischen Philosophie, und Dialektik mit ihren Gesetzen ist eine Grundlage dieses Systems. 

Hegel war aber, wie bereits erwähnt, ein Idealist. Er beschäftigte sich mit Geschichtsphilosophie, und meinte, dass die ganze Geschichte der Menschheit von einer Idee bestimmt wird, und zwar von göttlicher Idee. Hegel schrieb in seinem Werk “Der allgemeine Begriff der nphilosophischen Weltgeschichte”: „Den Glauben und Gedanken muss man zur Geschichte bringen, dass die Welt des Wollens nicht dem Zufall einheimgegeben[sic] ist. Daß[sic] in den Begebenheiten der Völker ein letzter Zweck das Herrschende, daß Vernunft in der Weltgeschichte ist, – nicht die Vernunft eines besonderen Subjekts, sondern die göttliche, absolute Vernunft, – ist eine Wahrheit, die wir voraussetzen; ihr Beweis ist die Abhandlung der Weltgeschichte selbst: sie ist das Bild und die Tat der Vernunft“

(Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Der allgemeine Begriff der philosophischen Weltgeschichte. Zit. n. Rossmann, dtv-Ausgabe 1969, S. 235.)

Göttliche Idee, “Weltgeist” nach Hegel, durchdringt die menschliche Geschichte und bestimmt sie. Alle Ereignisse, die in der Geschichte vorkommen – seien es Aufstände, Glaubenskriege, Bereicherung der einen und Verarmung der anderen – sind nur die Folgen vom Weltgeist. Die Idee kommt also zuerst, und alles andere, z.B. Bau der Fabriken oder die Erfindung der Dampfmaschine sind nur die Folgen von dieser göttlichen Idee. 

Karl Marx, der Philosophie studiert und in ihr promoviert hat, war von Anfang an ein Anhänger von Hegel. Er änderte aber seine Meinung und schrieb:

 „Die Produktion der Ideen, Vorstellungen, des Bewußtseins[sic] ist zunächst unmittelbar verflochten in die materielle Tätigkeit und den materiellen Verkehr der Menschen, Sprache des wirklichen Lebens. Das Vorstellen, Denken, der geistige Verkehr der Menschen erscheinen hier noch als direkter Ausfluß[sic] ihres materiellen Verhaltens. Von der geistigen Produktion, wie sie in der Sprache der Politik, der Gesetze, der Moral, der Religion, Metaphysik usw. eines Volkes sich darstellt, gilt dasselbe. Die Menschen sind die Produzenten ihrer Vorstellungen, Ideen pp., aber die wirklichen, wirkenden Menschen, wie sie bedingt sind durch eine bestimmte Entwicklung ihrer Produktivkräfte und des denselben entsprechenden Verkehrs bis zu seinen weitesten Formationen hinauf. Das Bewußtsein[sic] kann nie etwas Andres sein als das bewußte[sic] Sein, und das Sein der Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozeß[sic].

(Karl Marx. „Die deutsche Ideologie“)

Marx entwickelte ein neues, ganz anderes philosophisches System, die wir dialektischer Materialismus nennen. 

Das war aber nicht irgendein philosophisches System von dem es viele gibt, die man belieblig austauschen kann, sie ist einzigartig. 

Marx stellte sich eine ganz andere, neue Aufgabe. Er schrieb:

Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt drauf an, sie zu verändern.“(zit. Karl Marx, Thesen über Feuerbach, 1845)

Er entwickelte eine Philosophie also, eine Lehre, die Anspruch hatte, die Welt nicht einfach zu erklären, sondern sie zu verändern.

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Marx hat folgendes behauptet: die Weltgeschichte wird nicht von Geist oder Ideen geführt, der Ursprung der geschichtlichen Entwicklung ist ganz materiell, gehört also zur Materie, zu etwas, was wir mit Sinnesorganen wahrnehmen. 

Diese materiellen Sachen, die die Geschichte bewegen, sind folgendes:

– Die Produktivkräfte. Also die Werkzeuge und die Maschinen, die im Moment existieren. Die Geldmenge, die Warenmenge, der allgemeine Reichtum. 

– die daraus folgende Produktionsverhältnissen, die immer einem bestimmten Niveau von Entwicklung der Produktivkräfte entsprechen. Hier werden die Verhältnisse zwischen den Menschen im Arbeitsprozess gemeint: Eigentum, Arbeitsteilung, die Verhältnisse zwischen Sklavenhalter und Sklaven oder zwischen Unternehmer und den Leuten, die für ihn arbeiten. 

Diese zwei Dinge: Eine (Produktivkräften) ganz materiell, und die andere (Produktionsverhältnisse) daraus folgend – nennt man in marxistischer Philosophie BASIS einer Gesellschaft. 

Alles andere in der Gesellschaft, sprich Religion, Philosophie, Ideologie, Staat, Politik, Bildung, Kultur, ist natürlich auch wichtig, aber das ist auf jedem Fall nur die Folgen von der materieller Basis. Diese Folgen nennt man den “Überbau”. 

Das war also nicht so eine schöne und elegante Idee, sondern eine Idee, die vielleicht zu einfach und zu irdisch aussieht. Diese ganzen Sachen mit „Weltgeist“, Göttliche Vernunft, Weltidee klingen viel schöner und erhobener. Und plötzlich sagt einer: Diese ganzen wunderschönen Ideen sind nur Menschenwerk, sie sind von Menschen erschaffen und sind nur logische Folgen des aktuellen materiellen Stand.

Marx entwickelte den historische Materialismus, und diese Theorie kann die Weltgeschichte lückenlos und verständlich erklären. Werfen wir einen kurzen Blick auf der Geschichte. Es fängt alles mit den Urmenschen an, die nur sehr einfache Werkzeuge hatten, ihr Überleben war von Jagd und Sammeln abhängig. In bestimmten Moment erfindet die Grundlagen für Ackerbau und Viehzucht und entwickelt sie (dieses Moment konnte natürlich Hunderte und Tausende von Jahren dauern). Jetzt ist das Überleben besser gesichert, und auch die Vorräte sind möglich, man produziert also nicht nur so viel, was man sofort essen kann. Die Überreste werden gegen andere nützliche Gegenstände getauscht, und sie werden auch angeeignet, besonders von Männern, die ab diesem Moment durch ihren Besitz an Gütern auch endgültig Besitz über die Frauen ergreifen. Die weitere Weltgeschichte kann man eigentlich ruhig “Männergeschichte” nennen.

Es kommen die Kriege um Rohstoffe und fruchtbaren Boden, und damit auch die Gefangenen, die man zu Sklaven machen kann. So entsteht langsam die Sklavenhaltergesellschaft. Aber wie soll man tausende Sklaven zu Arbeit zwingen und sie unter Kontrolle halten, zudem den Reichtum der reichen Klassen sichern? – Der Staat entsteht. Die Sklavenhaltergesellschaft existiert auch sehr lange, bis die materielle Entwicklung sie endgültig überflüssig macht. Statt Sklaven, die man besitzt, über ihr Leben und Tod entscheidet, aber auch um ihre Versorgung kümmert, kommen die leibeigene Bauern. Über die hat der Herr weniger Macht, aber sie versorgen sich auch selbständig und gleichzeitig arbeiten und produzieren für ihren Herrn. 

Aber wie kann man eine Menge Bauern dazu bewegen, ohne ständige Überwachung und ohne Waffengebrauch, den Herrn zu versorgen? Dazu braucht man auch eine passende Ideologie. Und das war das mittelalterliche Christentum, die Kirche. Der König wurde von Gott gesendet und von Papst gesalbt, die königliche Macht ist also heilig. Genauso heilig ist die Macht des Großbesitzer, wer etwas anderes denkt, bekommt Probleme mit der Kirche, und diese Probleme bedeuten, dass man keine soziale Anerkennung mehr hat, keine Sakramente bekommt und von der Gesellschaft ausgestoßen wird, das kommt also so gut wie nie vor. Die Angst vor der Hölle gibt es auch, aber vielmehr stark ist die Angst, nicht so wie die anderen zu sein und von der Gesellschaft bestraft zu werden.

Auch ist es bequem, dass die große Menge von Bauern Analphabeten sind, das Evangelium selbst nie kennengelernt haben (es ist alles auf Latein geschrieben) und kein Wissen über die Welt besitzen. Man braucht es auch nicht, um sein tägliches Werk auf dem Feld zu machen.

Das passiert nicht, weil zum Beispiel der König, die Adeligen und die Priester zusammensetzen und extra so ein Konzept entwickeln, mit dem sie die Bauern am besten unterdrücken können. Nein, die Leute können dabei einen guten Willen haben und gutherzig sein. Nur das ökonomische System ist so gebaut, wie es für diese Epoche entspricht, und einfach “von selbst” kommt auch die entsprechende kirchliche Ideologie, die dazu passt. 

Aber dann ändern sich die materiellen Bedingungen, es kommt das Kapital, das vor allem die Handelsleute gesammelt haben. Und es kommen die neuen Erfindungen, die Maschinen, so wie z.B. Webstühle, die man mit diesem Kapital kaufen kann, und auch die ArbeiterInnen zu diesen Webstühlen stellen, die für ein bisschen Lohn ganzen Tag ganze Menge Stoff für den Besitzer produzieren, und durch Verkauf von diesem Stoff, kann dieser sein Kapital vervielfachen.

So wurde also der Kapitalismus geboren – nicht weil die Leute plötzlich “anders denken” oder Gott eine andere Idee hatte, sondern weil die Kapitalmenge da war und die Maschinen, und die Besitzer von diesem Kapital machten das Einzige, was in dieser Situation klug und günstig war – und stellten die Arbeiter ein.

Aber war das mittelalterliche Staat und Religion den neuen Aufgaben gewachsen? Die Kapitalisten, die großen Reichtum besaßen, stammten meistens nicht aus dem Adel, ihre Macht war nicht “heilig”, und sie fühlten sich mächtig, aber benachteiligt in Gesellschaft. Es kamen die bürgerliche Revolutionen, in manchen Länder (England, Frankreich) früher, in anderen (Deuschland, Russland) erst am Anfang des 19. und 20. Jahrhunderts.

Die wunderschönen Ideen dieser Revolutionen – Freiheit, Brüderlichkeit, Gleichheit – bedeuten in Wirklichkeit nur Abschaffung von königlicher und adeliger Macht und unbegrenzte Macht von Kapital und seinen Besitzern. Alle Menschen sind gleich – nur die einen haben mehr Geld als die anderen. 

Auch die Reformation war nur eine entsprechende Antwort auf materielle Bedingungen: die Religion wurde angepasst. Max Weber erklärt in “Protestantische Ethik”, warum das Protestantismus für die neue Bedingungen gut ist: Anständige reiche Leute sind auserwählt, sie sind “gut”, die Armut (in Widerspruch zum Evangelium) ist eine Strafe Gottes, in Himmel gehen die Leute, die arbeiten und sparen. Diese Religion ist gut für die Kapitalisten: die sammeln Kapital, deswegen sind sie die “Auserwählten”, und auch die Arbeiter werden dadurch stimuliert, besser zu arbeiten, möglichst zu sparen und “auserwählt” zu werden. Auch die katholische Religion änderte sich. Und neue Ideologien, z.B. der Nationalismus, wurde langsam zu einer neuen Doktrin entwickelt und ersetzten nach und nach die Religion.

Durch einen größer werdenden Markt mussten die Händler untereinander auch die gleiche Sprache sprechen. Aus den verschiedenen Dialekten wurde eine Sprache und verschiedene Gebiete mit gleicher Sprache und Kultur wurden Nationen. Die bürgerliche Ideologie wurde nun zur vorherrschenden Ideologie.

Da die Maschinen immer komplizierter wurden, brauchte man mehr Leute, die mindestens Lesen und Rechnen können. Dadurch verbreitete sich langsam auch die allgemeine Bildung.

Aber der Kapitalismus änderte sich dadurch auch. Es gab neue Erfindungen, neue Maschinen, die Informationstechnologien, und sie führen mit sich die Notwendigkeit, auch diese gesellschaftliche Formation zu ändern, die Religion ändern. Aber dies wird gar nicht mehr notwendig sein, denn die neue Gesellschaftsformation wird durch gebildete Menschen und auf die Realität bezogene Zustände geschaffen werden, kurz gesagt durch das Selbstvertrauen der arbeitenden Menschen. Durch Realität und Fakten wird die Religion überflüssig werden. Die nächste Formation wird also sozialistisch, sie wird durch den Willen von den arbeitenden Menschen bestimmt, und das Eigentum an Produktionsmittel wird dann in ihren Händen, und nicht von “auserwählten” Kapitalisten liegen.

Also der wissenschaftlich-technische Progress, die materielle Dinge ändern die Ideen, Gedanken und gesellschaftliche Vorstellungen – und nicht andersrum. 

Und das ist sehr wichtig für uns. Aus einem ganz einfachen Grund.

Stellen wir uns vor, die Geschichte wird von einem Gott oder Geist bewegt. Daran haben wir ganz bestimmt keinen Einfluss. Wir können höchstens zu Gott beten, aber die Erfahrung zeigt, dass sich dadurch nie etwas ändert. Was den Geist oder die Ideen betrifft, sie können von uns geändert werden, aber immer nur in unserem eigenen Kopf. Was bringt es, zu dar zustehen und an die Leute zu appellieren, dass sie sich ändern und sofort besser handeln sollen? Es gab eine ganze Menge Propheten, Prediger, Künstler, die gute Ideen an die Menschen gebracht haben – was bringt das? Antwort: rein GAR nichts. Die Menschen bleiben so, wie sie sind. Eben gerade weil die Bedingungen, unter denen sie leben, nichts anderes zulassen!

Aber die materielle Bedingungen? Darauf haben wir Einfluss und die können wir ändern. 

Die Eigentumsverhältnisse ändern? Ja. Die Bedingungen zu schaffen, dass die Leute bessere Bildung bekommen, und die Wissenschaftler zu noch weitere Erfindungen kommen? Ja. 

Vergleichen wir das mit einem medizinischen Beispiel. Vor uns liegt ein Patientin, die z.B. an Lungenentzündung (Pneumonie) leidet. Wenn die Pneumonie von Gott geschickt wird, können wir nur beten während der Kranke stirbt. Oder ist die Lungenentzündung eine psychisch bedingte Krankheit, die entsteht, weil der Patient falsche Gedanken, Gefühlen und Ideen hatte?

Die Wissenschaft hat aber bewiesen, dass die Lungenentzündung eine klare materielle Ursache hat, und zwar die Mikroorganismen. Diese Ursache kann durch entsprechende materielle Mittel, also Antibiotika, auch beseitigt werden. Wir geben dem Kranken die materiellen Arzneimittel und in zehn Tagen ist er wieder gesund. 

Natürlich kann ein materielles Problem nur durch entsprechende materielle Mittel gelöst werden (Patient wird nicht gesund, wenn wir ihm statt Antibiotika. z.B. Kreide geben). 

Aber die Annahme, dass die Ursache materiell ist, gibt uns erst eine Hoffnung, dass die Ursache auch geändert, behandelt, beseitigt werden kann. 

Auch die Gesellschaft wird von materiellen Dingen bewegt, und diese Dinge können wir mit ebenfalls materiellen Mitteln ändern. 

Ein Kommunist ist überzeugt, dass die Gesellschaft von dem Zustand der materiellen produktiven Kräfte und von Eigentum auf diese Kräfte bestimmt wird. Und dass die Gesellschaft durch eine proletarische Revolution – also Änderung der Eigentumsform, der Übergang von materiellen produktiven Kräften in die Hände von denen, die damit arbeiten – erfolgreich und zum besserem geändert kann. 

Also muss ein Kommunist zwangsweise zumindest in gesellschaftlichen Fragen ein Materialist sein und bleiben. Denn Materialismus ist ein Werkzeug für die Änderung der Geschichte. 

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